Kaum ein Film hat unter Filmvorführer:innen so einen Kultstatus wie Cinema Paradiso. Giuseppe Tornatores wunderschöner Klassiker über einen alten Filmvorführer (Philippe Noiret), der sich des Jungen Toto annimmt und ihn in die Kunst der analogen Filmprojektion einweiht. Ein Film, welcher das Kino feiert wie kaum ein anderer, viele interessante Details über das Filmvorführen beinhaltet und dessen Filmmusik (von Maestro Ennio Morricone) zu den besten der Filmgeschichte gehört. Unvergessen bleibt natürlich das Finale des Filmes, eine Montage diverser Kuss-Szenen der Filmgeschichte. Doch Cinema Paradiso hat nicht nur in der westlichen Filmwelt große Wellen geschlagen, sondern offenbar auch den indischen Regisseur Pan Nalin schwer beeindruckt, dessen neuer Film Das Licht, aus dem die Träume sind eine sehr ähnliche Prämisse hat wie der italienische Klassiker.

Samay (Bhavin Rabari in seiner ersten Rolle) lebt mit seiner liebevollen Mutter (Richa Meena) und seinem strengen Vater (Dipen Raval) in einfachen Verhältnissen in Gujarat im äußersten Westen Indiens. Obwohl seine Familie zur hochgestellten Brahmanen-Kaste gehört arbeitet sein Vater nur als Betreiber eines Teestandes an einem Bahnhof mitten im Nirgendwo, da er sein Land und Vieh vor vielen Jahren verloren hat. Die Kino-Industrie sieht er als moralisch verkommen an und lehnt die meisten Filme aus religiösen Gründen ab. Als eines Tages jedoch im Provinzkino der nächstgrößeren Stadt ein hinduistischer Film über die Göttin Parvati gezeigt wird, nimmt Samays Vater ihn zum ersten Mal mit ins Kino. Samay ist sofort verzaubert und fasst den Entschluss, selbst Regisseur zu werden, was seinen Vater sehr erzürnt, schließlich sei er als Brahmane zu Größerem bestimmt. Also beginnt Samay die Schule zu schwänzen, um heimlich ins Kino zu gehen. Als er Hausverbot bekommt, da er sich wiederholt ohne Eintrittskarte in den Saal geschlichen hat, hilft ihm der sympathische Filmvorführer Fazal (Bhavesh Shrimali), welcher ihm (im Gegenzug gegen die köstlichen Lunchpakete von Samays Mutter) erlaubt, die Filme vom Bildwerferraum aus mit anzusehen. Bald sind Samay und Fazal gute Freunde und Fazal lehrt ihn das Filmvorführer-Handwerk. Doch die Tage des analogen Kinos neigen sich dem Ende zu...

Cineast:innen dürften die filmischen Vorbilder von Das Licht, aus dem die Träume sind kein großes Rätsel sein. Die Grundprämisse vom kleinen Jungen, der durch einen älteren Filmvorführer die Liebe zum Kino entdeckt, stammt aus Cinema Paradiso, andere Elemente der Handlung erinnern stark an Peter Bogdanovichs The Last Picture Show (an welchen der Originaltitel dieses Filmes, "Last Movie Show", deutlich anspielt). Doch auch stilistisch gibt es ein paar Anspielungen an große Werke der Filmgeschichte, wie etwa dass während Samays cineastischem Erweckungsmoment "Also sprach Zarathustra" eingespielt wird (eine deutliche Anspielung an Kubricks 2001: A Space Odyssey) oder die Artemjew-eske Filmmusik, welche besonders während der Zugfahrten an Tarkowskis Stalker erinnert.

Ein Erweckungsmoment: Samay im titelgebenden Projektorlicht © Neue Visionen

Und da zeigt sich bereits ein Schwachpunkt des Filmes: Es bleibt etwas nebulös, wer eigentlich die Zielgruppe des Filmes ist. Während Cinema Paradiso zwar auch das frühe Kino feiert, bleibt er doch universell genug, damit auch Kinder und Jugendliche ihre Freude mit dem Film haben können. Das Licht, aus dem die Träume sind verlässt sich deutlich stärker auf seine Vorbilder und filmhistorischen Referenzen, sodass sich die Frage stellt, ob es sich hierbei letztlich um einen Film für Kinder handelt oder doch um einen Film für erwachsene Cineasten, welche sich über Kubrick- und Tarkowski-Anspielungen freuen. Doch für einen Film für Erwachsene fühlt sich der Film teils arg naiv und fantastisch an. Beispielsweise baut Samay im späteren Verlauf mit seinen gleichaltrigen Freunden aus Schrottteilen einen funktionierenden 35mm-Projektor. Für Kinder dürfte der Film über weite Strecken zwar ganz gut funktionieren, indem sie gemeinsam mit Samay das Kino und die analoge Filmvorführung kennenlernen, da die filmhistorischen Anspielung anfangs eher subtil sind. Wenn sich der Film gegen Ende jedoch zu einem Requiem für das analoge Kino entwickelt und mit einer Lobpreisung der wichtigsten Regisseur:innen der Filmgeschichte endet, stellt sich doch die Frage, ob Pan Nalin diesen Film tatsächlich für Heranwachsende konzipiert hat und falls ja, welchen Reiz diese aus dem Film ziehen sollen.

