Wer mich kennt, der weiß, ich würde ohne Nachfrage jede Person sofort ehelichen, welche mir ohne größere Denkpausen das komplette Oevre des spanischen Surrealisten Luis Buñuel runterrattern würde. Gewicht, Geschlecht und Geistesgabe völlig wurscht, wir heiraten! Basta.
Wer braucht schon Computer-gestütze Partnerplattformen? Nicht viel allerdings brächte ich mit ein in die Ehe. Lediglich meinen tristen Nachnamen hätte ich anzubieten, für den allerdings kein Wagenhändler der Welt ein taufrisches Automobil auf pump ausstellte und dazu bloß noch meine Unfähigkeit, im Kino länger als eine Stunde durchzuhalten, ohne auf Toilette zu müssen. Filme sind für den Biorythmus eigentlich völlig ungeeignet und die Blase, dieses edelste aller Organe, peinigt mich bei jedem 90 Minuten überdauernden Filmgenuss! Ich fordere daher: länger laufenden Filmen sollte - etwa in der Mitte - eine gemütliche Sonnenscheinszene eingefügt werden, in welcher der Hauptheld oder die Hauptheldin sich kurz eine Zigarette anzünden und dann das Geschehene für die Sitzenbleiber kurz rekapitulieren. Ich würde derweil nicht den Zusammenfassungen lauschen, sondern fix aufs Klo flitzen. Bisher blieb dieser Ruf der Vernunft von den großen Bossen unverständlicherweise aber ungehört. Noch. Denn hört her! Sobald das KiK sich aufrafft, revolutionieren wir die Industrie.
Die lax geschlossene Ehe von weiter oben würde bestimmt zum großen Verdruss aller Beteiligten schnell verdorren. Man merkt, dass man eigentlich gar nichts zum Miteinanderreden hat und raunzt sich bald nur ständig an, weil kein Auto da ist. Motorisiert durch die Gegend zu juckeln ist nämlich der Hauptstabilisator jeder Sozialbeziehung. Spätestens im Kino dann zerschellt die Amour fou endgültig an meinen ständigen Aufsteh- und Durchlassbitten. Einen Film von Quentin Dupieux allerdings könnte man noch zusammen schauen, denn: sein letzter und hier nun zu besprechender hatte eine Länge von knackigen 73 Minuten! Da kann man sogar hingehen, wenn man vorher schon etwas getrunken hat. Sein Name: "Au poste!". Von der Muttersprache France Galls übertragen in die Sprache, in der France Gall hierzulande mitunter sang, würde er ungfähr "Suhr Polisei-stasiong" heißen. Unsere Germanisierungskünstler haben daraus nun "Die Wache" gemacht, und der läuft diese Woche an, obwohl er schon von 2018 ist und zeitweilig auf Amazon Prime verfügbar war. Weiß der Geier warum das so ist. Oder Lukas. Der wurde übrigens, so geht die Kunde, mal als Atomkriegs-backup für die imdb gebaut, so um 2006 herum, glaube ich. Früher war da sogar noch ein Aufkleber auf ihm drauf: "nicht in Filmquizzen zu benutzen!". Wir haben den einfach abgemacht und nehmen ihn trotzdem stets zum Film-Ratespiel in der Hängemathe mit, wo wir jetzt auch ständig gewinnen. Das ist zwar keine notwendige, aber ausgesprochen schöne Zusatzinformation um jetzt das Folgende zu gucken:
Der Trailer ist sehr aussagekräftig. Eine wahre Wohltat in den rasanten Vorweihnachtstagen. Die paar Leser hier wollen ja bestimmt auch schleunigst mit dem Artikel fertig werden, um in den Teil von Amazon zurückzukehren, wo "inspiriert von ihren Stöber-Trends" drüber steht. Ich spare mir daher den Inhalt. Wer angesichts der Vorschaubilder nun aber an einen psychologisch aufrüttelnden Thriller denkt, kennt Quentin Dupieux nicht. Der hatte ja z.B. vor einigen Jahren eine Art Horrorfilm über einen mordenden Reifen gemacht. An der auf den ersten Blick ziemlich durchschaubaren Intention mit billigstem Trash die einfachen Gemüter zu befriedigen, schiffte Dupieux recht elegant vorbei, indem er den Film auflud mit verrätselten und nicht immer ganz ernst gemeinten Reflexionen über Filme selbst und Zuschauererwartungen. Und vor allem schickt er in seinen Filmen seine mit Leichenbittermiene dreinschauende Großmutter auf einer von zwei wie Clowns geschminkten Schweinen gezogenen Glitzerkutsche mit Sirene eine Riesenkiste Absurdität holen. Dupieux würde es aber nicht ganz so miserabel inszenieren, wie ich es gerade in meinem plumpen Sprachbild nahelegte. Ihm gelingen in seinen besten Momenten recht feinsinnige Erwartungsbrüche und eleganter Blödsinn.
