An den Filmen von Terrence Malick scheiden sich die Geister. Für den einen gilt der eigenbrötlerische US-amerikanische Autorenfilmer als Kinopoet ohnegleichen, für den anderen sind seine Werke (insbesondere sein abstraktes Spätwerk) esoterisch aufgeladene, verkopfte Kunstfilm-Langweiler. Dass Malick eine einzigartige Herangehensweise an das Kino hat, wird jedoch kaum jemand abstreiten können. Wenige Regisseure haben so einen eindeutig definierten Stil, dass man schon anhand des Trailers direkt erkennt, von wem der Film stammt.

Prachtvolle Naturaufnahmen, improvisiert wirkendes, authentisches Schauspiel, Monologe aus dem Off und eine entfesselte, frei schwebende Kamera mit Weitwinkelobjektiv bestimmen mindestens seit seinem Oscar-nominierten Meisterwerk The Tree of Life das Schaffen von Terrence Malick. Auch wenn seine Filme sich inszenatorisch ähneln, lässt sich sein Schaffen dennoch deutlich in mehrere Phasen einteilen. Terrence Malick, welcher in Oklahoma aufwuchs, in Harvard Philosophie studierte, eine Doktorarbeit über Heidegger und Wittgenstein begann (jedoch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit seinem Betreuer abbrach) und dessen Interesse am Kino durch einen Filmkurs am MIT (an welchem er angestellt war) geweckt wurde, begann seine Karriere als Regisseur mit den Filmen Badlands und Days of Heaven (dt. Titel: In der Glut des Südens). Beide Film lassen zwar bereits seine visuelle Handschrift erkennen lassen (so ist Days of Heaven einer der visuell herausragendsten Filme der 70er, wenn nicht sogar des 20. Jhs.), unterscheiden sich in anderen Punkten aber stark von seinen späteren Werken. So haben beide Filme eine Laufzeit von nur knapp über 90 Minuten und sind erzählerisch recht klar strukturiert. In Cannes gewann Malick für Days of Heaven den Regiepreis, bei den Oscars wurde Kameramann Néstor Almendros für seine einzigartigen Bildkompositionen ausgezeichnet, der Film war in drei weiteren Kategorien nominiert (u.a. für Ennio Morricones wunderschöne Filmmusik). Trotz des Erfolges seines Filmes bei der Filmkritik zog sich Malick anschließend für fast zwei Jahrzehnte aus der Öffentlichkeit zurück, vermutlich aus Unzufriedenheit über die Einmischung des Filmstudios Paramount in Casting und Postproduktion, und lebte in Paris. Schon bald rankten sich Legenden um den eigenwilligen Regisseur: Das poetische Genie, das schon mit seinem Debütfilm für Furore sorgte und nach nur zwei Filmen von der Bildfläche verschwand. Ein Regisseur, dessen Öffentlichkeitsscheu (so gab es bis in die 90er keine Fotos von ihm) und ungewöhnliche Arbeitsweise zu seinem Ruf beitrugen. Der nächste Film, den er für Paramount drehen sollte, Q, ein monumentales, abstraktes Kunstwerk, welches einen Zeitraum von prähistorischer Zeit bis in den Ersten Weltkrieg umspannen sollte, wurde nie realisiert, Elemente daraus verwendete Malick allerdings später in The Tree of Life und insbesondere Voyage of Time.

