In diesem Jahr ist alles anders. Das gilt auch für die sogenannte awards season, also den Zeitraum um den Jahreswechsel, in welchem üblicherweise viele Filmpreise verliehen werden. In der Regel dauert das kaum länger als zwei Monate. Im November und Dezember nominieren die Kritikerverbände ihre Favoriten und verleihen Auszeichnungen, im Januar folgen Golden Globes und die Gildenpreise der verschiedenen Berufsgruppen. Höhepunkt und Abschluss ist stets die Oscar-Verleihung, welche normalerweise Anfang Februar stattfindet. Außer in diesem Jahr. Da wegen der Corona-Einschränkungen für viele Filme ein klassischer Kinostart bis Ende 2020 nicht möglich gewesen wäre, hat man sich entschieden, die Oscars auf den 25. April zu verschieben und den Qualifikationszeitraum bis Ende Februar zu verlängern. Auch wenn der Kinobetrieb in den USA erst jetzt allmählich und lokal begrenzt wieder anläuft und die meisten Filme immer noch digital oder hybrid starten, konnten so zumindest noch ein paar mehr Kandidaten dem Rennen um die begehrten Goldtrophäen beitretet, wie beispielsweise das Geschichtsdrama Judas and the Black Messiah, welches im Februar in geöffneten Kinos und auf HBO Max erschien.

Vermutlich werden sich einige Leute fragen: "Ergibt es überhaupt Sinn, dieses Jahr eine Oscar-Verleihung durchzuführen? Welche Filme sind überhaupt erschienen? Besonders viel Kino fand im vergangenen Jahr ja nicht gerade statt." Doch ein Blick in das Feld der Oscar-Nominierungen, welche unlängst bekanntgegeben wurden, zeigt, dass das Kinojahr bei weitem nicht so miserabel war, wie oft angenommen. Klar, große Blockbuster und Studioproduktionen wurden größtenteils auf 2021 verschoben, in der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Pandemie, doch Streaming-Releases und Independent-Produktionen erschienen im vergangenen Jahr kaum seltener als üblich. So spielen 2021 bei den Oscars vor allem "kleinere" Filme eine Rolle, die man in einem normalen Jahr eher bei den Independent Spirit Awards vermutet hätte. Große Chancen hat beispielsweise Nomadland, ein einfühlsames Porträt einer modernen Nomadin (hervorragend gespielt von Frances McDormand), welche nach dem wirtschaftlichen Kollaps ihrer Heimatstadt im Van durchs ländliche Amerika zieht. Der Film liefert einen interessanten Einblick in die amerikanische Subkultur der van dweller und bleibt trotz des poetischen Filmschnitts und der ästhetischen Bildsprache authentisch und empathisch, ohne dabei in Armutsporno abzudriften. Nomadland ist in sechs Kategorien nominiert, u.a. für Bester Film und Beste Regie. Dabei schrieb Regisseurin Chloé Zhao Oscar-Geschichte: Nicht nur ist sie die erste nicht-weiße Frau, welche in der Regie-Kategorie nominiert wurde, sie ist auch die erste Frau überhaupt, die in einem Jahr für vier Preise nominiert ist (Film, Regie, adaptiertes Drehbuch und Schnitt). Überhaupt kommt es eher selten vor, dass eine einzige Person viermal für denselben Film nominiert wird, zuletzt gelang dies im vorletzten Jahr Alfonso Cuarón für Roma.

Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass das Feld der Nominierten in diesem Jahr so divers ist, wie selten zuvor, ein positiver Effekt der jüngsten Aufnahme neuer Academy-Mitglieder. Erstmals sind zwei der nominierten Regisseur:innen weiblich, Zhaos Konkurrentin Emerald Fennell (nominiert für den feministischen Rache-Thriller Promising Young Woman) ist sogar die erste Frau, welche jemals für ihr Regiedebüt nominiert wurde. Auch unter den nominierten Darsteller:innen gibt es Rekorde. So ist Steven Yeun (für Minari) der erste Amerikaner asiatischer Abstammung, welcher als Hauptdarsteller nominiert wurde, Riz Ahmed (für Sound of Metal) hingegen der erste muslimische Darsteller. Darüber hinaus ist Judas and the Black Messiah der erste Film, welcher ausschließlich von Afroamerikanern produziert wurde.