Nicht anders ist es in "Die Wache". Das grobe und schon häufig benutzte Gerüst einer zunächst kammerartig inszenierten Verhörsituation wird auch hier erst einmal in Stellung gebracht. Doch man merkt zusehends: dieses Vehikel lenkt der Wahnwitz. Der Verhörte Luis Fugain (Grégoire Ludig) erlebt auf der Polizeistation kafkaeskes Misstrauen und wird in immer schnellerer Folge mit Absurditäten konfrontiert: einem widerlichen angebissenen Schokoriegel, einem Raucher, dem die Nikotin-geschwängerten Schwaden durch ein Krebs-Loch in der Brust entgleiten, einem lebensgefährlichen Geo-Dreieck und einem weiteren Herren mit seltsam zugewachsenem Auge. Der Film weidet sich oft lustvoll an solchen körperlichen Absonderlichkeiten. Und am großen Hunger des Befragten. Es ist ja eine Binsenweisheit, dass die Wartezeit bei der Polizei eng verknüpft ist mit dem Anzeigebedürfnis der Bürger. Doch der diensthabende Verhörbeamte Commissaire Buron (Benoît Poelvoorde) hat gar nichts weiter zu tun und will Fugain eigentlich nur ganz gemächlich die Nacht über verhören, hat dabei weder große Eile, noch einen besonders ausgeprägten polizeilichen Fürsorgewillen. Letzterer hat sich schnell im Anbieten des genannten Riegel-Restes erschöpft.
Dabei hätten wir alle etwas mehr Fürsorge nötig. Gerade jetzt, da man unsere Innenstädte mit Tannenzweig-übersähten Holzbuden zurammelt (vulgo: Adventszeit). Wo wir dabei sind: als ich neulich auf dem Weg zur Arbeitsstätte mein Rad über die Augustusbrücke trat, riss mich der mir zufällig über den Weg laufende Tim vom Velo herab und zwang mich mit nicht wenig Brutalität ein Glas Glühwein zu trinken. So habe ich es zumindest meinem Arbeitgeber dargestellt (in Wirklichkeit war er ganz sanft). Ausgeschenkt wurde dieser nun von niemand geringerem als unserem hier zwar nicht mitschreibenden, aber höchst kritisch mitlesenden Kino im Kasten Super-Barmann Micha, einem renommierten Rechtschreibfehlervernichter. Aus einer Art Weihnachts-Tipi heraus, das der Veranstalter prahlerisch Pagode nennt, reichte der herzensgute einen Nektar, dessen Genuss einem genau das Maß an Glückseligkeit in die Seele fließen lässt, das man braucht, um auch in den gerade schnell dunklen Tagen ein bisschen Sonne im Herzen mit über den Tagesrand zu schleppen. Und das ist schon etwas anderes als die Schlachtabfälle der letzten Lese stark erhitzt unters Volk zu schütten, damit die Lokalzeitungen wieder von Promillerekord knackenden Audifahrern berichten können. Soviel zum Thema Fürsorge. Tja, und statt jetzt bei Micha einen guten Glühwein zu trinken, muss ich hier diesen Text schreiben, um meine paar kleinen Gedanken zum Film auf 2000 Worte aufzublähen.
