Wir schreiben das Jahr 2019. Noch ungefähr 18 Monate bis zu den nächsten US-Präsidentschaftswahlen. Demokraten wie Republikaner rüsten sich für den Wahlkampf und zahlreiche Politikerinnen und Politiker gaben bereits ihre Kandidatur bekannt, in der Hoffnung sich im kommenden Jahr gegen Donald Trump durchsetzen zu können. Höchste Zeit also, dass der Wahlkampf auch im Kino Einzug hält. Dass jedoch ausgerechnet Seth Rogen, der sympathische Kult-Kiffer, der sonst eher für Humor gesenkterem Niveaus, wie z.B. die Bad Neighbors-Reihe, bekannt ist und dessen weitester Vorstoß in die Politik bisher die Nordkorea-Farce The Interview darstellte, sich nun dieses Themas annimmt, kommt unerwartet. Kann das gut gehen? Ja, das kann es! Denn Long Shot ist erfreulicherweise ein sehr amüsanter, sympathischer Film geworden, der zudem einen interessanten Blick auf die derzeitige Politlandschaft der USA wirft.
Im Film spielt Seth Rogen den Investigativjournalisten Fred Flarsky. Hat er eben noch sein Leben aufs Spiel gesetzt (und sich beinahe als Jude eine Swastika tätowieren lassen), um einen Zirkel von Neonazis zu enttarnen, wird er vom Chefredakteur seiner Zeitung darüber informiert, dass diese vom schmierigen Medienmogul Parker Wembley (kaum wiedererkennbar: Andy Serkis) aufgekauft wurde. Erzürnt darüber und aus Angst, durch den neuen, konservativen Besitzer nicht mehr ungeschönt über politische Themen berichten zu können, kündigt Flarsky seinen Job. Nun ziel- und arbeitslos kontaktiert er seinen Kumpel Lance (O'Shea Jackson Jr.), der ihn zur Aufmunterung auf eine Party der New Yorker High Society einschleust, wo er auf Außenministerin Charlotte Field (Charlize Theron) trifft. Diese plant, bei der nächsten Präsidentschaftswahl anzutreten, das Problem ist nur: Fields Reden sind zu trocken, laut Umfrageergebnissen fehlt es ihr an Charisma. Da Field und Flarsky sich aus Jugendtagen kennen, wird dieser kurzerhand als "punch-up writer" engagiert, um ihre Reden mit Humor aufzulockern.
Long Shot lebt ganz klar vor allem von seinen hinreißenden Hauptdarstellern (welche auch als Produzenten am Film beteiligt waren). Sicher, Seth Rogen spielt mal wieder eine Version seiner Paraderolle, einen liebenswerten, verplanten Kiffer, mit Hang zum unüberlegten Handeln. Aber warum auch nicht? Diese Rolle hat er über Jahre perfektioniert und es macht wieder einmal viel Spaß ihm zuzusehen. Durch seine Mimik und Körpersprache hat er es schon geschafft, deutlich schwächere Filme unterhaltsam zu machen, als Fred Flarsky hat mir Rogen aber so gut gefallen wie lange nicht. Noch mehr hat mich allerdings Charlize Theron begeistert. Dass Theron eine hervorragende Darstellerin ist, muss wohl kaum erwähnt werden, ihr komödiantisches Talent konnte sie bisher allerdings eher selten zur Schau stellen (hier sei kurz auf ihre Gastrolle in der wohl lustigsten aller amerikanischen Comedy-Serien verwiesen). Ich hatte es nicht erwartet, aber Theron und Rogen passen wirklich gut zusammen und die, anfangs recht gegensätzlich angelegten Charaktere - der impulsive, ungeschliffene Flarsky und die elegante, ehrgeizige Karrierefrau Field - ergänzen sich wunderbar. Dass die Romanze zwischen den beiden Charakteren wenig glaubhaft rüberkommt, liegt dann auch eher am Drehbuch, als an den Darstellern, deren Chemie einfach stimmt.
Doch bei den Darstellern glänzen nicht nur Theron und Rogen, der Film ist bis in die Nebenrollen stark besetzt, sei es ein Bob Odenkirk (Saul Goodman aus Better Call Saul) als inkompetenter Präsident Chambers, der lieber Filmschauspieler wäre oder ein Andy Serkis als Parodie auf News-Corp.-Vorstand Rupert Murdoch (vom Aussehen aber eher eine Karikatur des Trump-Beraters Steve Bannon). Mein Favorit war jedoch eindeutig O'Shea Jackson Jr. (der Sohn des Hip-Hop-Stars Ice Cube!), der Flarskys Kumpel Lance mit viel Witz, Charme und hervorragendem Comedy-Timing verkörpert.
An der Darstellung der Charaktere Chambers, Wembley oder auch des kanadischen Premiers Steward (Alexander Skarsgård) als jungem, gut frisierten Staatsoberhaupt à la Trudeau merkt man: der Film ist hochaktuell und orientiert sich stark an derzeitigen Geschehnissen. Ein Präsident, der dank seiner Bekanntheit in den Medien gewählt wurde und von großen Konzernen manipuliert wird, eine pro-republikanische Nachrichtensendung, deren Anchormen lustvoll Frauenfeindliches äußern? Die Parallelen zu realen Personen sind kaum zu übersehen! Auch der immer tiefer klaffende Spalt zwischen Republikanern und Demokraten, abermals vergrößert durch den vergangenen Wahlkampf, wird angesprochen. Hier vermittelt Long Shot eine Botschaft der Aussöhnung. Man solle nicht scheuklappenartig auf seinem Standpunkt beharren, sondern auch versuchen, andere Sichtweisen zu verstehen. In einer amüsanten, wie entlarvenden Szene gesteht ein Charakter seine Zugehörigkeit zu Republikanern und der christlichen Kirche und hält sowohl Fred Flarsky als auch dem Publikum den Spiegel vor. Letzten Endes darf jeder die Meinung vertreten, die er für richtig hält, Amerika wird eben nicht "great" durch Ausgrenzung, sondern durch Dialog und Zusammenarbeit. Ein Standpunkt, der auch von einigen realen Präsidentschaftskandidaten, wie dem beliebten texanischen Demokraten Beto O'Rourke groß geschrieben wird.
