„That’s why I’m easy. I’m easy like Sunday morning…”
Leute, es ist Juni. Also ist mal wieder Pride Month. Und wie jedes Jahr tue ich mich damit etwas schwer, denn auf der einen Seite bin ich immer froh und dankbar für die Sichtbarkeit, auf der anderen Seite nervt mich die recht politisch keusche Kommerzialisierung. Die Regenbogenflaggen, die Ende Juni wieder von Ladeneingängen und Firmenfahnen verschwinden. Werbungen mit konventionell attraktiven queeren Menschen, die für Wodka oder Jeans werben sollen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, und das ist fatal für eine queere Person, dass ich von Regenbögen Kopfschmerzen kriege.
Insofern habe ich etwas gehadert, ob auch ich einen obligatorischen Pride-Month-Beitrag beisteuern möchte. Glücklicherweise existieren für das KiK queere Menschen ganzjährlich (ich verweise auf die exzellenten Rezensionen zu Booksmart und Carol von Philipp und Lukas), somit kann ich ganz skrupellos über Homozeug schreiben. Also schauen wir uns heute die Geschichte rund um Roddy Bottum an, Keyboarder der Alternative Metalband Faith No More und die queere Ikone, von der ihr wahrscheinlich noch nie gehört habt. Und ein Musikvideo der Band, das fast wie ein persönliches Bekenntnis daherkommt.
Vor dem Video
1992 ist ein seltsamer Moment für Faith No More. Nach Jahren als musikalisches Equivalent eines Schnellrestaurants, in denen mehrere Sänger*innen durchgetestet wurden, besetzt nun Mike Patton aus dem beschaulichen Eureka in Kalifornien die Stelle. Er ist begnadeter Lyriker, ein technisch versierter Sänger, der die stetigen Genresprünge der Band aushält, und ein wahres Pressemonster. In Interviews erzählt er gerne über seine Obsession mit Fäkalien, Voodoopuppen und Madonna. Dazu sieht er wahnsinnig gut aus und isst bei Auftritten Müll, der auf die Bühne geworfen wird. Kurzum: Er ist perfekt. Das Vorgängeralbum The Real Thing hat sie in ungeahnte Erfolgssphären katapultiert. Experimentiert haben sie schon immer gerne, aber erstmals werden sie als Visionäre gefeiert, ihr Song „Epic“ wird als stilgebend bejubelt. Die noch jungen Red Hot Chilli Peppers müssen sich an ihnen messen lassen.
Und doch herrscht bei den Aufnahmen zum neuen Album gedrückte Stimmung. Drummer Mike Bordin und Bassist Billy Gould wissen gelinde gesagt nicht ganz, wohin die Reise diesmal gehen soll, mit so einem Überraschungshit im Rücken. Patton und Keyboarder Bottum sind da schon eher auf einer Wellenlänge und wollen auf dieser Platte noch avantgardistischer werden, die Grenzen des Metal sollen durch sie biegen und brechen. Das stößt nicht gerade auf Euphorie bei Gitarrist Jim Martin. Ihm gefällt dieser softe Sound nicht, den er als „schwule Disco“ abkanzelt. Und auch der Titel des Albums, Angel Dust, eine von Bottum ausgesuchte Anspielung auf PCP, sagt ihm gar nicht zu. So gestalten die Tage im Studio sich eher zäh.
Es ist auch nicht wirklich hilfreich, dass sie alle etwas deprimiert vom aktuellen Stand der Musikszene sind. Noch vor ein paar Jahren besang Axl Rose von Guns N‘ Roses im Song „One in a Million“ „Schwuchteln, die Krankheiten verbreiten“ und bezeichnete sich als ‚pro-heterosexuell‘. Metallica galten als die hypermaskulinen Fürsten des Metal, ehe sie es wagten, in „Nothing Else Matters“ etwas emotional zu werden- um gleich von Kritiker*innen und der eigenen Fanbase als Memmen deklariert zu werden. Das scheint umso greifbarer, weil Faith No More mit beiden Bands touren. Ansonsten hält gerade die Grunge-Bewegung aus Seattle die Zügel in der Hand. Gruppen wie Soundgarden, Alice in Chains und Nirvana positionieren sich selbstreflektierter, feministischer und insgesamt leidender. Letztere haben gerade ihr Jahrhundertwerk Nevermind veröffentlicht, von dem noch niemand weiß, dass es ein Jahrhundertwerk ist. Attitüdenmäßig steht Faith No More ihnen näher, aber musikalisch haben sie das alles schon mal gehört.