Wahre Kinomagie: Days of Heaven © Paramount

Als er nach seiner fast 20-jährigen Pause nach Hollywood zurückkehrte um den Kriegsroman The Thin Red Line zu verfilmen, war der Ansturm natürlich groß. Im Vergleich zu Malicks Filmen der 70er, ist The Thin Red Line ein bombastisches Weltkriegs-Epos mit großen Schauwerten und einer schieren Fülle an Charakteren, besetzt mit gefühlt allen renommierten Darstellern jener Zeit. Die Hauptrollen in dem fast dreistündigen Mammutwerk spielen Jim Caviezel, Ben Chaplin, Elias Koteas und Nick Nolte, in Nebenrollen sind jedoch auch Sean Penn, Adrien Brody (der noch zur Premiere dachte, die Hauptrolle zu spielen, ohne zu wissen, dass alle seine Dialogzeilen gekürzt wurden), John Cusack, Woody Harrelson, Jared Leto, John Savage, John C. Reilly, John Travolta, Tim Blake Nelson und George Clooney (obwohl er im Trailer beworben wird, für maximal zwei Minuten im Film) zu sehen. Was für ein Film! Hervorragend inszeniert und tiefgründig demaskiert The Thin Red Line den Pazifikkrieg zwischen Amerikanern und Japanern und stellt diesem die melanesischen Ureinwohner gegenüber, welche seit Jahrhunderten im Einklang mit der üppigen Natur leben. Das letzte Bild des Filmes bringt Malicks Philosophie perfekt auf den Punkt: Nach dem Ende der Kriegsschrecken, nachdem die Army abgezogen ist, keimt ein Samen. Bei Malick ist die Natur dem Menschen übergeordnet und wird ihn überdauern. Schon an The Thin Red Line kann man gut sehen, dass Terrence Malicks Werk bei der breiten Masse nicht überall auf Anklang stößt. Während der Film von der Kritik überwiegend gut besprochen wurde und auch für sieben Oscars nominiert war (u.a. Malick für Regie und Drehbuch, sowie Hans Zimmer für die Filmmusik), blieb der große Erfolg an den Kinokassen aus. Kein Wunder, wer hier einen typischen Kriegsfilm erwartet, wird sich vermutlich zu Tode langweilen mit Malicks poetischer Bildsprache, der langen Laufzeit und dem exzessiven Einsatz philosophischer Monologe aus dem Off. Auch wenn The Thin Red Line wohl der ergiebigere und interessantere Kriegsfilm ist, so hatte Spielbergs Heldenepos Saving Private Ryan das bedeutend größere Publikum und war auch der große Abräumer der Oscar-Verleihung 1999.

Kriegsepos à la Terrence Malick: The Thin Red Line © 20th Century Fox

Nachdem seine Nacherzählung der Pocahontas-Geschichte, The New World, im Jahr 2005 auf gedämpftere Reaktionen stieß (viele warfen dem Film ein zu langsames Erzähltempo und emotionale Distanziertheit vor, bei den Oscars war er nur für Emanuel Lubezkis Kamera nominiert) und sein vergleichsweise hohes Budget von 30 Millionen Dollar nur mit Müh und Not einspielte, folgte 2o11 mit The Tree of Life wohl sein Magnum Opus. Ein experimentelles Epos über eine Kindheit im Texas der 50er-Jahre, unterlegt mit klassischer und neoklassischer Musik von Mozart über Dvořák bis Tavener, abstrakt und elliptisch in der Erzählweise. Und gerade dann, wenn man ein Gefühl dafür bekommt, was der Film erzählen möchte, springt Malick ein paar Milliarden Jahre zurück und zeigt in einer der bildstärksten Sequenzen des Jahrzehnts die Entstehung des Universums, der Erde und des Lebens. Ein höchst ambitionierter Film, der sein Publikum gespalten hat, wie keines der Werke des Regisseurs zuvor. In Cannes gewann Malick hierfür die Goldene Palme, bei den Oscars war der Film in den Kategorien Film, Regie und Kamera (abermals von Malicks neuem Stammkameramann Emanuel Lubezki) nominiert. Während viele Inspiration und Erhabenheit in den Bildkompositionen fanden, störten sich andere an der ungewöhnlichen Erzählstruktur, den Voiceovers (diesmal umfassender denn je eingesetzt und reduziert auf Halbsätze oder gar einzelne Wörter, zumeist im Flüsterton) oder der Symbolhaftigkeit vieler Szenen.