Man sollte allerdings nicht erwarten, dass Long Shot eine tiefschürfende, bissige Polit-Satire ist. Im Kern steht eben immer noch die Liebesgeschichte zwischen Field und Flarsky. Wie sehr Zuschauende diese Handlung genießen können werden, hängt davon ab, wie viel guten Willen sie mitbringen. Dem Mittelteil des Filmes fehlt es einfach an Szenen, die glaubhaft vermitteln, wie sich die beiden grundverschiedenen Charaktere annähern, der verpeilte Reporter mit knallbunter Trainingsjacke und Basecap, dessen Lieblingssong die Mumblerap-Marihuanahymne "Broccoli" ist, und die schlagfertige, hochprofessionelle Außenministerin mit großen Ambitionen. Das Publikum muss eben akzeptieren, dass die beiden irgendwann ein Liebespaar sind. Auch von der eigentlichen, politischen Arbeit der Außenministerin (sie versucht, rund um den Globus Mitstreiter für ihr Umweltabkommen zu gewinnen), wird fast nichts gezeigt. Stattdessen besteht der zweite Akt des Filmes hauptsächlich aus mehr oder weniger zusammenhängender Situationskomik in hübsch ausgestatteten Kulissen verschiedenster Regionen der Welt. Das ist alles amüsant, kurzweilig und sympathisch, manchmal habe ich aber doch ein wenig Handlung vermisst.
Der Humor des Filmes ist dabei auch überwiegend sympathisch und treffsicher und verzichtet, bis auf wenige Ausnahmen am Anfang, glücklicherweise auf Bananenschalen-Slapstick oder rabiateren Rogen-Humor (wie z.B. in Sausage Party). Wenn dann im späteren Verlauf des Filmes ein weiterer "Long Shot" eine tragende Rolle spielt, fühlt sich das beinahe etwas fehl am Platz an. Wie damit jedoch im Rahmen der Handlung umgegangen wird (ohne zuviel zu verraten), fand ich dann aber doch recht gewitzt. Nur die unzähligen popkulturellen Anspielungen, von Jimmy Fallon über das Marvel Cinematic Universe und die siebte Staffel von Game of Thrones, bis hin zu Gastauftritten von Boyz II Men und Lil' Yachty, sind meiner Meinung nach zu weiten Teilen unnötig. Klar, derzeit funktionieren die Gags und werden auch bestimmt im Kinosaal für den ein oder anderen Lacher sorgen, schon in wenigen Jahren wird sich der Film genau dadurch aber hoffnungslos veraltet anfühlen.
Was Long Shot aber letztendlich am meisten ist, ist Wunscherfüllung. Hier kommt wieder der Titel des Films zum tragen. Sowohl die Liebe zwischen Flarsky und Field, als auch Fields Wahlkampagne wirken zunächst aussichtslos. Wie sehr wünsche ich mir da als Zuschauer, dass beide Unterfangen erfolgreich ausgehen. Dass eine Präsidentschaftskandidatin mal klar sagt was Sache ist, sich für die Umwelt stark macht und die kapitalistischen Großkonzerne zur Strecke bringt. Dass der Plan des schmierigen Medienmoguls vereitelt wird. Dass die sexistischen Nachrichtensprecher von Wembley News auf die Fresse bekommen. Wer sich auf den geballten Idealismus einlässt, für den ist Long Shot ein hochgradig befriedigender Film. Glaubhaft ist hier wenig, überraschend schon gleich gar nicht, aber warum auch? Am Ende der Tage ist der Film eben immer noch eine romantische Komödie und wenn er so unterhaltsam ist, dann hat er sich das märchenhafte Ende redlich verdient. Mag sein, dass er im letzten Akt deutlich an Humor und Fahrt einbüßt oder mit einer Laufzeit von 125 Minuten schlichtweg zu lang ist (ein typisches Problem amerikanischer Komödien). Mag sein, dass er visuell keine beeindruckenden Bilder liefert, die einen Kinobesuch rechtfertigen würden und die einzige Sequenz, die sich inszenatorisch etwas vom typischen Schuss-Gegenschuss-Stil abhebt, eine Actionszene ist, die sich dadurch wie ein Fremdkörper im Film anfühlt. Long Shot ist zweifellos kein Film ohne Makel, aber er ist erfrischend, liebenswert und hat das Herz am rechten Fleck. Nicht gerade die typischen Eigenschaften, die ich mit dem US-Wahlkampf verbinden würde. Vielleicht ist er gerade deswegen ein Film geworden, auf den sich alle einlassen sollten, die mal wieder Lust auf einen niveauvolleren Rogen-Film oder eine sympathische Liebeskomödie haben.
Sollte jetzt euer Interesse an Long Shot geweckt worden sein, könnt ihr euch ab dem 20. Juni selbst im Kino von dessen Qualitäten überzeugen, wenn der Film seinen deutschen Kinostart haben wird.