Nicht unbedingt eine günstige Situation. Aber der oben erwähnte Mordverdächtige ist ja auch in keiner besseren Lage. Sehr trist schließlich, wenn man die ganze Nacht verhört werden soll. Wäre da nicht dieses sehr anziehende 70er Jahre Setting, in dem das alles stattfindet. Ganz gemütlich eigentlich, so seinen Verhörabend zu verbringen. Und wohlgewählt dazu, immerhin haben wir eine Menge französischer Genre-Klassiker mit harten Bullen und zu knackender Gangster-Nüssen aus jenen Jahren, man denke nur an Melville! So befinden wir uns auch stets in irgendwelchen zeittypischen brutalistischen Gebäuden und Interieurs, mit passenden Accessoires, also dem ganzen Zeug, an dem man heute auf dem Flohmarkt neidisch vorbei geht. (Übrigens: wer nicht weiß, was Brutalismus ist: das ist die Bau-Epoche, in der alle Gebäude -von ein paar Meisterwerken freilich abgesehen- so aussahen wie halb fertig gestellte Staudämme). Das alles ist ganz gekonnt inszeniert und spricht Bände über die momentan grassierende Ausstattungs-Akribie, die mir wahnsinnig gut in den Kram passt. Dupieuxs Kamera bleibt dabei recht konventionell, es gibt ja auch fast nur Dialogszenen. Die Schnitt-Gegenschnitt Sequenzen sind z.T. aber recht flott geschnitten und haben dann auch einen guten Rythmus. Ergänzt wird das durch kleinere Fahrten durch die erwähnten, nett anzuschauenden Räumlichkeiten.
Nachdem dann alles Knusprige vom bloßen Polizeistations-Setting abgeknabbert ist, startet der Film voll durch und entledigt sich seiner Kammerspielenge durch einen Sprung in die Erinnerungswelt Fougains, als er auf Geheiß des Kommissars vom Abend des Mordes erzählen soll. Ein Bügeleisen ist da im Spiel, ein Toter freilich auch und eine mißtrauische Nachbarin. Das gewohnte Absurditäts-Panoptikum Dupieuxs. Wir kennen solche Sequenzen, Rückblenden sind immerhin eines der solidesten filmischen Mittel, die wir kennen und dem Medium in die Gene geschrieben. Es ist ja auch super einfach: der Schauspieler guckt versonnen nach oben, das Bild fängt an zu wabern und eine leicht jünger geschminkte Variante des Sicherinnernden wird von einem schönen Feinsliebchen hübsch liebkost, was konterkarieren soll, dass er mittlerweile, wie wir danach sehen, in der Gegenwart einer grantigen runzeligen Matrone ausgeliefert ist. Viele visuelle Mittel braucht es da nicht, wir sind darauf trainiert, das zu verstehen.
Erinnerungssequenzen haben außerdem einen wuchtigen filmhistorischen Ballast. Denken wir an Rashomon: eine Vergewaltigung, ein Mord und schließlich eine Gerichtsverhandlung. Mehrere Leute erzählen die gleiche Begebenheit aus ihrer Perspektive und während eine nipponisierte Fassung vom Bolero läuft, erkennt man, das keine der Schilderungen die Wahrheit pachtet. Pardauz! Damit war die Postmoderne im Film eingeläutet - Realität ist eine Konstruktion, Erinnerungen nicht verifizierbar. Hitchock dann, im gleichen Jahr, in dem Kurosawa das macht (kundige Film-Chronisten flüstern nickend 1950): die erzählte Erinnerung als Lüge wird an den Anfang des Films gesetzt. Oder denken wir die Wahrheits-Sache von der anderen Seite her: es gibt Filme über Verbrechen, deren Täter gar nicht erst gezeigt werden. Da will der Regisseur uns mitunter durch diebische Flucht vor der Aufklärungsverantwortung zum Denken anregen. Die preußischen "Children of Corn" in Hanekes "Das weiße Band" wären da ein gutes Beispiel: Gewalterziehung schafft neue Gewalt, angedeutet nur, aber den fernen Schimmer zukünftiger Gewaltexzesse tragen sie schon als Keim in sich, jene Kinder von vor 1914, die nach 1933 das Sagen haben werden.
