Wer mich kennt (oder mal einen Blogartikel von mir gelesen hat) weiß, dass ich ein Faible für das ostasiatische Kino habe. Nein, das ist noch untertrieben. Vielmehr definiert sich mein Filmgeschmack zu einem großen Teil über Filme aus Japan, Korea, Hongkong, Taiwan und China. Egal ob episches Jugenddrama wie A Brighter Summer Day, Oldschool-Wuxia-Quatsch wie Zu: Warriors from the Magic Mountain oder Animekitsch wie Suzume: Für Asiakino bin ich stets zu haben! Natürlich wurde ich sofort hellhörig, als ich gesehen habe, dass Arte (der Lieblingssender aller Cineasten) in seiner Mediathek eine kleine Reihe zum ostasiatischen Kino rausgebracht hat: Im Rahmen von "Im Kino nach Asien" sind fünf Filme von drei namhaften Regisseuren zum Streamen verfügbar, von welchen ich im Folgenden ein paar vorstellen möchte.

Bei den Regisseuren handelt es sich um King Hu, Tsui Hark und Johnnie To. Eigentlich hätte man die Reihe auch "Im Kino nach Hongkong" nennen können, schließlich haben alle drei Regisseure ihre Wurzeln in der südchinesischen Multimillionenmetropole. Doch während Tsui Hark und Johnnie To über beinahe ihre gesamte Filmkarriere eng mit der Hongkonger Filmindustrie verbunden blieben, emigrierte King Hu nach Taiwan und gilt als einer der ersten großen Regisseure des taiwanesischen Kinos. Doch dazu später mehr. Natürlich reichen drei Regisseure nicht aus, um das Kino eines Kontinents zu ergründen. Konzentriert man sich jedoch ausschließlich auf das chinesischsprachige Kino und beschränkt sich bewusst auf drei Regisseure, hätte wohl kaum eine bessere Wahl getroffen werden können. Klar, Wong Kar-wai (In the Mood for Love), Zhang Yimou (Hero) und Ang Lee (Tiger & Dragon) sind ebenfalls geniale Filmemacher, einem Arthaus-affinen Publikum aber vermutlich sowieso bereits ein Begriff. Stattdessen wurden drei Regisseure gewählt, die das chinesische Kino auf unterschiedliche Arten sehr geprägt haben.

King Hu kann zweifelsohne als einer der größten und wichtigsten asiatischen Regisseure überhaupt bezeichnet werden. Schließlich schuf er mit seiner zweiten Regiearbeit Das Schwert der gelben Tigerin (engl. Titel: Come Drink with Me) den ersten großen Martial-Arts-Film des Hongkong-Kinos. Dieses Frühwerk von Hu (und sein immenser Erfolg) machte Hauptdarstellerin Cheng Pei-pei zum Star und begründete den klassischen Wuxia-Film, also das chinesische Genre, welches sich mit Kampfkunst-trainierten, edlen Helden befasst. Auch wenn jener Film bereits Hus Regietalent erahnen lässt, ist er filmisch noch auf einem etwas niedrigeren Niveau anzusiedeln als seine folgenden Werke. Gedreht für die "Shaw Brothers"-Studios, für mehrere Jahrzehnte quasi synonym mit der Hongkonger Filmindustrie, war Das Schwert auch klar als Shaw-Film erkennbar. Das heißt vor allem: Tonnenweise elaborierte, aber sehr artifizielle Studiokulissen.

