„Heute Morgen lag ein Hundekadaver in der Gasse, Reifenspuren auf seinem geborstenen Bauch.“ Dies ist der erste Satz, welcher auch schon die Stimmung in Watchmen, der wohl einflussreichsten Graphic Novel, angibt. Einer jahrelang als unverfilmbar geltenden Geschichte nahm sich Regisseur Zack Snyder an und brachte schließlich vor 14 Jahren (2009) „Watchmen – die Wächter“ in die Kinos.
Das Szenario (möglichst spoilerfrei)
Die Geschichte spielt in einer alternativen Realität der 80er. Die Rechtskonservativen sind mit Richard Nixon, welcher durch eine Verfassungsänderung in der dritten Amtsperiode ist, an der Macht, die Sozialsysteme sind ein Scherbenhaufen, das Kapital herrscht: grenzenlos, bodenlos. Vietnam ist der 51. Bundesstaat, nachdem der Krieg dank Dr. Manhattan, einem gottgleichen Wesen auf Seiten der Amerikaner, gewonnen wurde. Die Welt befindet sich dennoch vor dem nuklearen Holocaust und zur Rettung erscheint: Niemand? Vor wem auch, denn in Watchmen gibt es keinen Bösewicht. Der Feind sind die Systeme mit dem Warschauer Pakt im Osten und den NATO Staaten im Westen. Diese Welt ist dem Untergang geweiht. Und so kämpfen seine Protagonisten nicht gegen rechte oder linke Haltungen, sondern gegen die eigenen Dämonen.
Dan Dreiberg muss sich erst mal seiner eigenen Identität bewusst werden, nachdem er als Nite Owl II durch das Verbot von maskierten Vigilante dazu gezwungen wurde, seine Arbeit bei den Watchmen (im Comic: Crimebusters) aufzugeben. So entwickelt er nicht nur eine sexuelle Störung, sondern verliert sich immer wieder in der Vergangenheit.
Laurie Jupiter, Silk Spectre II, will sich von den Vorstellungen Ihrer eigenen Mutter, Silk Spectre I, lösen und die Watchmen hinter sich lassen. Jedoch stellt sie fest, dass Ihre Identität mit der der Silk Spectre untrennbar verbunden ist. Sie kann und muss jedoch einen anderen Weg finden damit umzugehen als ihre Mutter.
Der angesprochene Dr. Manhattan entstand bei einem Laborunfall und entwickelte aus diesem als einziges Mitglied der maskierten Rächer echte, gottgleiche Superkräfte. Mit Ihm wird sich folgende Frage gestellt: Wenn Gott uns alles bedeutet, was bedeuten wir ihm?
Auch Ozymandias war Mitglied der Watchmen und gab als Einziger nach deren Auflösung seine Identität preis und verdiente damit viel Geld. Er ist ein linksradikaler Milliardär, Philanthrop, Genie, Umweltaktivist und damit eine Figur, die noch unglaubwürdiger als Dr. Manhattan erscheint.
Einzig Rohrschach hält sich nicht an das Verbot der maskierten Rächer und so kämpft er gleich an mehreren Fronten gegen Justiz und Verbrechen, wobei er die Welt in Gut und Böse teilt. Jedoch vermag er hierbei nicht zu unterscheiden, wer eigentlich die Guten und wer die Bösen sind und driftet dabei in einen nihilistischen Pessimismus ohne moralische Verankerung in der Welt.
Trotz seines Settings in den 80ern hat der Film nichts an Aktualität verloren. Es wird immer wieder folgende Frage gestellt: Who watches the Watchmen - Wer überwacht die Überwacher? Schließlich kommt man zu dem Schluss: Wir sind es, die die Augen offenhalten sollen; und so lädt uns Watchmen ein, über die Grenzen des Films hinaus Gegenwärtiges zu hinterfragen.
