„Are you bent on reviving forgotten horrors?”
Nein, der örtliche Richter (Patrick Wymark) ist ganz und gar nicht überzeugt, als ihm der Bauer Ralph Gower (Barry Andrews) erzählt, er habe mysteriöse Knochen eines Dämons beim Umgraben des Feldes entdeckt. Wir befinden uns in einer ländlichen Ortschaft Englands. Das 18. Jahrhundert hat begonnen. Die Aufklärung steht quasi im Haus, und der Richter erinnert Ralph, dass man Hexenmärchen inzwischen überwunden haben sollte. Es hilft auch ganz und gar nicht, dass sich die mysteriösen Knochen beim erneuten Aufsuchen der Fundstelle in Luft aufgelöst haben. Und so wird der Fall vorerst ad acta gelegt.
Leider sind die seltsamen Gebeine ganz und gar kein Gehirnspinnst von Ralph; In der Zwischenzeit hat eine Gruppe gelangweilter Teenager rund um die bildschöne Angel Blake (Linda Hayden) die Knochen gefunden. Noch in derselben Nacht ereignet sich eine Tragödie im Haus des Richters. Aber wegen eines hässlichen Vorfalls gleich den Teufel an die Wand malen? Nein, der Richter absentiert sich lieber erstmal nach London. Doch bald fällt auch dem lokalen Pfarrer (Anthony Ainley) auf, dass sich alle Teenager im Ort auf einmal recht merkwürdig verhalten. Schleichend, und dann unaufhaltsam, werden der Pfarrer, Ralph, dessen Freundin Cathy und ihr Bruder Mark (Wendy Padbury und Robin Davies) in einen Malstrom des Grauens gezogen. In dessen Zentrum steht ein Kult, die auf einmal nahezu infernale Angel und am Ende vielleicht das Böse selbst.
Mit The Blood on Satan‘s Claw liefert uns Tigon British Film Productions einen Film, der gut und gerne als Geburtsstunde eines Genres bezeichnet werden kann: Folk Horror. Abgeschiedene Orte treffen auf Horrorgestalten aus alter Zeit, es liegt dieser Touch von Religion, Fanatik und verbotener Sexualität in der Luft. Alternativ ist der Film auch als Satan’s Skin, In den Krallen des Satans und In den Krallen des Hexenjägers bekannt. Der letzte Titel ist zwar grob irreführend, weil in diesem Film keine Hexenjäger auftreten, in deren Krallen man sich verfangen könnte, aber weist auf eine eiskalte Marketingmasche hin. Drei Jahre zuvor hatte Tigon mit Witchfinder General (dt.: Der Hexenjäger) einen Historienhorror herausgebracht, der gleich auf zwei Ebenen ein unerwarteter Erfolg wurde: Erstens, ganz banal, an den Kinokassen. Zweitens, es gelang Tigon endlich, eine ernsthafte Konkurrenz zu den berüchtigten Hammer-Studios herzustellen. Also war klar: Nachschub muss her. Drehbuchautor Robert Anthony Wynne-Simmons hatte gerade eine schön schaurige Horror-Anthologie fertiggestellt, deren Setting viel versprach. Hier kamen zwar nicht annähernd genug Hexenjäger oder Hexen vor, sondern eher ein satanischer Kult, aber hey. Alle Teile der Anthologie in einen Spielfilm gepresst und ein paar Dialogzeilen und Szenen später haben wir eine würdige Witchfinder General-Nachfolgerin. In Deutschland sah man offenbar den Faden und nahm ihn dankend auf, was In den Krallen des Hexenjägers erklärt.
Wer nun aber denkt, dass auf diesem Wege nur eine potthässliche Chimäre an Film entstehen kann, deren einzige Funktion die vage Ähnlichkeit mit einem besseren Vorwerk ist, der irrt! The Blood on Satan’s Claw hat seine Höhen und Tiefen, und beide haben viel mit Linda Hayden zu tun, aber dazu später mehr.
