1979 wurde ein Film veröffentlicht, wie ihn die Welt zuvor noch nicht gesehen hat. Eine gewaltige Materialschlacht, ein Film, dessen Dreh so ausufernde Strapazen darstellte, dass der Regisseur die berühmte Aussage tätigte, der Film handle nicht vom Vietnamkrieg, er sei der Vietnamkrieg. Es handelt sich aber auch um einen eigenwilligen Film, voller Wahnsinn, Abstrusität, surrealer Momente und mit einer quasi umgedrehten Dramaturgie: Ein Film der spektakulär beginnt und im weiteren Verlauf immer langsamer wird. Dass so ein bizarres Werk ein voller Erfolg an den Kinokassen war, mittlerweile als einer der größten Klassiker der Filmgeschichte gilt und tausendfach zitiert wurde, spricht eindeutig für die enorme künstlerische Leistung des Regisseurs und die noch heute beeindruckende technische Umsetzung. Die Rede ist natürlich von Francis Ford Coppolas Kultkriegsfilm Apocalypse Now.
Zum 40-jährigen Jubiläum des Filmes wurde Coppola gefragt, welche Schnittfassung des Filmes denn restauriert und wiederaufgeführt werden sollte: Die 153-minütige Kinofassung, welche vor der Veröffentlichung stark gekürzt wurde, um die damaligen Sehgewohnheiten nicht zu sehr auf die Probe zu stellen, oder der 2001 veröffentlichte Redux-Cut? Letzterer stellt eine Neuveröffentlichung dar, welche nochmal von Grund auf neu geschnitten wurde und allerhand zuvor entferntes Material wieder einfügt. Die 202-minütige Fassung wurde weitgehend positiv aufgenommen, kritisiert wurde allerdings die hohe Laufzeit und, dass sich nicht alle neuen Szenen organisch einfügen.
Coppola antwortete also: Keine der beiden Fassungen und fertigte einen neuen Director's Cut an: Apocalypse Now - Final Cut. Eine Fassung, welche (laut Coppolas Grußwort, welches vor dem Film lief) die sein soll, welche er sich immer gewünscht hatte: Ein Cut, welcher zusätzlich zu den Szenen der Kinofassung die wesentlichen Szenen aus Redux wieder einfügt. Die endgültige Apokalypse! Restauriert nach allen Regeln der Kunst: In 4K eingescannt vom Originalnegativ und mit neuer Tonabmischung in Dolby Atmos, verspricht der Final Cut eine technische Präsentation auf der Höhe der Zeit. Eine Neuveröffentlichung, welche dem technischen Meilenstein, den Apocalypse Now darstellte, gerecht wird, schließlich handelte es sich bei der Originalfassung um den ersten Kinofilm in 5.1-Sound.
Und so begaben wir uns, wie es sich für echte Cineasten gehört, natürlich ins Kino, teils um die neue Schnittfassung zu begutachten, teils um überhaupt einmal Apocalypse Now im Kino zu erleben. Es ist wirklich hoch anzuerkennen, dass das Dresdner Rundkino für die Vorführung eines 40 Jahre alten Klassikers seinen großen Saal (den größten Kinosaal in den neuen Bundesländern) nutzt. Schade nur, dass dieser nicht annähernd gefüllt war. Bei einem solchen Event, wie es die Veröffentlichung des Final Cuts darstellt, hatte ich mit hunderten Gästen gerechnet, aber vermutlich überschätze ich hier das Dresdner Kinopublikum. Schade, so schafft man für Kinos natürlich keinen Anreiz, weiterhin solche Sondervorführungen ins Programm zu nehmen, bzw. dafür die größeren Säle zu verwenden!