Klarer Spitzenreiter in Sachen Nominierungen ist in diesem Jahr eindeutig der Streaming-Gigant Netflix, welcher mit satten 35 Nominierungen ins Rennen geht, nach United Artists im Jahr 1941 und Miramax 2003 das drittbeste Ergebnis eines Studios aller Zeiten. Neben zwei Animationsfilmen, mehreren Kurzfilmen, der Doku Mein Lehrer, der Krake und der Feelgood-Komödie Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga (welche mit dem wundervollen "Húsavík (My Home Town)" für den Besten Song ins Rennen geht), teilen sich die meisten der Nominierungen auf die Filme Mank, The Trial of the Chicago 7 und Ma Rainey's Black Bottom auf. Während letzterer, der lange Zeit als Netflix' Film-Ass im Ärmel galt, überraschenderweise nur fünf Nominierungen erhielt (für beide Hauptdarsteller:innen und in Design-Kategorien), wurden die ersteren beiden auch in der Hauptkategorie Bester Film bedacht. Mank ist zwar mit zehn Nominierungen der meistnominierte Film in diesem Jahr, allerdings vorrangig in technischen oder Design-Kategorien vertreten. So wurde der Film z.B. bei der wichtigen Kategorie Bestes Original-Drehbuch nicht bedacht. Chancen hat Mank vor allem bei Szenenbild und Kamera. Aaron Sorkins unterhaltsames, wie pathetisches Gerichts-Drama The Trial of the Chicago 7, wohl der traditionellste Oscar-Beitrag des Jahres, teilt sich sechsfach nominiert den zweiten Platz mit fünf weiteren Filmen (wie z.B. Nomadland). Während Aaron Sorkin zwar gute Chancen hat, für sein dialogstarkes Drehbuch zu gewinnen, ging er als Regisseur (zurecht) leer aus. Dass der Film mit seinem digitalen TV-Look in der Kamera-Kategorie nominiert wurde, versteht wohl kaum jemand.

Apropos Unverständnis: Obwohl die Nominierungen in diesem Jahr größtenteils nachvollziehbar sind und insbesondere die Filme der Hauptkategorie durch die bemerkenswerte Konsistenz ihrer Qualität auffallen, gibt es auch in diesem Jahr ein paar eigenwillige Entscheidungen. Tenet mag vielleicht nicht Christopher Nolans größter Wurf gewesen sein, dennoch hätte er definitiv Nominierungen für van Hoytemas Kameraarbeit und insbesondere für Göranssons famose Filmmusik verdient gehabt. Die eigenwilligste Entscheidung ist jedoch eindeutig die Nominierung von Lakeith Stanfield als Bester Nebendarsteller für Judas and the Black Messiah. Nicht dass Stanfield die Nominierung nicht verdient hätte! Im Gegenteil, seine Leistung zählt eindeutig zu den besten der letzten Monate. Was verwundert, ist seine Einordnung als Nebendarsteller. Schon die Einstufung seines Kollegen Daniel Kaluuya, welcher im Film den einflussreichen Black-Panther-Anführer Fred Hampton verkörpert, als Nebendarsteller ist fragwürdig, da er in mehr als einem Drittel des Filmes zu sehen ist und sich einige Szenen ausschließlich um ihn drehen. Aber gut, der Film heißt schließlich Judas and the Black Messiah, also steht wohl der Judas, also Hamptons Verräter O'Neal, gespielt von Stanfield, im Zentrum des Filmes? Anscheinend auch nicht laut der Einstufung der Academy, welche Stanfield (entgegen der Oscar-Kampagne von Warner Bros.!) als Nebendarsteller nominierte. Man kann sicher argumentieren, dass sowohl Stanfield als auch Kaluuya gleichwertige Hauptdarsteller sind, aber wenn beide Titelrollen des Filmes Nebenfiguren sind, wer ist dann der Protagonist? Das "and the"? Dass Ensemblefilme wie Chicago 7 keinen Hauptdarsteller haben, erscheint vernünftig, aber doch nicht ein Film mit nur zwei Protagonisten! Das sieht übrigens auch Lakeith Stanfield so, der seine Nominierung auf Instagram mit folgenden, treffenden Worten kommentierte: "I’m confused too but fuck it lmao"

