Nachdem ihr nun diesem fantastischen Click-Bait-Titel gefolgt seid, muss ich euch leider enttäuschen. Das Ende einer Ära bezeichnet in diesem Fall keine dramatische neue Zeitrechnung im Kino- oder Filmgeschäft, sondern das Ende meines Boykotts zeitgenössischer deutscher Kinofilme. Mir ist bewusst, dass es auch positive Beispiele gibt, aber die große Gefahr mit größer angelegten deutschen TV-Produktionen im Kino konfrontiert zu werden, wurde mir vor vielen Jahren einfach zu groß. Der Tatort ist nunmal für mich die reinste Folter und mir vorzustellen dafür auch noch Eintritt zu zahlen... niemals! Selbst große internationale Erfolge des deutschen Kinos der letzten Jahre (gefühlt jeder Film, der versucht die Verbrechen deutscher Geschichte zu historisieren oder ein Franchise in der intellektuelle junge Menschen die Hauptschule parodieren) haben mich auch nie wirklich angesprochen. Nachdem aber die Pressevorstellung für Bruder Schwester Herz angekündigt wurde und ich den Trailer gar nicht mal so daneben fand, nahm ich mir ein Herz und schaute mir einen deutschen Kinofilm im Kino an. (Fairerweise muss man dazu sagen, dass Pressevorstellungen natürlich keinen Eintritt kosten, aber man arbeitet ja auch nur vorsichtig daran Phobien zu therapieren.)
Bruder Schwester Herz handelt von den Geschwistern Lilly (Karin Hanczewski) und Franz (Sebastian Fräsdorf), die gezwungen sind sich zu entscheiden Vergangenes zu erhalten oder einen eigenen Weg einzuschlagen, wodurch die innige Geschwisterbeziehung in Gefahr scheint. Wer sich vom Inhalt überraschen lassen möchte, sollte den Rest dieses Absatzes und den nächsten überspringen. Lilly und Franz haben die wenig erfolgreiche Rinderzucht ihres Vaters übernommen, der aufgrund eines Zwischenfalls mit einem Rind pflegebedürftig ist. Die Mutter hat den Hof bereits vor einiger Zeit für ein Leben in der Stadt verlassen. Franz und Lilly ergänzen sich optimal, da er als Mann fürs Grobe täglich raus auf den Hof reitet und sich da um die Rinder und Reparaturarbeiten kümmert. Lilly übernimmt die Büroarbeit und bastelt unter anderem an einem Modell eines modernen Stalls, von dem sie schon länger zu träumen scheint. Offensichtlich genießt Franz das einfache Leben im Lande und lebt von Tag zu Tag, während Lilly größere Pläne zu hegen scheint. Etwas muss sich jedenfalls ändern, da die Rinder nicht das gewünschte Geld einbringen, um den Hof im aktuellen Zustand zu erhalten.
Ein unschuldiges Hoffest läutet das Ende dieser vermeintlichen Idylle ein. Lilly verliebt sich in Chris (Godehard Giese), den Sänger einer Band aus der Großstadt, der auch prompt für ein paar Tage bleibt. Getrieben von Eifersucht und Angst nutzt Franz jede Chance die Beziehung der beiden zu torpedieren. Als Chris entscheidet wieder in die Stadt zurückzufahren, entscheidet Lilly mit ihm zu gehen und lässt Franz mit dem Vater zurück. Der Konflikt zwischen Selbstverwirklichung und familiären Verpflichtungen gepaart mit der Sehnsucht die Freiheit der jungen Jahre zu erhalten, der die einst innige Geschwisterliebe gefährdet, wird final ausgehandelt, als Lilly anlässlich des Geburtstages ihres Vaters zurück auf den Hof kommt.
