In Tarantinos neuntem Streich erwartet die Zuschauergemeinde erneut viel mehr, als man auf den ersten Blick zu fassen mag. Inwiefern sich der Kultregisseur mit Once Upon a Time in Hollywood ein Zeichen setzt und selbst treu bleibt, möchte ich im Folgenden einmal näher betrachten.
Die Kamera entfernt sich langsam von der Nahaufnahme eines Gesichts auf einem Poster und lässt die Perspektive eines rückwartsfahrenden Autos erkennen. Über Rick Daltons Parkplatz thront ein riesiges Bild von Jack Nicholson, das ihn fast wie T.J. Eckleburgs Augen in The Great Gatsby leitmotivisch beschatten wird. Einspieler alter Western-Filme überschneiden sich mit der Realität des Westernstars Dalton, dessen Lebenswelt das Filmset ist. Die Bilderwelt von Once Upon a Time in Hollywood ist sonnig, schwelgerisch, voller Retro-Charme und suggeriert in ihren gedeckten Farben die Leichtigkeit des Sommers im Amerika der 1960er Jahre. Dass wir uns gerade nicht in Woodstock, sondern im neuen Film von Quentin Tarantino befinden, wird in den nächsten zweieinhalb Stunden noch sonnenklar werden.
Wer ein Episodenfeuerwerk à la Pulp Fiction erwartet, der wird zunächst enttäuscht: Rein inhaltlich ist der Film in zwei Sinnabschnitte untergliedert, von denen der erste ein Bild des Hollywood der sechziger Jahre zeichnet, entschleunigend wirkt und thematisch mitunter an Sunset Boulevard (Wilder 1950) oder auch Mulholland Dr. (Lynch, 2001) erinnert. Zahlreiche popkulturelle Verweise bilden eine Hommage an die Spaghetti-Western, Kung Fu-Filme und B-Movies dieser Zeit, denen Herr Tarantino bekannterweise sehr zugewandt ist. Episodisch sind vielleicht noch die abwechselnden Erzählfoki, die zwischen den beiden völlig überzogenen Protagonisten wechseln: Einem Schauspielstar in der Krise, dessen Karriere an den Werdegang von Clint Eastwood erinnert, und dessen Stuntman und Chauffeur.
Die Figur des Stuntman ließ mich sofort an Death Proof (Tarantino, 2007) zurückdenken. Ich habe eine Schwäche für den Film, auch und gerade weil viele ihn als belanglos abtun, denn Stuntman Mike ist meiner Meinung nach eine der genialsten Figuren des Tarantino-Universum. Ich habe selten gleichermaßen Sympathie und Ablehnung für eine Filmfigur empfunden, was auch am großartigen Kurt Russell liegen mag. Vielleicht kann man Cliff als Stuntman Mikes 'Alter Ego' verstehen, bei dem man sich ebenfalls nie so ganz sicher sein kann. Schließlich bleibt der angebliche Mord an seiner Frau ungeklärt, was ihn als "potentiellen Mike" zurücklässt. Kurt Russell übrigens winkt diesem Vergleich noch zusätzlich in Form einer Nebenrolle zu. Doch bei Death Proof-Referenzen soll es bei Weitem nicht bleiben - Tarantino scheut sich keinesfalls vor Selbst- und Fremdreferenzen.
In einigen US-amerikanischen Kinos läuft der Film auf Widescreen, was man den Einstellungen mitunter ansieht. Die Panoramen erinnern stark an die Kameraführung von The Hateful Eight, der ebenfalls auf 70-mm-Film gedreht wurde. Als Novum fällt dagegen die ausgesprochen experimentelle und moderne Kameratechnik auf. Die Reitaufnahmen auf der Ranch lassen den Einsatz einer Filmdrohne vermuten, und eine Grundregel des konventionellen Filmens, die 180°-Regel, wird missachtet: Anstatt die Personen immer nur an einer Schulterachse zu filmen, wird in der Pubszene mit Rick und James um den Dialogpartner herum gefilmt. Dabei bleibt die Handschrift des Meisters unverkennbar und spielt mit seiner eigenen Intertextualität. Mehrere "Tarantino-ismen" nicken ihren Vorgängern zu, etwa der Sprachnihilismus ("Schwarz und nicht Schwartz"), die extremen Nahaufnahmen von eleganten Damenbeinen, Filmpostern, Detailaufnahmen diverser Muscle Cars und natürlich eine beachtliche Menge Füße. Die Handlung ist im Gegensatz zu anderen Filmen relativ schnell gesetzt: Ein Westernstar und sein Stuntman streben nach dem großen Ruhm inmitten des goldenen Zeitalter Hollywoods. Am Ende wird dies in einer herrlichen Schlusspointe aufgelöst - einer der besten, die ich seit langer Zeit im Kino gesehen habe. Denn das Blutbad und die etlichen Rückschläge schienen auf einmal einen Sinn bekommen zu haben. Erinnern wir uns an die anfängliche Konversation mit der Zielsetzung, es auf Roman Polanskis Gehöft zu schaffen: Diese Mission kann man am Ende des Films wohl als erfüllt anerkennen.