Jessica Chastain in The Tree of Life © Concorde

Mit The Tree of Life setzte ein Wandel im Schaffen Malicks ein. Während seine vorigen Filme zwar anspruchsvolles Kino darstellen, so sind sie durch ihre Schauwerte und linearen Handlungen dennoch weitgehend massentauglich. Nun wandte sich Malick erstmals eindeutig dem experimentellen Kunstkino zu. Durch die neugewonnene Freiheit, welche die digitale Filmproduktion mit sich bringt, setzte der Regisseur zunehmend auf Improvisation, eine eigentliche Handlung ergab sich erst in der Postproduktion. In, verglichen zu seiner bisherigen Arbeitsweise, kurzem Abstand zueinander veröffentlichte Malick die Filme To The Wonder, Knight of Cups und Song to Song, welche beim Publikum und der Presse sehr gemischt ankamen und hauptsächlich bei Hardcore-Malick-Fans auf Anklang stießen. Beim 2016 erschienen Voyage of Time, quasi dem inoffiziellen Nachfolger der Kosmos-Szenen aus The Tree of Life, verzichtete er gleich ganz auf eine Handlung und zeigt nur noch dokumentarische Szenen, lose zusammengehalten von, wer hätte es gedacht, einem Voiceover. Der Film, der in einer IMAX-Kurzfassung mit Brad Pitt als Erzähler und einer 90-minütigen Fassung für reguläre Kinos mit Narration von Cate Blanchett erschien, ist die logische Konsequenz des bisherigen Werdegangs von Terrence Malick und war dennoch (oder gerade deswegen) eine große Enttäuschung für mich. Visuell ist die Pseudo-Dokumentation à la Baraka bahnbrechend. Die Weltraumszenen mit farbenfrohen planetaren Nebeln, Monden und Planeten sind so wunderschön, dass es mich wundert, dass es bisher noch keinen Science-Fiction-Film in diesem Stil gibt. Und dann erst die Unterwasserszenen... Insbesondere eine solche Szenen mit tausenden Quallen wirkt so fremdartig, dass man kaum glauben kann, dass diese auf der Erde mit einer echten Kamera gedreht wurde und es sich nicht um Trickaufnahmen eines Alienplaneten handelt. Voyage of Time wurde von Malick über einen Zeitraum von über 30 Jahren entwickelt, im Film wurden z.B. Szenen verwendet, die er Ende der 70er-Jahre in Australien für seinen unrealisierten Q gedreht hatte. Schade nur, dass der Film auf inhaltlicher Ebene kaum überzeugt. Die Szenen wirken wahllos montiert, in der Kinofassung ist der Film erstaunlich zäh und der Erzähltext grenzt in seiner Banalität an Selbstparodie. Spätestens bei der Textzeile "Joy. Why not always?" hatte mich der Film verloren. Darüber hinaus konnte ich das Wort "mother", welches im Film gefühlt hundertmal geflüstert wird, irgendwann nicht mehr hören.

Leider nur visuell berauschend: Voyage of Time © Universum Film

Umso gespannter war ich auf Malicks neuen Film, der ursprünglich den Namen "Radegund" tragen und seine Rückkehr zum lineareren Kino mit klarer Narrative darstellen sollte. Beim Filmfestival in Cannes feierte der beinahe dreistündige Film, abgesehen vom 2018 erschienenen Extended Cut von The Tree of Life bisher Malicks längster, dieses Jahr unter dem neuen Titel "A Hidden Life" seine Premiere und gewann dort den Preis der Ökumenischen Jury. Hält der Film, was er verspricht? Hat Malick wieder einen Film geschaffen, an dem ausschließlich seine Fans ihre Freude haben oder hat der Altmeister diesmal tatsächlich einen zugänglicheren Ansatz gewählt?

Die deutsch-amerikanische Koproduktion handelt vom österreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter (August Diehl), welcher unter dem Tatbestand der "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt und im Jahr 2007 von der römisch-katholischen Kirche als Märtyrer selig gesprochen wurde. Ausführlich zeigt der Film zunächst den Alltag Jägerstätters und seiner Ehefrau Fani (Valerie Pachner) als Bauern in einem idyllischen Alpental. Grüne Wiesen, imposante Bergflanken, eine Dorfkirche mit charakteristischem Zwiebelturm, dazu James Newton Howards grandiose Filmmusik und – typisch Malick – unterlegt mit Off-Kommentaren der Protagonisten. Man muss für diesen Film als Zuschauer schon einiges an Geduld aufbringen. Mit einer Laufzeit von 173 Minuten gehört A Hidden Life zu Malicks längsten Werken, dementsprechend gemächlich gestaltet sich auch das Erzähltempo. Doch in seiner Ruhe liegt auch die größte Stärke des Filmes. Er lässt dem Zuschauer Zeit, sich in die gezeigten Umgebungen einzufühlen und ein Gefühl für die Charaktere zu bekommen. Auch aufgrund der subjektiven Kamera von Jörg Widmer, welche stets nah am Geschehen und an den Charakteren ist, spürt man förmlich die Wärme der Sonnenstrahlen oder meint das frisch gemähte Heu im Kinosaal zu riechen. Malicks Naturaufnahmen sind erhaben und sinnlich und der ruhige Erzählfluss des Filmes bietet dem Publikum ausführliche Gelegenheit, die Eindrücke in sich aufzunehmen.