Worin The Blood on Satan‘s Claw brilliert sind die Atmosphäre, die der Film aufbaut, und die schleichende Art und Weise, wie sich ein uralter und doch nahezu moderner Horror mitten in eine Gemeinde schleicht. Das Setting wird jede*r erkennen, der oder die selbst vom Land kommt: Weite Felder, viel Mischwald und noch viel weniger zu tun. Klar, es ist Anfang der 1700er, aber wenn man nicht erschöpfender körperlicher Betätigung nachgeht wie Ralph oder die Bibelbank drückt wie Angel, Cathy und Mark, wirkt die Landschaft doch recht eintönig, wenn auch hübsch. Als Zuschauer*in wird man so ausgiebigst mit Landschaftsaufnahmen und Streifzügen durch die Wälder versorgt, dass man nach einer Weile versucht ist, zu glauben, hinter dem Plot steckt nicht der Teufel, sondern schiere Langeweile, die Angel und ihre Gefolgschaft zum Bösen antreiben. Unterstreicht wird dies von einem auffallend hochqualitativem Score von Mark Wilkinson. Man ist schnell so eingelullt in diese Idylle, dass man sich als Teil der Gemeinschaft und des gesamten Gruselmärchens fühlt. Doch so sehr sich The Blood on Satan’s Claw mit seinen Krallen in dem Setting grauer Vortage festkrallt, dieser Film ist offensichtlich ein Kind der frühen 70er und bezieht aus diesem Umstand seine spannendsten Motive. Denn woran erinnert uns ein satanischer Kult aus mordenden jungen Leuten, hauptsächlich hübsche junge Frauen, die sich von Gott abwenden, um Satan und dem Sex die entblößten Brüste entgegenzustrecken?
Die 1970er: Die traditionalistische ältere Generation und die liberale Jugend haben sich endgültig verkracht. Religion ist nun nicht mehr die Moral, die die Welt antreibt. Frauen wollen auf einmal Rechte, Sex auf den Straßen und im Kino wird en vogue und es gibt ein gigantisches globales Schreckgespenst: Charles Manson. Ja, richtig gelesen: In The Blood on Satan’s Claw versteckt sich die Manson-Family. Jener verbrecherische Verein, geleitet von einem fanatischen Guru und besetzt mit auffällig vielen jungen Frauen, die Amerika Ende der 1960er mit einer unmenschlichen Mordserie schockieren. Aber nicht nur sie finden wir hier wieder. Denn England ist 1968 mit noch unerklärlicherem Bösen konfrontiert: Zwei Kleinkinder werden in Newcastle upon Tyne ermordet und nahezu rituell aufgebahrt. Die Täterin: Ein elfjähriges Mädchen namens Mary Bell. Das ist die Art von Grauen, die sich menschlich kaum erklären lässt. Kinder, die andere Kinder ermorden und junge Frauen, die in Vorstadthäuser einbrechen und Ritualmorde begehen.
Natürlich haben wir heute ganz andere Erklärungsansätze: Es wurde geforscht zur Massenpsychologie hinter den Manson-Morden und den Biografien, die die Täterinnen anfällig für Charles Mansons Ideen gemacht haben. Mary Bell war ein schwer traumatisiertes und missbrauchtes Kind; Aus ihr wurde eine unauffällige Frau, die nach Haft und Behandlung ein friedliches Leben in Anonymität führt. Aber so kurz nach diesen Geschehnissen eignen sich Kinder, Jugendliche, junge Frauen und satanische Kulte hervorragend als Bösewichte für die große Leinwand. 1970 und aufwärts kann der Teufel überall lauern. Dieses Phänomen wird in den 1980ern zu einer Hysterie reifen, die bis heute als „Satanic Panic“ bekannt ist. Die Lage wird sogar so brenzlig, dass sich Anton LaVey, quasi der Vater des Satanismus und Verfasser der Satanischen Bibel, von Vorwürfen der rituellen Säuglingsopferung distanzieren muss. Wilde Zeiten.
Und selten ist eine junge Frau so dämonisch, mörderisch, mysteriös, gefährlich, abstoßend und faszinierend wie Angel Blake. Auch wenn sie als Antagonistin nicht einen Großteil der Screentime genießt, dominiert sie letztendlich doch. The Blood on Satan’s Claw wurde als Vehikel für Linda Hayden konstruiert, die amüsanterweise zuvor in einem Hammer-Streifen zu sehen war. Mit ihr sollte die Produktion stehen und fallen, und ihre Performance wird dem mehr als gerecht. Horrorfilme dieser Zeit haben, trotz oder wegen ihres Backgrounds, einige der interessantesten Frauen der Filmgeschichte hervorgebracht. Nie war weibliche Einengung und Erschöpfung greifbarer als durch Rosemary Woodhouse in Rosemary’s Baby (1968), nie Hysterie und sexuelle Frustration menschlicher als die von Schwester Jeanne in The Devils (1971) und nie hatte das Böse eine erschreckendere Gestalt als im Körper der kleinen Reagan in Der Exorzist(1973).