Bottum ist noch mit einem zusätzlichen Konflikt beladen. Was ihm als Teenager schon schwante, solidierte sich durch eine kurze Beziehung mit Courtney Love, die 1983 für Faith No More am Mikro stand: Er ist schwul. Und in einer Metalband. 1992 sollte sich das gegenseitig ausschließen, einfach, weil es sonst wirklich niemand ist. Zumindest scheint es so. Dem homosexuellen Musiker mit dem wahrhaft unglücklichen Namen ist irgendwie bewusst, dass es sich hier um eine verzwickte Huhn-Ei-Situation handelt. Vermutlich gibt es mehr wie ihn, aber niemand ist geoutet, weil niemand der oder die Erste sein will. Während die anderen Jungs sich im Studio über Samples streiten, kristallisiert sich in seinem Hinterkopf ein Vorhaben. Es wird aber noch einige Monate dauern, bis er beim Magazin The Advocate anruft und sich die Bürde des Ersten auferlegt. Denn irgendwo, er ist sich sicher, wartet jemand auf ein Zeichen. Auf Angel Dust unternimmt Bottum seine ersten Gehschritte, und das nicht gerade subtil. Er schreibt eine Lobhymne auf schwule Blowjobs namens „Be Aggressive“, mit Orgel, Cheerleaderchor und allem drum und dran, in erster Linie um zu sehen, ob Patton das überhaupt singt. Tut er, mit gusto.
Ergo kann man sich beim Videodreh zu „Easy“ noch etwas weiter aus dem sprichwörtlichen Hotelfenster lehnen.
Das Video
Einsatz Keyboard. Wir sehen die wohlgeformte Silhouette einer Frau durch einen seidenen Vorhang. Außensicht. Ein Wohnkomplex. Die Frau räkelt sich auf dem Balkon. Im nächsten Shot sitzt sie neben Roddy Bottum am Piano.
Moment.
Es folgen diverse Szenen mit weiteren Damen, die sich offenbar entschlossen haben, mit den Jungs von Faith No More ein bisschen Zeit vorm nächsten Gig totzuschlagen. Soweit, so typisch. Musiker, die sich gutaussehende Frauen ins Hotel bestellen, sind himmelsschreiend gewöhnlich. Aber auch müden Zuschauer*innen wird bald bewusst, dass die Ladys alles andere als „gewöhnlich“ sind. Es ist nicht ganz klar, ob wir es mit Transfrauen, einer Gruppe Dragperformer*innen oder Transvestiten (ja, das sind alles unterschiedliche Dinge) zu tun haben. Aber irgendwas ist hier queer. Und das liegt nicht nur an ihnen oder an den Zwischenschnitten zu Flamingos, die behäbig durch den Vorgarten stelzen. Wofür stehen sie? Ist das queerer Symbolismus, gar eine Anspielung auf John Waters filmisches Manifest Pink Flamingos? Ist es eine selbstkritische Reminiszenz über den Kitsch und Exzess amerikanischer Popkultur? Oder ist es einfach nur hübsch?