Nach der Produktwerbung folgten diesmal keine Trailer (vermutlich die richtige Entscheidung bei einem dreistündigen Film), stattdessen das eingangs erwähnte Grußwort von Francis Coppola (den Ford hat er scheinbar abgelegt). Zwar ganz nett, dass der Altmeister zu Wort kommt, warum das Video allerdings bereits Szenen des gesamten Filmes präsentiert, hat sich mir nicht erschlossen. Vermutlich ging man davon aus, dass das gesamte Publikum den Film sowieso auswendig kennt. Es wirkt umso paradoxer, wenn in dem Videoclip von der Bild- und Tonrestauration geschwärmt wird, die gezeigten Clips allerdings in Bild- und Tonqualität nicht annähernd dem eigentlichen Film (der ja sowieso direkt im Anschluss gezeigt wird!) entsprechen. Wie dem auch sei, nach dem Grußwort begann schließlich der Film. Und direkt in der ersten Szene kommt der Atmos-Sound spürbar zum Tragen: Zu "The End" von den Doors schrauben sich Hubschrauber durchs Bild, der dreidimensionale Ton sorgt für akustische Immersion. Man hat tatsächlich das Gefühl, dass die Luftgefährte sich von links kommend, über einen hinweg auf die rechte Seite des Kinosaals bewegen. Überraschend ist allerdings die Körnigkeit des Bildes. Klar, in den 70ern wurde eben noch analog gedreht, die Restauration bleibt hier ganz authentisch und hat erfreulicherweise das Filmkorn nicht retuschiert.
Über Apocalypse Now wurde schon so viel geschrieben, dass ich dem wenig hinzuzufügen habe. Dementsprechend möchte ich hier kaum auf den Film selbst eingehen, denn an der grundlegenden Handlung des Filmes ändert auch der Final Cut nichts. Es geht immer noch darum, wie ein Patrouillenboot unter dem Kommando von Cpt. Willard (Martin Sheen) während des Vietnamkrieges flussaufwärts Richtung Kambodscha fährt, um dem Kommando des wahnsinnigen Col. Kurtz (Marlon Brando) ein Ende zu bereiten. Auf dieser Reise ins Herz der Finsternis erleben die Soldaten den geballten Wahnsinn des Krieges und verlieren allmählich selbst den Verstand.
Apocalypse Now ist ein einzigartiger Film. Coppola ging es weniger darum, eine realistische, glaubhafte Darstellung des Vietnamkonflikts zu schaffen, vielmehr entstand in all den Jahren, die der Film in Produktion war (allein der Schnitt dauerte zwei Jahre!) ein bizarres, psychedelisches Kunstwerk. Ein Film, der erstmal mit einer mehrminütigen Sequenz aus weichen Überblenden zwischen brennendem Dschungel, Martin Sheens Gesicht und Tempelskulpturen zu Doors-Musik beginnt. Ein Film, dessen spektakulärste Szene, der berühmt-berüchtigte Angriff auf das vietnamesische Dorf zu Wagner-Musik, stattfindet, weil der befehlshabende Lt. Col. Kilgore (genial verkörpert vom hierfür Oscar-nominierten Robert Duvall) ein Surf-Fanatiker ist. Der nächtliche Kampf um die Do-Lung-Brücke (welche in einem immerwährenden Kreislauf zerbombt und wiederaufgebaut wird) stellt schließlich vorerst den Höhepunkt des Wahnsinns dar (zumindest, bevor es nach Kambodscha geht). Ein groteskes Chaos, in dem keiner mehr weiß, wer wieso für wen kämpft.