Dupieux' Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Raubkopierbarkeit schließt hier nun unsere verhipsterte und bärtige Gegenwart an: die Erinnerungen erzählen einem gar nichts weiter mehr als Blödsinn oder sind kuriose Reflektionen, letztlich Spielmasse für die auch hier fortgesetzten Einfälle seines Skurilitäts-Overkills. Unter der zunächst lauter wirkenden Prämisse uns die sogenannte Mordnacht zu schildern, erzählt der Beschuldigte von seinen Gängen aus der nächtlichen Wohnung. Diese werden immer zahlreicher und auch immer absurder. Zunehmend fallen nun die gerade erst kennengelernten Menschen der Wache in Fugains Erinnerungen, bis er versunken im eigenen Gedächtnispalast aktiv als Protagonist in Kontakt tritt mit den Bekannten aus der Polizeistation um bspw. Fragen folgender Güte zu klären: wenn man in der eigenen Erinnerung mit jemanden spricht, den man eigentlich erst nach der Erinnerung kennengelernt hat, aber in der Erinnerung von dieser Person gefragt wird, wann man sich das erste Mal getroffen hat, sagt man dann das passiert in der Zukunft oder der Vergangenheit?
Wem solcher viertelphilosophischer Quatsch Spaß macht, der wird seine helle Freude haben. Der Film ist in seiner zweiten Hälfte nämlich reich an ganz leicht metaphysischen Kauzigkeiten, die sich mit dem großen Topos "Erinnerungen" herumschlagen, aber nie die Qualität ernsthafter Auseinandersetzungen mit dem Thema erreichen. Auch lässt Dupieux den Film regelrecht Pirouetten drehen und Volten schlagen, um diese Gags in Stellung zu bringen, oder uns auf halbem Wege mit einem antiklimatischen Rutsch ins Triviale auf andere Weise wieder zu belustigen. Dabei ist ein großes Vorbild unleugbar: mein Lieblings-Surrealist Luis Buñuel, und hier vor allem sein Geniestreich "Der diskrete Charme der Bourgeoisie". Ein treibendes Zentralmotiv ist gleich direkt herausgeklaut: der Hunger. Dort (also bei Buñuel) als Motor für verschiedene ineinander verschachtelte Träume, hier einer der Taktgeber für den geschundenen Verhörten, auf den er immer wieder zurückkommt. Auch der Schlusspunkt in Dupieux' Film existiert eins zu eins im Filmkosmos von Buñuels sich über das Bürgertum lustig machenden Großwerks.
Doch den zu verraten, wäre jetzt natürlich unanständig. Man muss, um nachzuprüfen was ich meine, beide kennen; oder beide gucken. Dupieux' Film ist zwar mindestens zwei intellektuelle Etagen unter Buñuel. Aber während der spanische Großmeister sich mit urkomischen und sehr feinsinnigen Brechungen über seinen Gegenstand, das Bürgertum, unaufdringlich lustig macht ist Dupieux viel gröber, wenngleich auch ohne politischen Anspruch. Im Vergleich zu seinen früheren Werken kommt das aber ziemlich leichtfüßig und launig daher und das kann man locker mal runtergucken. Denn nicht Überlängenzuschlag sollten die Kinos verlangen, eher einen am Erfolg unterstützenden Zusatzobolus für solche Kurzwerke. Dann müsste nicht immer am Ende gefördert durch die "Filmförderung Baden-Württemberg" drunter stehen und die von mir für diesen Text ausgedachte "Liga der Inkontinenten" könnte viel öfter Ihr "Approved-Siegel" auf die letzten Sekunden des Films stempeln. Kurz gesagt: wem ein bierernst dirigierender, nur in roter Badebuxe steckender Dirigent im Freien vor einem Orchester ausgedehnt auf eine 3 Minuten Sequenz auch nur vielleicht ein Lächeln abringen kann, dem sei der Film empfohlen. Wer hier nur mit den Augen rollt, der lässt das Billet am Schalter lieber ungekauft und guckt nur den erwähnten Film von Buñuel, egal ob man ihn kennt oder nicht. Wer nachher noch alle anderen Werke von ihm guckt, dem kaufe ich einen schönen Ring. Versprochen.