Ebenso viele Rätsel wirft der Farbfilter auf, der über die Hotelszenen gelegt ist. Auch hier wird ein Flamingokosmos ausgeschöpft, von blutorangig über lachsfarben ist alles dabei. Man chillt also zusammen, Bottum klimpert ein bisschen, Mike Patton macht sich mal im Bad frisch, mal nippt er an Kaffee, mal füttert er eine Dame mit Schokopralinen. Zwischendurch tummelt man sich gemeinschaftlich auf dem Kingsize-Bett. Alle wirken etwas gelangweilt oder noch schlaftrunken, zum Ende hin aber recht vergnügt. Polaroid-Photos werden geknipst. Patton bewegt die Lippen zum Song, die Ladys schnippen schon mal mit.
Zwischengeschnitten wird das impliziert, was die Band wohl später erwartet: Konzertaufnahmen, Fans erkennen sie als Teil der letzten Tour, mit euphorisch wippenden Massen und Patton, der über die Bühne sputet, mal in einen Lautsprecher brüllt, mal Urin aus einem Schuh trinkt. Aber durch diese lässige Gleichgültigkeit, die der Song „Easy“ mit sich bringt, wirkt nichts davon hektisch oder berauschend, sondern befremdlich idyllisch. Letztendlich sind wir wieder im Hotel, wo Patton und eine der Performerinnen im Badezimmer vorm Spiegel stehen. Die Kamera fährt aus dem Raum, hinter ihnen schließt sich die Tür. So leben sie also, diese Rockstars.
Was ist denn nun dran an dem Video?
Das „Easy“-Video ist auf drei Ebenen sehr erfolgreich. Zuallererst auf einer der Wesentlichsten: Es repräsentiert perfekt den Song. Lionel Ritchie schrieb „Easy“ 1977 über das Gefühl, eine Beziehung für die Musikkarriere beenden zu müssen. Das wird aber nicht begleitet von Verzweiflung oder Reue, sondern von fatalistischer Gelassenheit- vergleichbar mit dem friedvollen Sterben von Kleinstädten. Beim Schauen des Videos wird man direkt in dieses Hotelzimmer versetzt. Es ist Sonntagmorgen und vielleicht ist das alles etwas seltsam, aber irgendwie ist das auch alles gut so.
Dann ist da dieses Spiel mit Klischees. Rockmusiker haben sowohl zu Hotelzimmern als auch zu Frauen eine wohldokumentiert komplizierte Beziehung. Keith Moon von The Who war berüchtigt dafür, jedes Hotelzimmer in seiner Reichweite zu pulverisieren. Mötley Crüe zelebrierten ihr wildes Tourleben samt zerschmetterter Fernseher und Groupies. Den Opening Shot von „Easy“ hätten sie mit Sicherheit unironisch mit einem cisweiblichen, generisch attraktiven Model genau so umgesetzt. Der Rest des Videos wäre ihnen vermutlich zu ruhig gewesen. Denn wozu der Aufwand, wenn man den Mythos des Musikers nicht hochhält und seine Männlichkeit durch Sex und Zerstörung demonstriert? Faith No More entlarvt dieses Narrativ hier in all seiner Lächerlichkeit. Mike Patton mag berühmt für sein befremdliches Auftreten sein, aber der Mann ist tatsächlich nur von Koffein abhängig. In der ganzen Bandgeschichte gibt es keine Skandalehen oder Sexaffronts, und alle Geschichten über Vandalismus sind weitestgehend von Patton erfunden. Der einzige Aufschrei um „Easy“ kam von alten Faith No More-Fans, die eine Metalband nicht mal in der Nähe eines unironischen Balladencovers sehen wollten, oder wie die Mitglieder ihrer Lieblingsband dazu miteinander slowdancen. Aber diese Gruppe nimmt keinen Rockermythos ernst, und sich selbst schon gar nicht.
Wenn es eine ernste Note gibt, dann auf dieser beiläufig queerfreundlichen Ebene. Das Video hat viele süße Details, wie der affektionierte Umgang zwischen den Damen und den Musikern oder den Freundschaftspiercings, die Bottum und Patton sich in die Augenbraue haben stechen lassen. Billy Gould sagt 1993, dass das Video am ehesten die Persönlichkeit der Band spiegle: „Die Leute können durch ein seltsames Medium etwas Mitfühlendes finden. Es ist fast bewegend, wie ein Transvestit da sitzt und Champagner schlürft, während Mike singt.“.