King Hus erster großer Erfolg ermöglichte es ihm, die Shaw Brothers zu verlassen und nach Taiwan auszuwandern. Während die Filmindustrie Hongkongs in den 60er-Jahren quasi monopolistisch von Run Run Shaws Filmimperium dominiert wurde, bot das Taiwan jener Zeit eine deutlich offenere Filmlandschaft (natürlich im Rahmen bestimmter Grenzen, schließlich befinden wir uns noch in der Zeit der Kuomintang-Diktatur). Hier konnte King Hu sein erstes Meisterwerk drehen, Die Herberge zum Drachentor (engl.: Dragon Inn). Und außerhalb der Shaw-Hallen konnte sich nun auch ein filmisches Element vollends entfalten, welches Hus Lebenswerk durchdringen und prägen wird: prachtvolle Naturaufnahmen! Der Film handelt von einer Taverne am Rand einer Wüste im chinesischen Grenzland. Hier treffen mehrere Parteien aufeinander und es kommt zu spannenden Scharmützeln, die mit einer beeindruckenden Dynamik gefilmt wurden. Wen Zhang Yimous Hero oder Ang Lees Tiger & Dragon begeistert hat, der sollte unbedingt einen Blick in Die Herberge zum Drachentor werfen, um zu verstehen, wo die filmischen Ursprünge jener Filme liegen. Auch als Einstieg in das Werk von King Hu ist der Film bestens geeignet, da er viele Qualitäten des Regisseurs vereint (das gewitzte Drehbuch, der Spannungsaufbau, der dynamische Schnitt und die Naturaufnahmen) und auch, im Gegensatz zu Hus Nachfolgewerk Ein Hauch von Zen keine drei Stunden lang ist, sondern eine recht bekömmliche Laufzeit hat. Ganz große Empfehlung: Am 2. Juni zeigen wir diesen Film im Rahmen unseres Sommerkinos auf der HSZ-Wiese!

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Eingekesselt vor der Herberge: Held Hsiao (King Hus Stammschauspieler Shih Chun) © Rapid-Eye Movies

Mit Ein Hauch von Zen (engl.: A Touch of Zen) schuf Hu sein Magnum Opus, eine dreistündige Wuxia-Parabel mit bahnbrechender Bildsprache und buddhistisch-spiritueller Handlung. Insbesondere die legendäre Kampfszene im Bambuswald wird noch immer oft zitiert und durch seine Teilnahme im Wettbewerb um die Goldene Palme des Cannes-Festivals war jener Film auch der erste Vertreter des Wuxia-Genres, der internationale Aufmerksamkeit erlangt hatte. Man muss jedoch zugeben, dass Ein Hauch von Zen einer der weniger zugänglichen Filme aus King Hus Schaffenswerk ist, sowohl aufgrund seiner Laufzeit als auch aufgrund seiner spirituell aufgeladenen Handlung. Insofern war es vermutlich eine gute Wahl von Arte, zwei seiner späteren Filme in ihre Asien-Reihe aufzunehmen: Regen in den Bergen und Alle Männer des Königs.

Regen in den Bergen (engl.: Raining in the Mountain) ist einer von zwei Filmen, die Hu im Jahr 1979 in Korea drehte. Bei dem anderen handelt es sich um den Fantasy-Film Legend of the Mountain (bisher keine dt. Veröffentlichung, auf IMDb fälschlicherweise ebenfalls als "Regen in den Bergen" betitelt). Während jener jedoch ebenfalls drei Stunden lang ist und eine Handlung besitzt, die aufgrund zahlreicher mythologischer Anspielungen für Westler vermutlich schwerer durchdringbar ist, handelt es sich bei Regen in den Bergen um einen von Hus unterhaltsamsten und zugänglichsten Filmen. Letztlich geht es hier nämlich um einen klassischen Heist, nur dass nicht etwa ein Casino oder ein Palast ausgeraubt werden sollen, sondern ein buddhistisches Kloster, welches eine Schriftrolle von unschätzbarem Wert birgt. Auslöser der Handlung des Filmes ist, dass der Abt des Klosters abdanken und einen Nachfolger bestimmen möchte. Dazu ruft er den Junker Wen An und den Governeur Wang zu sich, damit diese ihn bei der Wahl des Nachfolgers unterstützen. Was er jedoch nicht ahnt: Beide sind eigentlich hinter der Schriftrolle her und versuchen den Aufruhr im Kloster auszunutzen.