Wie bereits erwähnt, orientiert sich der Final Cut an der Redux-Fassung, fügt jedoch nicht dessen gesamtes Material wieder ein. Während z.B. enthalten ist, wie Willard Kilgores Surfbrett entwendet, fehlt das zweite Treffen mit den Playmates im Urwald. Eine gute Entscheidung, in Redux wurde diese Szene, die ich zudem sehr unnötig und eigenartig fand, wenig elegant eingebaut, sodass sich dadurch Anschlussfehler ergeben. Der berüchtigte Abschnitt auf der französischen Plantage, der den größten Teil der zusätzlichen Laufzeit der Redux-Fassung darstellt, ist hingegen enthalten. Auch hier bremst er die Handlung wieder aus, da der Abschnitt für den Final Cut allerdings auf (gefühlt) die Hälfte eingekürzt wurde, fällt dies aber weniger unangenehm auf. Dass der Abschnitt im Gegensatz zur Kinofassung überhaupt enthalten ist, halte ich für den richtigen Ansatz, da er nicht nur relevant für die Handlung ist und sein Fehlen für Unstimmigkeiten sorgen würde, sondern auch eine weitere, interessante Perspektive auf den Krieg (insbesondere seine Ursprünge) wirft. Ein weiterer Unterschied des Final Cuts ist, dass man wie in der Kinofassung Col. Kurtz nie bei Tageslicht sieht. Dass man diese Entscheidung für Redux durch das Einfügen zusätzlicher Szenen über den Haufen geworfen hatte, halte ich für einen der größten Schwachpunkte der Langfassung.
Man kann also zusammenfassend sagen, dass der Final Cut seinem Namen gerecht wird. Er ist in der Tat die bisher gelungenste Schnittfassung des Filmes, der perfekte Mittelweg zwischen Kinofassung und Redux. Wie es Coppola auch selbst im Grußwort erklärte, enthält der Final Cut alle relevanten Szenen der Langfassung, ohne dessen Schwachstellen zu übernehmen. Er sollte die Fassung des Filmes sein, die in die Annalen der Kinogeschichte eingeht, die Fassung, die noch in Jahrzehnten von Cineasten geschaut und bestaunt werden wird.
Ungeachtet der neuen Schnittfassung bietet der Final Cut natürlich auch Nachwuchscineasten wie mir die Möglichkeit, den Film überhaupt einmal auf der großen Leinwand zu bestaunen. Gerade bei diesem Film lohnt sich das auch wahrlich, denn audiovisuell braucht er sich vor aktuellen Kriegsfilmen nicht zu verstecken. Im Gegenteil! Wenn man sich die restaurierten Bilder ansieht, kann man kaum glauben, dass der Film schon 40 Jahre auf dem Buckel hat. Die Choreografie der Kriegsszenen, die Explosionen, die Verwüstung, Kamerafahrten, Luftaufnahmen... All das sieht heute noch so gut aus, als wäre der Film erst vor kurzem entstanden. Wenn man sich nun noch bewusst macht, dass hier keinerlei Computereffekte zum Einsatz kamen, kommt man aus dem Staunen kaum heraus. Was für ein Mammutwerk! Auch der Atmos-Ton haut ordentlich rein und wird dem Film, der den Surroundton im Kinosaal salonfähig gemacht hat, gerecht. Insbesondere beim berühmten Napalmangriff spürt man das tieffrequente Grollen tatsächlich. Auch wenn von den Raumklangmöglichkeiten des Atmos-Formates außer in der Eröffnungsszene (zumindest in der deutschen Fassung) selten Gebrauch gemacht wird, so wird allein durch die Bandbreite in Sachen Frequenz und Lautstärke ein hoher Grad von Immersion erzeugt. Nach der langen Sequenz, in welcher Kilgore das Dorf auseinander genommen hat, fühlt man sich tatsächlich erschöpft, beinahe als hätte man die Schlacht selbst miterlebt. Genau so holt man einen Kriegsfilmklassiker ins 21. Jahrhundert! Da wünscht man sich doch glatt, es würden weniger Remakes und dafür mehr Restaurationen auf diesem Niveau in die Kinos gebracht werden.
Sowohl Kenner des Originals als auch filmgeschichtlich interessierte Kinogänger, die den Film gerne nachholen würden, haben mit Apocalypse Now - Final Cut jetzt jedenfalls eine Fassung, die ihrem Namen gerecht wird. Solltet ihr noch die Gelegenheit haben, ihn im Kino zu sehen (leider läuft er ja in den meisten Kinos nur in 1-2 Vorstellungen), dann nutzt diese! Ansonsten habt ihr schon ab dem 22. August die Möglichkeit, den Film im Heimkino zu genießen, wenn er auf DVD und BluRay veröffentlicht wird.