Der Film, ein Geschichtsdrama über den Verrat des Black-Panther-Anführers Fred Hampton durch den FBI-Spitzel Bill O'Neal, erzählt in Form eines spannenden Großstadt-Krimithrillers, ist übrigens hervorragendes Kino und verdient alle seine Nominierungen. Da der Film so kurz vor Ende der Einreichungsfrist erschien und bei vorherigen Preisverleihungen kaum eine Rolle spielte, ist es erfreulich, dass er doch mit sechs Nominierungen, u.a. als Bester Film, für seine "Nebendarsteller" und fürs Drehbuch bedacht wurde. Daniel Kaluuya sollte den Oscar für seine unfassbar charismatische Performance sicher haben, jetzt wo er gegen seinen Kollegen Stanfield konkurriert, könnte es aber auch sein, dass sich beide Darsteller gegenseitig Stimmen abziehen und stattdessen der zweitpopulärste Kandidat gewinnt (also vermutlich Sacha Baron Cohen für Chicago 7), ein Ausgang, der nicht unüblich wäre bei der mehrfachen Nominierung eines Filmes in derselben Kategorie.

Wie bereits erwähnt, gehört dieses Jahr den kleinen, unscheinbaren Filmen, die ansonsten wohl für viele Zuschauer:innen unter dem Radar geblieben wären. Dazu gehört beispielsweise auch Minari, die Geschichte einer koreanisch-amerikanischen Familie, welche versucht, sich im ländlichen Arkansas der 80er-Jahre eine Existenz aufzubauen. Während der Film zuvor bei den Golden Globes aufgrund deren eigenwilligen Regelwerkes nur in der Fremdsprachen-Kategorie ins Rennen ging (und gewann), darf er bei den Oscars auch in der Hauptkategorie mitmischen. Richtig so, schließlich könnte die Geschichte eines Familienvaters, der in den Südstaaten mit harter Arbeit versucht, seinen Traum einer eigenen Farm zu verwirklichen, kaum amerikanischer sein. Doch auch abgesehen davon ist Minari ein wahres Kleinod. Ein sanfter Film, mit Humor, Herz, einem perfekt strukturierten Drehbuch und liebenswerten Charakteren. In anderen Jahren hätte es so ein Film vielleicht schwer gehabt, viele Nominierungen abzuräumen, dieses Jahr reichte es für sechs Stück. Besonders gefreut habe ich mich für den Regisseur Lee Isaac Chung, noch ein relativer Newcomer, die Nebendarstellerin Youn Yuh-jung, welche eine sehr sympathische Großmutter spielt und meine Favoritin in der Kategorie ist, sowie für den Komponisten Emile Mosseri, dessen Musik den Film maßgeblich prägt.