Doch nun genug der Kritik, denn im Allgemeinen ist Das Licht, aus dem die Träume sind ein wirklich schöner Film geworden, der sich insbesondere für Kinofans lohnt, die schon immer einmal hinter die Kulissen blicken wollten. Für Filmvorführer:innen gibt es auch einiges zum Schwelgen, wenn Fazal (überhaupt ein herrlich zauseliger Charakter!) seinen jungen Schützling in die Filmprojektion einführt. Natürlich werden Überblendzeichen erklärt, ebenso wie die Filmrollen in Dosen vom Verleih an die Kinos geschickt werden oder das Prinzip, dass der Film im Projektor immer ruckartig Frame für Frame vorwärts getrieben wird, anstatt kontinuierlich durchzulaufen. Sogar das Flicken eines Filmes via Klebepresse ist im Film zu sehen! Ein wahres Fest also für Analog-Nerds und 35mm-Freaks. Der Freundschaft von Samay und Fazal beim Keimen und Gedeihen zuzusehen ist auch eine Freude. Während ihre Beziehung anfangs rein auf persönlichem Nutzen beruht (Samay kann gratis Bollywood-Actionfilme schauen und Fazal bekommt das leckere Essen von Samays Mutter), werden beide im Verlauf des Filmes beste Freunde. Dem kommt zugute, dass Bhavin Rabari und Bhavesh Shrimali eine hervorragende Chemie miteinander haben und sympathisch rüberkommen.

Ein sympathischer Zausel: Der schlaksige Fazal führt Samay ins Filmvorführen ein © Neue Visionen

Über die Liebeserklärung ans Kino hinaus, enthält Das Licht, aus dem die Träume sind auch einige Kritik an der modernen, indischen Gesellschaft. So ist das Kastenwesen immer noch fest verankert im Denken der Bevölkerung, was insbesondere verdeutlicht und kritisiert wird anhand des Charakters von Samays Vater. Trotz seiner Herkunft als Brahmane leitet er einen Teestand, da er sein Hab und Gut verloren hat und wird daher von allen anderen belächelt. Dennoch will er seinem Sohn verbieten, sich weiter mit dem Kino zu beschäftigen, da es ihrer Kaste nicht angemessen sei. Letztlich gibt es jedoch laut Samays Lehrer im modernen Indien nur zwei relevante Kasten: Leute die Englisch sprechen können und die die es nicht können. So droht Samays Vater der Ruin, da der Bahnhof geschlossen wird und er die englischsprachige Ankündigung nicht lesen konnte. Fazal hingegen droht wegen fehlender Englischkenntnisse das Aus als Filmvorführer, da er die moderne Technik nicht bedienen kann. Klar, Subtilität sieht anders aus, aber die Botschaft des Filmes, wie wichtig der Zugang zu Bildung und Kultur für junge Menschen ist und dass Englischkenntnisse in der heutigen, globalisierten Welt essentiell sind, ist doch recht effektiv umgesetzt.

Indischer Foodporn vom Feinsten: Samay kocht mit seiner Mutter © Neue Visionen

Insgesamt ist Das Licht, aus dem die Träume sind ein gelungener Film, der sich besonders für Kinoenthusiast:innen und Freund:innen von Analog-Technik lohnt. Das indische Setting wird schön eingefangen, die Charaktere sind (abgesehen vom boshaften Vater) sympathisch und es gibt ein paar herrliche Foodporn-Szenen, wenn Samays Mutter ihrem Sohn aufwändige Essenspakete vorbereitet (welche dann doch beim Filmvorführer Fazal landen). Einziges Manko ist, dass sich der Film oft nicht ganz einig ist, ob er jetzt für Kinder oder cineastisch interessierte Erwachsene inszeniert wurde.

Wer jetzt Lust bekommen hat, kann sich den Film ab dem 12. Mai 2022 in den deutschen Kinos ansehen.