Bindung – Ein zeitlich und räumlich überdauerndes emotionales Band zwischen zwei Personen. So lautet die Definition dieses Begriffes in der Bindungsforschung und kaum ein anderes Konstrukt zeigt derart viele Facetten und eine solch hohe Komplexität wie das Band, das zwischen zwei Personen geschaffen wird. Es wirkt abstrakt und surreal, wenn man genauer darüber nachdenkt und doch erleben wir es täglich. Die Bindung zwischen einer Mutter und ihrem Kind, zwischen zwei besonders guten Freunden und natürlich das Band, das durch Liebe ausgelöst wird. Welche dieser Bindungen am stärksten ist, kann von Person zu Person unterschiedlich sein, ebenso unterschiedlich können die Gefühle sein, die man in der Erfahrung mit solchen Bindungen macht. Die Erfahrung jemanden zu vermissen, jemanden bei sich haben zu wollen oder aber auch die Trauer und Angst, wenn das Band einmal zu reißen droht. Kaum ein Film schafft es das alles so gut zu verarbeiten, wie Makoto Shinkais Anime-Meisterwerk Your Name (Original: Kimi No Na Wa).
Wie bereits oben erwähnt sind die Erfahrungen mit solchen Bindungen sehr subjektiv. Ebenso subjektiv wird wohl auch meine Kritik zu Your Name ausfallen, da wohl kaum ein anderer Film für mich in den letzten Jahren im Kino eine derartige emotionale Achterbahnfahrt war. Hierzu ein kurzer Einblick in die Art, wie ich diesen Film damals erlebt habe:
Es war im Januar 2018 als endlich die Nachricht kam, dass der bislang erfolgreichste japanische Film auch bei uns in Deutschland für zwei Tage in die Kinos kommen würde. Für mich war dies der Anfang der großen Aufregung und Vorfreude, endlich diesen, eigentlich bereits in Japan 2016 erschienen Film, sehen zu dürfen. (Von illegalen Streams halte ich herzlich wenig!) Es ist mir nicht mal mehr wirklich möglich zu erklären, warum ich mich derart auf diesen Film gefreut habe. Zuvor kannte ich noch keinen anderen Film dieses Regisseurs (ein Fauxpas, den ich mittlerweile beseitigt habe) und hatte noch nicht einmal das Buch gelesen, welches ebenso von Makoto Shinkai geschrieben wurde (auch das durfte ich inzwischen nachholen). Wie dem auch sei, irgendwie wurde ich völlig vom Hype mitgenommen. Diese wunderschönen Bilder, die mir der Trailer versprach und dazu diese fabelhafte J-Rock Musik, für die ich mich sonst eigentlich nicht wirklich begeistern lasse, hatten es mir irgendwie angetan. Umso größer war die Enttäuschung, als ich feststellte, dass ich bereits an beiden Terminen zu denen Your Name gezeigt werden sollte, verplant war. Also verging ein weiterer Monat, den ich verbrachte, ohne diesen Film gesehen zu haben. Doch dann, wie durch ein Wunder, schaffte es Your Name noch einmal in das Kino in einer Kleinstadt in der Nähe meines Heimatdorfes und es war mir möglich, die damaligen Winterferien im Februar zu nutzen, um mir um 12 Uhr mittags einen Film anzusehen. Das i-Tüpfelchen dabei war dann nur meine Begleitung. Ich bin mit meiner Oma ins Kino gefahren, einer Person, die vielleicht wie niemand sonst meine Kindheit und zum Teil auch durch Filme wie Chihiros Reise ins Zauberland von Hayao Miyazaki meinen heutigen Filmgeschmack geprägt hat. Eine Person zu der ich bis heute eine sehr starke Bindung habe. Was folgte waren 107 Minuten Kino-Magie, bei der unsere Augen nicht trocken geblieben sind. Danach kam völlige Stille im Saal, was viel aussagt, wenn man bedenkt, dass außer uns sonst nur noch zwei Familien mit Kleinkindern sich zu dieser Zeit den Film angesehen haben. In meinem Kopf hatte ich nur einen Gedanken: „Für so etwas gehe ich ins Kino! Dafür liebe ich Film!“ Selten habe ich erlebt, dass meine Oma und ich uns so einig waren, wenn es um die Meinung über einen Film ging. Wir beide mussten erst einmal aufarbeiten, was wir da gesehen haben und gegenseitig von unseren Erfahrungen in dieser visuell wunderschönen und akustisch atemberaubenden Erlebniswelt berichten, die uns Makoto Shinkai da geschaffen hat. Die gesamte halbe Stunde Autofahrt unterhielten wir uns noch über diesen Anime und als wir Zuhause angekommen waren und wieder unseren Tätigkeiten nachgehen wollten, kamen wir beide zu dem gleichen Schluss: Wirklich über etwas anderes nachdenken konnten wir noch immer nicht.