Ebenfalls unter den unscheinbaren Dramen anzusiedeln ist Darius Marders Regiedebüt Sound of Metal. Dass es sich bei dem Film ursprünglich um ein Projekt des The Place Beyond the Pines-Regisseurs Derek Cianfrance handelte, merkt man dem eindrucksvollen Drama sofort an, da es eine ähnlich raue Schönheit und mitreißende Emotionalität besitzt. Riz Ahmed liefert hier eine meisterhafte Performance als ehemals drogenabhängiger Metal-Drummer, der in rasantem Tempo sein Hörvermögen verliert. Ein intensiver Film, der definitiv zu den großen Highlights des vergangenen Jahres gehört und zurecht in sechs Kategorien (u.a. Bester Film, Hauptdarsteller und Original-Drehbuch) nominiert wurde. Besonders beeindruckend ist hier die Tonmischung, welche dem Publikum in zahlreichen Momenten Einblick gewährt in die akustische Wahrnehmung des Protagonisten Ruben. Ein Sieg in der Ton-Kategorie wäre hochverdient. Sehr erfreulich ist auch die Nominierung des bisher wenig bekannten Paul Raci, der in seiner Rolle als gehörloser Mentor einer Selbsthilfegruppe trotz seines subtilen, pointierten Schauspiels eine hochemotionale, herzzerreißende Leistung abliefert. Neben Kaluuya eindeutig der verdienteste Nominierte in der Nebendarsteller-Kategorie!

Neben den bereits genannten Filmen wird die Kategorie Bester Film durch das hochgelobte Alzheimer-Drama The Father, eine Theaterverfilmung des Regiedebütanten Florian Zeller mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle, sowie den Thriller Promising Young Woman komplettiert. Bei letzterem handelt es sich gleichzeitig um eine Dekonstruktion des "Rape and Revenge"-Genres, eine Charakterstudie einer traumatisierten Person, sowie eine satirisch angehauchte, dennoch aber intensive Abhandlung zur "Rape Culture" und deren Auswirkungen. Ein innovativer Ansatz, wobei die eigenwillige Genre-Mischung teils jedoch etwas unrund wirkt. Auch wenn der Film vermutlich (zusammen mit dem eher nischigen Mank) den kontroversesten Kandidaten des Jahres darstellt, so schafft er es, u.a. aufgrund vieler kreativer Entscheidungen und der hervorragenden Hauptdarstellerin Carey Mulligan, in Erinnerung zu bleiben. Ob die poppige Inszenierung des Filmes der düsteren Thematik gerecht wird, muss wohl jeder für sich entscheiden. Promising Young Woman gilt als großer Favorit in den Kategorien Beste Hauptdarstellerin und Original-Drehbuch (neben Sorkin für Chicago 7).

Neben den wichtigsten Kategorien (oft als "Big Five" bezeichnet) darf natürlich auch der internationale Film nicht vergessen werden. Für den Auslandsoscar treten in diesem Jahr Dänemark, Hong Kong, Rumänien, Tunesien und Bosnien und Herzegowina an. Neben der rumänischen Doku Kollektiv – Korruption tötet, welche auch in der Doku-Kategorie nominiert wurde und derzeit in der MDR-Mediathek gestreamt werden kann, und dem bosnischen Kriegsdrama Quo Vadis, Aida?, gilt vor allem Der Rausch als größter Favorit. Die Tragikomödie des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg, welcher überraschender- wie verdienterweise auch für die Beste Regie nominiert wurde, handelt von einer Gruppe von Lehrern (u.a. verkörpert von einem meisterhaft aufspielenden Mads Mikkelsen), welche versuchen, ihre Midlife-Crisis durch kontrollierten Alkoholkonsum zu überwinden – mit fatalen Konsequenzen. Das Niveau von Die Jagd, Vinterbergs und Mikkelsens letzter Zusammenarbeit, kann Der Rausch zwar nicht erreichen, dennoch würde es sich bei ihm um einen verdienten Gewinner handeln. Eine, trotz seines Humors, ernsthafte und überraschende Auseinandersetzung mit Alkoholismus und dem Älterwerden, mit der wohl kathartischsten Schlussszene des letzten Jahres.