Angel ist ein Enigma. In ihren ersten Szenen auf dem Feld scheint sie harmlos genug, aber Hayden spielt sie mit einem Funkeln in den Augen und einem Halblächeln, das zu weit weggerückt von Unschuld und Ländlichkeit ist. Neben Wendy Padburys Cathy wirkt sie schon vor ihrer Wandlung wie ein Succubus. Ist das alles subjektiver Eindruck? Hat der Teufel (oder besser seine Knochen) Angel zufällig gefunden und zu seinem blinden Werkzeug gemacht oder war da schon immer etwas in ihr, das anders war? Diese Fragestellung wird unterstrichen durch eine Szene, in der Angel sich nachts in das Pfarrhaus schleicht und versucht, Pfarrer Fallowfield zu verführen. Dem großen Ziel ihres Kults, das an dieser Stelle nicht verraten wird, kommt sie dadurch nicht wirklich näher. Warum also der Terz? Einfach, weil’s böse ist und böse sein Spaß macht? Hatte Angel schon länger ein Auge auf den Pfarrer geworfen oder einfach eine frühreife Tendenz zum sexuell Verbotenen? Will sie beweisen, dass sie auch den heiligsten Mann im Ort von Gott bekehren kann?
Am Ende ist die wahrscheinlichste Antwort die Pragmatischste; und auch die Ernüchternste: Exploitation. Nur so kann man es nennen, wenn man eine damals 17-jährige Linda Hayden komplett nackt vor die Kamera stellt und eine mehrminütige Folter- und Vergewaltigungsszene ins Zentrum des Films baut. Auch hier tragen die 1970er ihre Früchte: Die meisten Menschen haben jetzt einen Fernseher. Im Kino machen vor allem die Filme Geld, die das bieten, was im Fernsehen nicht gezeigt werden kann: Sex, graphische Gewalt und nackte Frauen. Am allerbesten natürlich graphische sexuelle Gewalt an nackten Frauen. Entgegen meines Plädoyers für vielschichtige Horrorantagonistinnen ist dieser Film also doch kein feministisches Manifest. Macht es ihn gleich zum misogynen Propagandastreifen? Nicht mehr als manch andere Kinder der Zeit auch. Aber ich bin nichtsdestotrotz erleichtert, dass viele Entscheidungen der Regie heute so nicht mehr möglich wären, außer, man möchte in Cannes hinausgepfiffen und dann immer wieder eingeladen werden. Lars von Trier und Gaspar Noé lassen sich da auch heute nichts nehmen, Freiheit der Kunst und so.
Ich bin da auch Fan von. Für mich ist das Ganze keine Frage von „Kann man das machen?“ sondern von „Wie macht man das?“. Eine Szene, in der eine teuflische Minderjährige den Dorfpfaffen aufreizen will? Super, immer gerne, aber dann lieber mit angedeuteter Nacktheit durch Kameraeinstellungen oder eine Nacktszene mit einer nicht ganz so minderjährigen Darstellerin. Eine verstörende Vergewaltigungsszene, die uns als Zuschauer*innen die ganze Verkommenheit und Skrupellosigkeit des Kults offenbaren soll? Vielleicht muss die nicht länger als ein- bis zwei Minuten sein, um ihre Wirkung zu entfalten. Und wenn man das alles in den Wind blasen und trotzdem Kino ohne jegliche Grenzen machen möchte, dem oder der sage ich: Fair Play. Aber dann sollte man die Kritik vorausahnen und mit ihr leben können.
Regisseur Piers Haggard hat sich dazu 2010 in einem Interview geäußert:
„If I look at the rape scene now, I think it's probably too strong. And it's interesting that I wasn't bothered at the time. I think you will find most directors, if they get their teeth into a sequence which they think is going to be really powerful, they become completely seduced. And I was seduced, by the sheer dramatic power.“
Damals am Set sei er eben im Flow gewesen, es war erst sein zweiter Spielfilm und Vieles in der Szene wurde an Ort und Stelle improvisiert und wirkte stimmig. Hindsight’s 20/20, sagt man in England doch so schön. Für Linda Hayden findet Haggard nur lobende Worte, preist ihre Professionalität im Angesicht der Nacktszene und des fordernden Charakters. Obwohl The Blood on Satan’s Claw ihr eine Art Durchbruch bescherte, verblieb Hayden im Schocker-Millieu, wo sie couragiert alles spielte, was ihr vorgesetzt wurde. Sie ist wohl eine der wenigen Darstellerinnen aus diesem Bereich der Branche, die auf 99 Prozent ihrer Projekte immer noch stolz ist. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Frau, die anscheinend in sehr vielen Belangen furchtlos ist.
Und so appelliere ich dennoch am Ende: Schaut euch diesen Film an. Denn Haggard versieht ihn mit einigen durchaus bemerkenswerten und prägnanten Einstellungen, Wilkinsons Soundtrack ist seiner Zeit und dem Genre offen gesagt voraus und Angel Blake ist eine teuflische Präsenz, für die sich ein zaghafter Blick lohnt.