Jazz, Neurotiker, intellektueller Smalltalk, Beziehungschaos in der Upper Class: Woody Allen hat eben seine typische Formel, der er seit über vierzig Jahren beinahe ausnahmslos folgt. Nicht alle seiner Werke sind gleichermaßen gelungen. Wie auch, wenn man jedes Jahr einen neuen Film im bekannten Stil dreht? Auch A Rainy Day in New York ist wieder ein Allen, wie er im Buche steht. Gelang dem chronischen Vielfilmer und mehrfach Oscar-prämierten Stadtneurotiker hier ein neuer Knüller oder befindet er sich höchstens im Bann des Jade Murmeltiers?
Ab einem gewissen Alter wurde selbst Allen der Altersunterschied zwischen ihm und den hübschen jungen Damen, die er als seine Beziehungspartner zu besetzen pflegt, zu groß. Ab da begann er, die Hauptrollen seiner Filme mit jüngeren Darstellern zu besetzen, die ihm interessanterweise recht ähnlich sind. Spielte Jesse Eisenberg in Café Society (einem seiner gelungensten Filme dieses Jahrzehnts) noch einen Allen-Surrogat par excellence, ähnelt der, von Timothée Chalamet gespielte Gatsby Welles (was für ein Name!) Woody Allen nur in dessen neurotischer, paranoider Art. Für einen Charakter, wie ihn Allen früher selbst gespielt hätte, einen der angesagtesten und elegantesten Jungdarsteller zu besetzen, könnte man mit etwas bösem Willen schon als leicht narzisstisch deuten. Aber wie dem auch sei, so wird dem Zuschauer zumindest nachvollziehbarer, warum Elle Fannings Charakter sich für so ein nervliches Wrack wie Gatsby Welles interessieren sollte. Szenen, in welchen Timmy Chalamet mit durchnässtem (aber dennoch perfekt frisiertem) Haar grüblerisch in den New Yorker Regen schaut, dürften seine Fangemeinde sehr erfreuen.
Doch zunächst zur Handlung: Gatsby Welles (Chalamet), jüngstes Mitglied einer New Yorker Upper-Class-Familie und eine Mischung aus Holden Caulfield und (wer hätte es gedacht) Woody Allen geht auf ein renommiertes College in Upstate New York und ist mit der hübschen, quirligen Ashleigh Enright (Fanning) zusammen. Als diese die Möglichkeit bekommt, für die College-Zeitung ein Interview mit dem berühmten Filmregisseur Roland Pollard (Liev Schreiber) zu führen, fahren Ashleigh und Gatsby kurzerhand mit dem Bus nach Manhattan, den Plan gefasst, gemeinsam ein "besonderes Wochenende" in der Weltmetropole zu verbringen. Doch letztlich kommt alles anders: Pollard steckt in einer Schaffenskrise und flieht aus einem Test-Screening seines neuen Filmes. Gemeinsam mit Drehbuchautor Ted Davidoff (Jude Law) macht sich Ashleigh auf die Suche nach Pollard, während Gatsby durch das regnerische New York streift, zunächst allein, dann in Begleitung von Chan (Selena Gomez), der mittlerweile erwachsenen, jüngeren Schwester seiner Ex-Freundin aus Schulzeiten.
Die darauffolgenden, romantischen Irrungen und Wirrungen sind alle recht amüsant, viel neues wird dem Publikum aber nicht geboten. Während Allens Komödienklassiker der 70er immer noch schreiend komisch und voll mit bissigem Humor sind, entlockt A Rainy Day in New York maximal ein Schmunzeln. Man merkt eben, dass Allen ein alter Mann ist. Seine Filme laufen schon seit Jahren auf Autopilot, dem Humor fehlt es an Pfiff. Dennoch hatte ich Freude an dem Film, die Formel funktioniert bei mir eben immer noch. Allen präsentiert hier eine bizarre Upper-Class-Parallelwelt, in welcher selbst die Highschool-Bullies Filmnerds sind und Namedropping von Schauspielikonen, wie Grace Kelly betreiben. Auch die versnobten Protagonisten mit ihren First-World-Problems, welche sich nonstop pseudo-intellektuelle Dialoge um die Ohren pfeffern, sind trotz allem einnehmend genug, dass ich ihnen gerne auf ihrer Odyssee durch den Big Apple gefolgt bin.
Insbesondere Chalamet, von dem ich seit Call Me By Your Name (für den er den Oscar hätte bekommen müssen) sehr angetan bin, glänzt in der Hauptrolle. Für den intellektuellen Poker-Experten, der zwar keinen Bock auf Uni hat, aber gefühlt jedes Werk amerikanischer Literatur und jeden Filmklassiker kennt, der Dates im strömenden Regen für außerordentlich romantisch hält und seine Jugendliebe das erste Mal vor einem Hieronymus-Bosch-Gemälde im "Met" geküsst hat, ist er eine Idealbesetzung. Der erst 23-jährige Schauspieler französischer und amerikanisch-jüdischer Herkunft legte in den letzten beiden Jahren mit Call Me By Your Name, Lady Bird und Beautiful Boy einen kometenhaften Aufstieg hin und wird demnächst in Filmen von Greta Gerwig (Little Women), Wes Anderson (The French Dispatch) und Denis Villeneuve (Dune) tragende Rollen übernehmen. Chalamets Filmpartnerin Elle Fanning ist im US-Independentkino kaum weniger gefragt und hat bereits in Filmen von Nicolas Winding Refn, Mike Mills und Sofia Coppola gespielt. Auch wenn ich den Hype hinter Fanning bisher nicht wirklich teilen konnte, muss ich zugeben, dass sie mich in A Rainy Day in New York überzeugt hat. Ihr Charakter Ashleigh ist zwar etwas arg naiv und nervig geschrieben, wird aber von Fanning mit viel Spielfreude verkörpert.