Bruder Schwester Herz schafft es sich vom klassischen deutschen Drama-Setting dank des Cowboy-und-Indianer-Spiels in Brandenburg abzuheben. Während Franz, Lilly und ihre Farm-Freunde Cowboys porträtieren, wird Chris zum Indianer stilisiert. Abgesehen davon, dass er Schmuck trägt, der an indigenen Schmuck Amerikas erinnert, wird er teilweise von Franz und seinen Kumpels sogar als Indianer bezeichnet bzw. beschimpft. Das wirkt von erwachsenen Menschen mehr als befremdlich, soll vielleicht aber auch die Kindlichkeit von Franz und seinen Freunden abbilden. Weiße Männer, die sich als Indianer beschimpfen, halte ich jedoch für eine unnötige und höchst problematische Entscheidung in Zeiten von hitzigen Debatten um Rassismus und postkolonialer Aufarbeitung. Diese Sensibilität habe ich in deutschen Filmen schon immer vermisst. Unterhaltsam absurd wirken stattdessen die Szenen in der Kneipe, die peinlich bemüht sind aus einer deutschen Dorfkneipe einen Western-Saloon zu machen. Der Film nimmt sich in diesem Aspekt dankenswerterweise nicht allzu ernst. Das habe ich zumindest der über den Boden rollenden Plastiktüte entnommen, die durch die malerische deutsche Western-Landschaft wandert. Immerhin mangelt es uns in Deutschland ja an dem einen ultimativen Element eines jeden Westerns.
Auch technisch gesehen hat der Film seine Höhen und Tiefen. Während die malerische Brandenburger Landschaft teilweise schön in Szene gesetzt wird und die Farm, die als Drehort gewonnen werden konnte als (deutscher) Western-Schauplatz nicht schlecht gewählt ist, war ich bspw. teilweise äußerst irritiert von der Ausleuchtung der Abendszenen. Es ist mit Sicherheit nicht leicht im dunklen Brandenburg zu filmen, ich erwarte auch keinen Emmanuel Lubezki, der in The Revenant angeblich ohne Licht gearbeitet hat, aber so offensichtlich künstliches Licht ohne Lichtquelle zu erahnen, hat mich ein paar Mal aus dem Film rausgeholt.
Einige Lacher waren im Film auch dabei, wobei ich nicht weiß, ob ich tatsächlich zu den gewünschten Pointen gelacht habe. Einige provozierte Witze wirkten unheimlich platt, wobei ich mir unsicher war, ob das jetzt ein Stilmittel ist, die Einfachheit des Lebens abzubilden. Von daher kein zwingender Minuspunkt. Am lautesten habe ich wohl aber während des Abspanns gelacht, in dem gleich mehrfach der Name 'Sommerlatte' auftauchte. Ich weiß, es ist pubertär und für seinen Namen kann der Regisseur mit Sicherheit nichts, aber seiner gesamten Familie zu danken, hatte etwas Komödiantisches. Die Pressevorstellung war auch immerhin 10 Uhr morgens und ich war alles andere als ausgeschlafen.
Bruder Schwester Herz ist der zweite Spielfilm von Tom Sommerlatte. Nachdem sein Debutfilm Im Sommer wohnt er unten den Kritiken nach sehr gefeiert wurde, hat Sommerlatte denselben Cast erneut auch für diesen Film gewinnen können, was schon mal darauf schließen lässt, dass Tom Sommerlatte sein Team gut behandelt. Beim Cast wurde ein großes Vorurteil bestätigt. Deutsche Schauspieler*innen haben irgendwann in ihrem Leben an dem wohl größten Verbrechen deutscher Filmkunst seit 1945, dem Tatort, mitgewirkt. In diesem Fall handelt es sich bei der Hauptdarstellerin Karin Hanczewski auch noch um die Tatortkommissarin in Dresden... Naja, wieder was gelernt...
Bezüglich der schauspielerischen Leistungen findet sich auch hier Licht und Schatten. Einige Dialoge wirken sehr steif, wobei ich unsicher bin, ob es den Schauspieler*innen oder dem Drehbuch anzulasten ist. Auf der anderen Seite haben die Charaktere es tatsächlich geschafft so sehr zu menscheln, dass es mich teilweise genervt hat. Sympathien wechseln mehrfach im Laufe des Films, was ja immerhin auch eine Leistung ist.
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass der Film mich nicht begeistert, aber auch nicht zwingend enttäuscht hat. Er unterhält, wenn auch teilweise mit Irritationen und Vorhersehbarkeiten bestückt. Es handelt sich definitiv nicht um ein Meisterwerk, ich habe es aber auch nicht bereut mal wieder einem deutschen Kinofilm eine Chance zu geben und vielleicht hat es Bruder Schwester Herz ja geschafft, dass es nicht wieder Jahre dauert, bis ich mir auch mal ein Ticket für einen deutschen Kinofilm kaufe...
Bruder Schwester Herz läuft ab dem 10. Oktober in deutschen Kinos.