Und dann das dicke Ende, das auf ein unumgängliches Finale zusteuert: Der zweite Teil - sein Anfang sei auf den Rückflug aus Italien gesetzt - ließ mich unbequem erwartungsvoll in meinem Kinosessel aufsitzen: Das Hinzufügen einer Erzählinstanz führt zu einem Spannungsaufbau ins fast Unermessliche, und auch der Plottwist erinnert wieder stark an den plötzlichen Gewalteinbruch von The Hateful Eight. Denn die Idylle der Traumfabrik des ersten Teils trügt massiv, auch hier schlummert eine Industrie, die sich von billigen Streifen voller roher Gewalt nährt, während sie das reale Leben - Amerika im Vietnamkrieg der 60er Jahre - leugnet. Cliff Booth und Rick Dalton verkörpern womöglich je eine dieser Seiten Amerikas.
Ein Stilmittel, das ich noch hervorheben muss, sind die komischen Szenen auf der Manson Ranch, die einige Jump Scares durch Krimi-Phrasen und Stimmungsmusik erwarten lässt, diese jedoch wider Erwarten in eine absurd-postmoderne Auflösung ins Belanglose führen. Bei Tarantino eher schon gewöhnlich - und dabei dem Jarmusch-Neuling The Dead Don't Die nicht unähnlich - thematisiert der Film den Bruch der Filmfiktion mit doppelter Regieebene als Filmdreh im Filmdreh, bei dem, so könnte man urteilen, Tarantino die kulturelle Wiederverwertung und Ideenlosigkeit sowohl in der Filmindustrie als auch Amerikas vor Augen führt. Der Western legt den Italo-Western wieder auf, und Sharon Tate setzt sich in ihren eigenen Film und ahmt sich selbst nach, indem sie ihre eigenen Gesten wiederholt. Die letztlich alles vereinende Idee ist der Kult um die Gewalt, der in der Manson-Sekte gipfelt, da sich in ihr selbst die Gegenkultur als sich zum Bösen gewandter Hippiekult entpuppt. Denn ließe das Böse sich durch sein Gegenteil definieren, so wäre es abschaffbar.
Alle schlechten Rezensionen, von "belanglos" bis"langatmig" mal beiseite: Ich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten gefühlt, die beachtlichen 160 min. waren erstaunlich kurzweilig und sind fast unbemerkt vorbeigezogen. Im Saal wurde viel gelacht, die Kameraeinstellungen, Anspielungen und natürlich auch der großartige 60er-Jahre-Soundtrack lassen das Kinoherz schneller als 24 mal pro Sekunde schlagen, kreieren eine nahezu greifbare Atmosphäre. Warum Tarantino das schafft? Weil er seinen Film dreht. Genau nach seinen Vorstellungen. Und diese Sturheit in Kombination mit einer genauen Vision und der spürbaren Leidenschaft zum Film machen ihn für mich zu einem meiner absoluten Kinohelden.
Quentin Tarantino hat angekündigt, sein Filmschaffen nach zehn Langspielfilmen ad acta zu legen. Once upon... ist nun schon das neunte Werk in einer Reihe beachtlicher Kultfilme des postmodernen Kinos. Und trotz aufkommender Melancholie beim Gedanken an ein baldiges Ende bewundere ich diese Einstellung. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Ich denke da an etliche Künstler, deren Bühnenabschied kein Ende findet, die mit zunehmender Zeit ins Peinliche und Belanglose abdriften. Davon sehe ich hier keine Spur. Man möchte ihm auf die Schulter klopfen, mit dem Wissen, dass ein zehnter Film das Ganze zwar nicht toppen wird, jedoch ein würdiger Abschluss des Filmoeuvres sein kann.
Fazit: Nichts Neues und doch nochmal anders - für Tarantino-Fans und Popkultur-Affine ein Muss. Dabei hilft es, ein wenig historisches Hintergrundwissen mit in den Kinosaal zu nehmen.
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