Bleibt noch die Kategorie des Animationsfilmes. Erfreulich wäre hier ein Sieg des irischen Zeichentrickfilmes Wolfwalkers (von Cartoon Saloon, den Machern von Die Melodie des Meeres), einerseits da Cartoon Saloon nach mehreren wunderschönen Filmen endlich eine Auszeichnung verdient hätte und auch dieser Film wieder klasse ist, andererseits weil die alljährliche Dominanz von Disney/Pixar langweilt. Dennoch muss ich aber zugeben, dass Pixar mit Soul abermals ein meisterhafter Film gelungen ist, der seinen Favoritenstatus absolut verdient. Nicht nur dass der Film über den plötzlich verstorbenen Jazzpianisten Joe, welcher verzweifelt versucht, wieder ins Diesseits zurückzukehren und sich dazu einer widerspenstigen ungeborenen Seele annehmen muss, fantastisch aussieht und eine Wundertüte kreativer visueller Ideen darstellt, er steckt auch voller Weisheit und erinnerungswürdiger Zitate. Dazu kommt noch die wohlklingende, effektive Filmmusik des Komponisten-Duos Reznor und Ross (zusätzlich auch nominiert für Mank) und die Klavierkompositionen des Pianisten Jon Batiste, welche ebenfalls gute Chancen hat, zu gewinnen.

Während es in den meisten Kategorien nach den diversen Vorläufer-Preisen der Saison bereits einen klaren Favoriten gibt, dessen Sieg wahrscheinlich ist, bleibt insbesondere in der Kategorie Beste Nebendarstellerin noch alles offen. Die bulgarische Newcomerin Maria Bakalova hat zwar für ihre komödiantische Performance in Borat Anschluss Moviefilm nicht die schlechtesten Chancen, konnte sich bei den Globes in der Kategorie der Comedy-Hauptdarstellerin jedoch nicht gegen Rosamund Pike (für den Netflix-Film I Care a Lot) durchsetzen. Jodie Foster, welche den Golden Globe als Beste Nebendarstellerin gewann, ist bei den Oscars hingegen gar nicht nominiert, ihr Sieg hilft bei der Prognose der Kategorie also kaum weiter. Während ein Oscar für Glenn Close nach zahlreichen Nominierungen längst überfällig ist, scheint ein Sieg für ihre Nebenrolle in Ron Howards Appalachen-Drama Hillbilly-Elegie unwahrscheinlich. Nicht nur, dass der Film von Kritikern verrissen wurde, Close wurde für dieselbe Rolle sogar für den Negativpreis der Goldenen Himbeere nominiert. Olivia Colmans Leistung als Hopkins' Filmtochter in The Father wurde zwar sehr gelobt, Colman gewann aber erst im vorletzten Jahr und spielte in der diesjährigen Awards-Season keine große Rolle. Die größten Konkurrentinnen von Bakalova stellen hingegen Amanda Seyfried (Mank) und Youn Yuh-jung (Minari) dar. Beide Darstellerinnen hätten den Oscar verdient, gegen einen Sieg von Seyfried spricht jedoch, dass Mank (insbesondere nach durchwachsenen Reaktionen beim Publikum) eher als technische Leistung angesehen wird, gegen Youn hingegen, dass es sich um eine überwiegend fremdsprachige Performance einer koreanischen Darstellerin handelt, welche in Hollywood bisher völlig unbekannt gewesen ist. Insgesamt also eine spannende Kategorie mit Potential für Überraschungen.