Doch was steckt nun hinter diesem Film, den wir beide so beeindruckend fanden? Am Liebsten würde ich ihn jetzt bis ins kleinste Detail analysieren und auf Aspekte eingehen, wie das Opening oder den Schreintanz, der hier vollführt wird und auf symbolische Art bereits die gesamte Geschichte des Films erzählt. Es gibt so viele Kleinigkeiten, an denen man sich aufhalten kann und über die man Stunden philosophieren könnte. Da ich jedoch niemandem die Erfahrung nehmen möchte das selbst zu erleben, möchte ich mich, zumindest was die Story angeht, sehr kurz fassen. Wir verfolgen die Teenager Mitsuha und Taki auf ihrer Reise zum Erwachsenwerden. Mitsuha – die Tochter des Bürgermeisters der abgelegenen Kleinstadt Itomori – wünscht sich nichts mehr als ihre Verpflichtungen als Schreinerbin hinter sich zu lassen und endlich aus dieser langweiligen Einöde auszubrechen. Auf der anderen Seite haben wir da Taki – ein Junge, der mit dem hektischen Alltag der japanischen Hauptstadt Tokio klarkommen muss. Beide werden eines Nachts durch die wohl höchste Form der Intimität erschüttert, die man sich zwischen zwei Menschen vorstellen kann. Sie tauschen im Schlaf ihre Körper. Eine Prämisse von der man sich nun jedoch nicht abschrecken lassen sollte, denn was zunächst unbeschwert und humorvoll anfängt, entwickelt sich nach dem ersten Drittel des Films, in dem sich die Charaktere näher kennen lernen, schon bald zu einer komplexen und wendungsreichen Geschichte über zwei Menschen, die durch ein Band verbunden werden, das über Raum und Zeit hinausgeht. Dieses Band spürt man nicht nur in jeder Sekunde des Films als Zuschauer, man bekommt es auch visuell gezeigt auf eine Art, die wunderschön anzusehen ist, auch dann noch, wenn eben jenes Band zu reißen droht und Makoto Shinkai es problemlos schafft die Ängste unserer liebevoll ausgearbeiteten Hauptfiguren auch auf uns Zuschauer zu projizieren.
Untermalt werden diese Gefühle, die im Zuschauer erzeugt werden, besonders durch das handwerkliche Geschick der beteiligten Künstler an diesem Film. So sehen wir wundervolle und dynamisch animierte Zeichnungen, die entweder sofort das Potential haben als Bildschirmhintergrund verwendet zu werden oder aber mit so vielen kleinen Details ausgefüllt sind, dass man sich am liebsten stundenlang darin verlieren möchte. Besonders hervorheben möchte ich die Gestaltung der Zimmer der Protagonisten, welche derart liebevoll gezeichnet wurden, dass man tatsächlich nur an Hand der ganzen Details hier eine kleine Analyse der Persönlichkeit unserer Figuren machen könnte. Auch wenn das beim ersten Schauen natürlich nicht möglich ist, so trägt diese Liebe zum Detail dennoch dazu bei, dass man die Intentionen der Teenager besser verstehen kann und schafft eine lebendige und glaubhafte Illusion einer fiktiven Realität, in die man über die gesamte Laufzeit des Films eintaucht und alle anderen Alltagssorgen vergisst. Außerdem bekommen wir die malerischen Landschaften der kleinen japanischen Dörfer zu sehen, nur um dann wieder ins extreme Gegenteil der kunterbunten Metropole zu wechseln. Es wird ein interessanter Kontrast erzeugt, der sich in gewisser Weise auch in unseren Figuren widerspiegelt. Der Film sucht ständig die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Gegensätzen und verleiht so der Handlung eine ganz besondere Schönheit, in der er sich auf eine ganz spezielle Art mit dem Schicksal und der Selbstfindung von Teenagern auseinandersetzt.
Auch die scheinbare Kamera zeigt kreative Perspektiven, wie das Öffnen einer Schiebetür von deren Innenseite heraus. Ebenso darf man als Zuschauer in den Genuss sehr sauber animierter simulierter Kamerafahrten kommen. Begleitet wird diese bombastische Visualität dann auch noch von wunderschöner Instrumentalmusik und Zusammenschnitten von mitreißenden J-Rock-Songs der Band Radwimps, welchen man definitiv eine Chance geben sollte. Sie tragen zur fabelhaften Atmosphäre bei und schaffen es jetzt noch, auch ohne die Bilder dazu, mir eine Träne in die Augen zu zaubern, wenn ich sie mir erneut anhöre.
Your Name bietet also eine spannende und emotional mitreißende Geschichte mit liebevoll gestalteten Charakteren gepaart mit handwerklich großartigen Bildern und einem Sounddesign, das sich wirklich hören lassen kann. An jeder Stelle des Films merkt man, dass Makoto Shinkai hier seinen eigenen Roman verfilmt hat und genau wusste, wo er mit seiner Geschichte hin will und was er damit vermitteln möchte. Der Anime stellt den Zuschauer vor interessante philosophische Fragen über Raum und Zeit, Schicksal, Selbstfindung und Liebe, wodurch es ein Film ist, der eben nicht nur für Kinder und Teenager ist, sondern auch Erwachsene sofort abholen kann. Er hat es geschafft, sich innerhalb kürzester Zeit auf der Liste meiner Lieblingsfilme ganz nach oben zu arbeiten und mit jedem erneuten Schauen fallen mir neue Details auf, die zuvor scheinbar gar nicht dagewesen waren. Dieser Anime ist ein Film, auf den ich immer wieder zurückgreife, wenn es mir einmal schlecht geht oder ich etwas brauche, um einem anstrengenden Tag durch etwas Wunderschönem noch etwas positives abzugewinnen. Müsste ich Your Name mit einem einzigen Wort beschreiben, so wäre es wohl: magisch.
Wer in den Genuss dieser fabelhaften Filmmagie kommen möchte, die man unbedingt auf der großen Leinwand erleben sollte, kann sich Your Name am 24.10.2019 im Originalton mit deutschen Untertiteln und am 29.10.2019 in deutscher Synchronisation bei uns im Kino im Kasten ansehen!