Franz Jägerstätter (August Diehl) im Gespräch mit Frater Fürthauer (Tobias Moretti) © Pandora Film

Bricht man den Film darauf herunter, was er tatsächlich erzählt, könnte man sich fragen, wozu die ausufernde Laufzeit vonnöten ist. Die Dauer des Filmes ist jedoch ein bemerkenswerter, erzählerischer Kniff. Man begleitet die Protagonisten Franz und Fani bei ihrem Alltag, erlebt gemeinsam mit ihnen, wie sich die Dorfgemeinschaft langsam von ihnen abwendet, wie selbst die katholische Kirche mit den Nationalsozialisten kollaboriert und keine Unterstützung bietet. Als Franz schließlich inhaftiert wird, wirkt seine Gefängniszelle ungemein einengend. Dominierten zuvor prachtvolle Naturaufnahmen die Bildsprache des Filmes, überwiegt nun das trübe Grau der Zellenwände, umso beklemmender durch die Weitwinkeloptik der Aufnahmen. Führten Franz und Fani zuvor auch Dialoge, wird der Kontakt zwischen beiden nun nur noch per Briefwechsel aufrecht erhalten und Erzähltexte aus dem Off nehmen endgültig überhand. Wer mit Malicks typischen Monologen nichts anfangen kann, wird hieran wohl keine Freude finden, aus erzählerischer Sicht haben die Monologe aber definitiv ihre Bewandnis, da die Ferne der Charaktere, sowie die Hoffnungslosigkeit von Franz Jägerstätters Situation so für den Zuschauer spürbar wird. Außerdem geben Jägerstätters Briefe Aufschluss über dessen Weltanschauung, Beharrlichkeit und Idealismus.

Franz im Gefängnis © Pandora Film

Dass A Hidden Life so sehr beeindruckt, liegt neben Malicks poetischer Regie zu großen Teilen natürlich an den hervorragenden Darstellern, allen voran August Diehl. Der Charakterdarsteller, bereits 1999 für sein Spielfilmdebüt 23 – Nichts ist so wie es scheint mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet und international bekannt geworden durch Tarantinos Inglourious Basterds, brilliert als stoischer Idealist und harmoniert hervorragend mit der ebenfalls sehr überzeugenden Valerie Pachner. Im vergangenen Jahr waren Diehl und Pachner auch gemeinsam in Lars Kraumes hochgelobter Arte-Serie Die neue Zeit über Bauhaus-Gründer Walter Gropius zu sehen. Abgesehen von den beiden Hauptdarstellern gestaltet sich die Besetzung von A Hidden Life als regelrechtes "Who's Who". So sind unter anderem Mikael Nyqvist, Bruno Ganz (beide jeweils in der letzten Rolle vor ihrem Tod), Matthias Schoenerts, Franz Rogowski, Karl Markovics, Tobias Moretti, Martin Wuttke, Alexander Fehling und Jürgen Prochnow zu sehen, teils nur in kleinsten Nebenrollen. Das Darstelleraufgebot erinnert an The Thin Red Line, in welchem damals gefühlt jeder renommierte Hollywood-Darsteller einen Auftritt hatte, nur dass Malick diesmal nicht mit einem amerikanischen, sondern mit einer überwiegend deutschsprachigen Besetzung arbeitete – ein Novum für den Regisseur. Dass der Film dennoch weitestgehend auf Englisch gedreht wurde, mag einem internationalen Publikum zwar einen einfacheren Zugang ermöglichen, wirkt jedoch für Zuschauer, welche dem Deutschen mächtig sind, befremdlich, insbesondere da nur die Hauptcharaktere des Filmes englische Dialogzeilen haben, die restlichen hingegen auf Deutsch reden. Ebenso wie die Wechsel der gesprochenen Sprache irritieren die Schauplätze. Während der Film zwar im oberösterreichischen St. Radegund, ca. 50 km nördlich von Salzburg, angesiedelt ist, fanden die Außenaufnahmen hauptsächlich auf den alpinen Hochalmen der Dolomiten statt. Selbst einem geographisch unbewanderten Zuschauer dürfte auffallen, dass die Drehorte etwas arg variieren, von Obstgärten und üppigen Feldern einer sanften Mittelgebirgslandschaft zu Almen vor schroffer Hochgebirgskulisse, um ein einziges Tal in Österreich darzustellen.

Solche kleineren Unstimmigkeiten sind jedoch absolut zweitrangig gegenüber der überaus hohen Qualität des Filmes. Mit A Hidden Life ist Terrence Malick abermals ein beeindruckendes Filmkunstwerk gelungen, welches Philosophie und Religiösität mit einer präzisen Bildsprache, einer authentischen, wie poetischen Inszenierung und hervorragenden darstellerischen Leistungen kombiniert. Wer zum bisherigen Schaffen des Ausnahmeregisseurs keinen Zugang finden konnte, wird auch diesem Film wenig abgewinnen können. Durch seine geradlinige Erzählweise und hohe Emotionalität gestaltet sich der Film jedoch, trotz seiner ausufernden Laufzeit, als der wohl zugänglichste Malick-Film seit The Thin Red Line. Ein filmisches Meisterstück, der dieses Jahr bisher wohl stärkste Kinostart in deutschen Landen und einer der beeindruckendsten Filme des vergangenen Jahres.