Ein großes Problem für deutsche Filmfans ist in diesem Jahr, dass viele der Filme bisher hierzulande nicht veröffentlicht wurden. Während Streaming-Releases, wie Mank, The Trial of the Chicago 7, Sound of Metal, Ma Rainey's Black Bottom, News of the World, One Night in Miami und Soul hierzulande bereits im Heimkino, andere Filme, wie Emma, Onward und Tenet sogar (noch) im Kino bestaunt werden konnten, warten zahlreiche, hochkalibrige Kandidaten noch auf ihre Veröffentlichung, sobald ein geregelter Kinobetrieb hierzulande wieder möglich ist. So sind allein für April Kinostarts von Nomadland, Minari, The Father, Der Rausch und Promising Young Woman angekündigt. Die Warner-Produktion Judas and the Black Messiah hat hingegen derzeit keinen Starttermin, soll aber im Gegensatz zu anderen Filmen des Studios eine Kinoauswertung erhalten und nicht direkt beim Streaming-Dienst Sky veröffentlicht werden. Unter den Gesichtspunkten scheint es nachvollziehbar, wenn sich viele Leute in diesem Jahr kaum für die Preisverleihung begeistern können, zumal die Show durch die Pandemiesituation voraussichtlich in reduzierter Form stattfinden wird. Dennoch ist es lohnenswert, sich mit den Nominierten (und später den Gewinnern) zu beschäftigen und sei es, um zahlreiche herausragende Filme zu entdecken, welche man sonst vielleicht nicht auf dem Schirm gehabt hätte. Und abermals zeigt sich: 2020 war kein so schlechtes Kinojahr, wie man erwarten würde. Man muss dieses Jahr nur unter Umständen etwas gründlicher suchen.

Insgesamt ist dies also eine Oscar-Auswahl, mit der man wirklich zufrieden sein kann. Schade ist nur, dass andere herausragende Filme, wie I Am Thinking of Ending Things, Palm Springs oder The Nest außen vor blieben. Betrachtet man die nominierten Filme, so handelt es sich bei den meisten um klassische Dramen. Dabei hätte es sich in einem Jahr wie diesem durchaus angeboten, auch mal den Genrefilm zu würdigen, z.B. mit einer Nominierung der flotten, intelligent geschriebenen Zeitschleifen-Romcom Palm Springs. Auch wenn die Academy sich bei der Diversität der Nominierten gesteigert zu haben scheint, so ist bei der Vielfalt der Filme durchaus noch Luft nach oben.

Alle, die jetzt interessiert sind, die Oscars mitzuverfolgen, sollten sich die Nacht zum 26. April dick im Kalender einkreisen. Die Preisverleihung, welche um 2 Uhr MESZ beginnt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch in diesem Jahr wieder von ProSieben übertragen (und demnach auch im Online-Livestream schaubar sein).

Meine Prognose

Bester Film: Nomadland
Beste Regie: Chloé Zhao (Nomadland)
Beste Hauptdarstellerin: Carey Mulligan (Promising Young Woman)
Bester Hauptdarsteller: Chadwick Boseman (Ma Rainey's Black Bottom)
Beste Nebendarstellerin: Youn Yuh-jung (Minari)
Bester Nebendarsteller: Daniel Kaluuya (Judas and the Black Messiah)
Bestes adaptiertes Drehbuch: Chloé Zhao (Nomadland)
Bestes Original-Drehbuch: Emerald Fennell (Promising Young Woman)
Beste Kamera: Joshua James Richards (Nomadland)
Bester Schnitt: Mikkel E.G. Nielsen (Sound of Metal)
Bester Ton: Sound of Metal
Beste visuelle Effekte: Tenet
Bestes Szenenbild: Mank
Beste Kostüme: Ma Rainey's Black Bottom
Bestes Make-up/Hairstyling: Ma Rainey's Black Bottom
Beste Filmmusik: Jon Batiste, Trent Reznor & Atticus Ross (Soul)
Bester Song: "Speak Now" (One Night in Miami)
Bester Animationsfilm: Soul
Bester Dokumentarfilm: Time
Bester internationaler Film: Der Rausch
Bester animierter Kurzfilm: If Anything Happens I Love You
Bester Dokumentar-Kurzfilm: A Love Song for Latasha
Bester Kurzfilm: The Letter Room