Warum ist der Comic so großartig? (ein paar Spoiler zum Comic)
Was den Comic so meisterhaft macht, ist, dass er sich jederzeit seines Mediums bewusst ist und auch alle damit verbundenen Möglichkeiten nutzt, aber auch geschickt Limitationen umgeht. So gibt es neben der „Hauptstory“ am Ende jedes Kapitels einen Auszug aus einem Zeitungsartikel, Sachbuch oder ähnlichem. Hier lernt man einiges über die Minutemen kennen, ohne dass diese eine große Rolle für die Haupthandlung hätte, jedoch wichtig für die Motivation einiger unserer Helden ist. In solchen Momenten löst sich der Comic von seinem Stil und lässt damit die Möglichkeit offen, umfangreiche Informationen in Form eines Fließtextes zu bekommen, jedoch mit der klaren Option, diese auch zu ignorieren, ohne relevante Teile der Haupthandlung zu verpassen. Auf die Art lernt man unsere Helden besser kennen oder bekommt noch mehr Hintergrundinformationen zu der Welt. Gerade diese wirkt in Watchmen unglaublich lebendig und belebt. Man konzentriert sich nicht nur auf unsere Hauptcharaktere, sondern lernt auch die Bevölkerung der Stadt und deren Ängste kennen. So begegnen wir einem Jungen, welcher regelmäßig zu einem Zeitungsstand kommt und dort einen wöchentlich erscheinenden Piratencomic liest (in einer Welt, in der Superhelden existieren, sind Comics über selbige uninteressant geworden). Währenddessen unterhält sich der Zeitungsverkäufer mit Passanten über die politische Lage im Land und in der Stadt. Oft stimmen die „Realität“ in Watchmen und die Handlungen im Piratencomic so gut überein, dass eine unglaubliche Komposition aus zwei ineinander verschachtelten Geschichten, Bildern und Kommentaren zum Weltgeschehen entsteht, die einen staunen lässt.
Generell unterscheidet sich die Realität in Watchmen von der unseren. Neben den offensichtlichen Dingen wie der Existenz von Superhelden und der Eingliederung von Vietnam in die Vereinigten Staaten von Amerika gibt es auch kleine und subtile Veränderungen. In der Welt von Watchmen fahren seit den 80ern keine Autos mit Verbrennermotor mehr auf den Straßen New Yorks, da mithilfe von Dr. Manhattan alle Autos elektrisiert wurden. Auch kam es in diesem Zeitstrang nie zur Watergate-Affäre, wodurch es Nixon möglich war im Amt zu bleiben und sich durch eine Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit zu verschaffen. All diese Kleinigkeiten sollen den Leser für aktuelle Themen sensibilisieren und uns erinnern wachsam zu sein. Der Kampf gegen den Klimawandel scheint zwar durch Technologie gewonnen, jedoch sind selbst die ältesten Demokratien nicht vor autokratischen Tendenzen sicher, wobei auch eine Personalisierung nach dem Motto: „Präsident XY müsse nur ausgetauscht werden“ nicht stattfindet. Somit liegt es an uns, Ungerechtigkeiten zu erkennen und zu bekämpfen, ohne jedoch in einfaches schwarz-weiß Denken abzurutschen. Wir sind es, die die Mächtigen zu kontrollieren haben und so findet sich die Antwort auf die immer wieder aufkommende Frage „Who watches the Watchmen“ (Wer überwacht die Überwacher).
Unterschiede zwischen Comic und Film. (SPOILER, SPOILER, SPOILER)
Als Erstes möchte ich sagen, dass ich den Film nicht nur für die beste Comicverfilmung, sondern einen der beeindruckendsten Filme unserer Zeit halte. Als 2005/2006 die Produktion startete, war dies schon seit 1986 in Planung. Doch der Stoff galt lange als unverfilmbar (auch Alan Moore (der Autor von Watchmen) boykottiert den Film bis heute) und so wurde erst mit Zack Snyder, welcher sich durch die Verfilmung von 300 einen Namen gemacht hatte, ein passender Regisseur gefunden.
Die Optik und der Stil der Graphic Novel wurden perfekt eingefangen. So beginnt der Film mit einer Montage, welche die Unterschiede und Eigenheiten der Comic-Realität aufzeigt (Der Comedian erschießt JFK, bei einer Friedensdemo gegen den Vietnamkrieg werden alle Demonstranten erschossen, die Gründung und das Ende der Minutemen...). Jedoch kommt der Film auch an seine Grenzen, was die Darstellung des Ursprungsmaterials angeht: So gibt es in der Mitte des Comics einen Teil, welcher gespiegelt (vor allem in der Anordnung und Form der Panels) erzählt wird. Solche Spielereien sind im Film natürlich nicht möglich. Doch auch was die Umsetzung der Piratengeschichte (Tales Of The Black Freighter) im Ultimate Cut angeht, schwächelt der Film. So kann die elegante Vermischung von „Realität“ und „Comic“ im Film bei weitem nicht so geschickt eingefangen werden, wie es in der Graphic Novel der Fall ist. In der Kinofassung des Films kommt diese Geschichte gar nicht vor, im Ultimate Cut wird diese immer mal wieder eingebaut. Mich als Comic-Fan freut das natürlich, ich kann mir jedoch auch vorstellen, dass dies sehr verwirrend sein kann für jemanden, der/die das Ursprungsmaterial nicht gelesen hat.