Und das ist für mich nach wie vor der prägende Effekt von „Easy“: Dieses Gefühl der nonchalanten Akzeptanz. Die Band bringt queere Menschen mit in ihre heteronormative Sphäre und hängt einfach mit ihnen ab, weil es entspannt ist und Spaß macht. Als Teenager schaute ich das Video und hielt das für eine Utopie. Mit 17 habe ich mich geoutet. Und ich habe eine Jugend damit verschwendet, mich in meinem Zimmer zu isolieren und mich in Missgunst zu zergehen, weil ich so felsenfest davon überzeugt war, dass es in dieser Welt keinen Platz für mich gibt.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie Roddy Bottum sich 1992 in diesem Hotelzimmer gefühlt hat, oder all die Jahre zuvor, in einer Branche, die in seinen Augen wahrscheinlich nicht für ihn geschaffen war. Aber er hat sich einen Platz darin zementiert und „Easy“ ist die unaufgesetzte Art seiner Kollegen, Support zu zeigen. Beats and Screens sucht nach ikonischen Musikvideos, und ich kann mir nichts Ikonischeres vorstellen als Freundschaft, Verständnis und Treue zu sich selbst.
Was die Flamingos angeht, bin ich allerdings nach wie vor überfragt.
Fakten für die nächste Gartenparty
· „Easy“ war nicht das erste Musikvideo der Band, das Wellen schlug. Tierschützer*innen tobten, als ein Goldfisch am Ende des Videos zu „Epic“ aus seinem Aquarium fällt und einige Sekunden luftschnappend am Boden zappelt. Das Tier, das im Übrigen der Sängerin Björk entwendet wurde und den Namen Linear Soul Child trug, fand aber schnell wieder den Weg ins Aquarium zurück. Zumindest, wenn man Björk und der Band glaubt.
· Künstler chillt im Hotelzimmer, umringt von unkonventionellen Damen und random platzierten Flamingos? Potzblitz, da hat sich der 2017 viel zu früh verblichene bisexuelle Rapper Lil Peep mit „girls" wohl hier bedient!
· Trotz oder gerade wegen des leidigen kreativen Prozesses verkaufte Angel Dust sich weltweit über 2.5 Millionen mal und ist bis heute das kommerziell und kritisch erfolgreichste Album der Band. Es gilt außerdem als eines der einflussreichsten Metalalben aller Zeiten.
· Neben der bereits erwähnten Blowjob-Hymne findet man Songs wie "Land of Sunshine" (bestehend aus Scientology-Katalogfragen) oder "Crack Hitler" darauf, eine B-Seite enthält "Das Schützenfest". Ihr würdet mir nicht glauben, wenn ich den Inhalt dieses Schmankerls hier zusammenfasste, aber es ist auf so etwas Ähnlichem wie Deutsch gesungen und Heino wird genamedropped.
· Das Album sollte das letzte Faith No More-Projekt mit Jim Martin werden. Er verließ die Band, um Kürbisbauer zu werden. 2003 züchtete er einen rund 480 Kilo schweren Riesenkürbis.
· Mike Pattons Stimme umfasst sechs Oktaven. Zum Vergleich: Mariah Carey, Whitney Houston und Axl Rose werden meist 5 und Freddie Mercury 3 zugeschrieben.
· Bottums Bekanntheit als schwuler Metalmusiker wird zugegebenermaßen von Rob Halford von Judas Priest überholt. Dieser outete sich 1998- ermutigt von Bottums Coming Out.
· Roddy Bottum und sein Herzblatt, der Sänger Joey Holman, nutzten einfach mal die Quarantäne, um zusammen die Band MAN ON MAN zu gründen. Zu ihrem Katalog zählen bisher künftige Klassiker wie „Daddy“, „Baby, You’re My Everything“ und „It’s So Fun (To Be Gay)“. It is indeed.