Dasselbe kann man von den Nebendarstellerinnen und -darstellern nicht unbedingt behaupten. Dass Suki Waterhouse (The Bad Batch, Assassination Nation) eher aus dem Mode-Business stammt, merkt man ihrem Schauspiel an, glücklicherweise ist ihre Zeit auf der Leinwand recht knapp bemessen. Aber auch Leinwandgrößen, wie Jude Law und Liev Schreiber glänzen nicht gerade (höchstens wortwörtlich, aber zur Optik des Filmes später mehr), was aber auch an ihren klischeehaften Charakteren liegen kann. Klar, in der Darstellung der Filmwelt sind ein paar nette Referenzen verpackt. So ist "Rollie" Pollard namentlich und optisch klar eine Anspielung auf Oscar-Preisträger Sydney Pollack (Jenseits von Afrika), in Diego Lunas hispanischem Filmstar lässt sich ein jüngerer Antonio Banderas wiedererkennen und Jude Law ähnelt mit Hornbrille, Geheimratsecken und Trenchcoat Woody Allen noch deutlicher, als der Protagonist des Filmes. Selbstzweifelnde Regisseure, fremdgehende, fremdländische Filmstars, Drehbuchautoren am Rande des Nervenzusammenbruchs... alles ganz nett, aber letztlich hat man das auch schon woanders bissiger und besser gesehen.
Dass der Film mir dennoch recht gut gefallen hat, liegt neben dem Hauptdarsteller-Duo vor allem an der Inszenierung. Selbst wenn Woody Allen auf Autopilot läuft, schafft er dennoch stets Filme, die ausnehmend angenehm zu konsumieren sind. Der mehrfache Oscar-Preisträger Vittorio Storaro (Apocalypse Now), seit Café Society Allens Stamm-Kameramann, schafft auch hier wieder elegante Bilder in strahlend warmen Farben. Man merkt den neueren Allen-Filmen zwar an, dass sie digital gedreht wurden und auch die Beleuchtung wirkt oft arg artifiziell (wieso ist Elle Fanning selbst im Regen immer in goldenes Licht getaucht?), aber dennoch sorgen die Kameraeinstellungen und -bewegungen für einen angenehmen filmischen Rhythmus. Dazu kommt noch ein typisch jazziger Soundtrack, bei dem sich Allen diesmal ausgiebig beim Pianisten Erroll Garner bedient hat (sein Standard "Misty" läuft passenderweise sogar zweimal im Film) und fertig ist ein herrlich entspannter Film, wie es ihn auch vor vierzig Jahren hätte geben können. Meisterwerke wie Der Stadtneurotiker oder Manhattan darf man von Woody Allen wohl nicht mehr erwarten, wenn jedoch einmal im Jahr ein Film wie A Rainy Day in New York seinen Weg in die Lichtspielhäuser findet, habe ich auch nichts dagegen einzuwenden. Ein passender Film, falls man mal Lust auf etwas Locker-Fluffiges ohne zuviel Anspruch hat.
... wäre ein schönes Schlusswort gewesen für diese Filmkritik. Doch wie könnte man A Rainy Day in New York besprechen, ohne auf den sprichwörtlichen Elefanten im Raum einzugehen? Schließlich wurde der Film bereits Ende 2017 fertiggestellt, Amazon Studios hat sich aber auf dem Höhepunkt der MeToo-Bewegung gegen eine Veröffentlichung entschieden, sodass der Film nur international erscheint und mit deutlicher Verzögerung. Ob diese Entscheidung begrüßenswert ist, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden, nach dem Schauen des Filmes kann ich aber auf jeden Fall nachvollziehen, warum er im aktuellen Zeitgeist problematisch ist. Woody Allen ist ja bekanntermaßen ein kontroverser Charakter: verheiratet mit Soon-yi Previn, der Adoptivtochter seiner früheren Partnerin Mia Farrow, welche ihm seit den frühen 90ern Kindesmissbrauch vorwirft. Es gibt ja die Ansicht, dass man Kunst und Künstler voneinander trennen sollte (der ich nicht in vollem Maße zustimme), aber wenn Woody Allen mit seiner Reputation einen Film dreht, in welchem drei ältere Herren (gespielt von Liev Schreiber, Jude Law und Diego Luna) romantisches Interesse an einem Charakter haben, der von der damals 19-jährigen Elle Fanning verkörpert wird, wirkt das zweifellos unangebracht. Ob die Anschuldigungen gegen Allen gerechtfertigt sind, lässt sich wohl nicht mehr zweifelsfrei klären, nichtsdestotrotz hätte zumindest ich mehr Freude an zukünftigen Allen-Filmen, wenn diese keine Herren mittleren Alters enthalten, welche mit Darstellerinnen ins Bett steigen wollen, die gerade der Minderjährigkeit entwachsen sind.