Ein Unterschied zum Comic ist auch die Gewalt und Brutalität im Film. So wird diese explizierter und übertriebener gezeigt, was die Figuren weniger als kostümierte Menschen denn als wirkliche Superhelden darstellt. Das jedoch war eine der wesentlichen Aussagen im Comic, wo es neben Dr. Manhattan keine richtigen Superhelden gibt, sondern nur maskierte Bürger.
Auch Rohrschach wird im Film anders präsentiert. Zum einen drückt der junge Rohrschach seinen Peinigern im Comic nur eine Zigarette im Gesicht aus. Im Film beißt dieser einem das Ohr ab, wodurch versucht wird, Rohrschach in seiner Jugend schon als Psychopathen darzustellen. Dies trifft sicher zum Teil zu, jedoch ist der jugendliche Rohrschach in der Graphic Novel noch mehr Opfer seiner Umstände. So wehrt er sich nur gegen seine Peiniger, nachdem sie ihn hänselten, ohne ihnen ernsthaft schaden zu wollen.
In einem anderen Beispiel tötet Rohrschach im Film den Entführer und Mörder eines Mädchens, welcher die Tat auch zugab. Im Comic leugnet dieser bis zum Ende die Tat, auch wenn durch im Haus gefundene Indizien die Schuld sehr überzeugend dargestellt wird. Schließlich zündet Rohrschach das Haus des „Mörders“ an und lässt diesen sich mit einer Säge von seinen Handschellen befreien. Hier wird die Kaltblütigkeit Rohrschachs gegenüber dem Verbrechen noch deutlicher: Er foltert den Verdächtigen geradezu, ohne jedoch wirklich zu 100% zu wissen, ob er für den Mord verantwortlich war.
Die größte Änderung zum Comic ist wohl das Ende. In diesem lässt Ozymandias die Welt glauben, Dr. Manhattan hätte viele Metropolen angegriffen und so Millionen Menschen getötet, mit der Intention, die Menschheit auf einen gemeinsamen Feind einzuschwören und das nukleare Wettrüsten und damit den Kalten Krieg zu beenden. Im Comic lässt Ozymandias einen riesigen Alien-Oktopus erscheinen und die Menschheit angreifen. Jedoch ist dieser Unterschied verständlich. Im Comic gibt es immer wieder Vermisstenmeldungen von verschiedenen Schriftstellern und Künstlern. Diese tauchen entweder in der Geschichte direkt auf, oder werden am Ende der einzelnen Kapitel in den Zeitungsartikeln erwähnt. Am Ende stellt sich raus, dass diese von Ozymandias entführt wurden, um für ihn das perfekte Alien zu gestalten und somit die Menschheit zu einen.
Und nun?
Zu erwähnen ist, dass es seit 2019 eine Serie auf HBO gibt, welche die Geschichte des Comics (nicht des Films) fortspinnt und die Grundidee von Watchmen auf unsere Zeit überträgt. So spielt diese in den 2010ern in einer Realität nach dem Trauma des Alien-Angriffs, dem aufgetauchten Rohrschachtagebuch, welches die Wahrheit des Selbigen beinhaltet, und großen Unruhen in der Bevölkerung, da die Polizei nur noch maskiert agiert. Auch in dieser wurde wieder ein perfekter Bezug zu unserer Zeit gefunden und ich kann die Serie wirklich jedem Watchmen-Fan ans Herz legen.
Der Comic ist und bleibt unerreichbar, nicht umsonst wurde die Graphic Novel als Einzige in die Top 100 der besten englischsprachigen Romane seit 1923 des Time Magazine aufgenommen. Nichtsdestotrotz wurden mit dem Film eine würdige Adaption und mit der Serie eine würdige Weiterführung des Stoffes geliefert.
In diesem Sinne: bleibt wachsam!