Im Kloster, auf der Lauer: Chin Suo und White Fox © Arte

Schon der Beginn des Filmes ist klassisch King Hu: Durch dunstige Wälder und wolkenverhangene Bergtäler steigen Wen An, seine vermeintliche Konkubine (eigentlich die Meisterdiebin White Fox) und sein Diener Chin Suo zum abgelegenen Kloster auf. Und dieses Kloster ist einer der Stars des Filmes! Hu drehte in der UNESCO-Welterbestätte Bulguksa, einem Kloster aus dem 8. Jh., und weiß seinen Drehort prachtvoll in Szene zu setzen. Noch im ersten Akt des Filmes gibt es eine unterhaltsame und raffiniert gefilmte Sequenz, in welcher White Fox und Chin Suo das Kloster erkunden, auf der Suche nach dem Schriftenraum, ohne dabei von den Mönchen ertappt zu werden. Wie Hu hier mit Kamerafahrten, Schwenks und Filmschnitt arbeitet, ist absolut verblüffend. Insgesamt sind die Bilder im Kloster beeindruckend. Ein Jammer nur, dass (trotz aktueller Restaurierung) die Farben des Filmes in manchen Szenen sehr entsättigt und kontrastarm sind. Dass der Film visuell dennoch überzeugt, spricht sehr für Hus Expertise in visueller Gestaltung. Doch auch inhaltlich bietet Regen in den Bergen einiges: Die Kombination aus Diebestour und Machtkampf im Kloster ist hochunterhaltsam und enthält im späteren Verlauf auch einiges an Humor, insbesondere durch den Laien-Gelehrten Wu Wai, der als Berater des Abtes anreist. Der Film ist zudem auch interessant für Zuschauer:innen, die dem Martial-Arts-Kino sonst eher abgeneigt sind. Denn obwohl die wenigen Kämpfe auch spannend in Szene gesetzt werden, steht bei King Hu eher die Handlung und die visuelle Inszenierung im Vordergrund. Und mit White Fox hat der Film (wie fast immer bei King Hu) auch eine starke, zentrale Frauenfigur!

Geheime Absprache unter Mönchen: White Fox und der Junker Wen An © Arte

Mit dem zweiten King-Hu-Film in der Mediathek präsentiert Arte einen ganz besonderen Leckerbissen. Denn während Regen in den Bergen in Deutschland zumindest auf DVD veröffentlicht wurde, handelt es sich bei Alle Männer des Königs (engl.: All the King's Men) um eine Deutschlandpremiere. Nicht nur das: abgesehen von einer französischen Blu-ray (im Box-Set zusammen mit Regen in den Bergen) gibt es von diesem Film offenbar weltweit keine Veröffentlichung auf einem physischen Medium! Ein möglicher Grund dafür offenbart sich beim Schauen des Filmes: Es handelt sich um keinen Martial-Arts-Film, sondern um ein klassisches Kostümdrama, welches im China des 10. Jahrhunderts angesiedelt ist. Genauer gesagt spielt der Film zum Ende der turbulenten Zeit der "Fünf Dynastien": Der Zhou-Kaiser Chai Rong (Tien Feng, der auch den Gouverneur Wang bei Regen in den Bergen spielte) hat sich durch militärische Siege gegen das Kitan-Reich im Norden und das südliche Tang-Reich einen Namen gemacht. Er leidet jedoch unter Epilepsie und die Quecksilber-haltige Medizin des Scharlatans Li Zhenren schwächt ihn körperlich und geistig zunehmend. In Sorge schickt der Kanzler Wang Pu seine treuen, wenn auch nicht gerade mit viel Intelligenz gesegneten, Lakaien Peng Xuan und He Chongguang los ins verfeindete südliche Tang-Reich. Denn dort praktiziert Zhang Bojin, der "göttliche Heiler", ein weithin bekannter Arzt.
Doch der Auftrag birgt einige Herausforderungen. So wird den Lakaien anfangs noch verschwiegen, wer der Patient des Wunderheilers sein soll. Wie soll es den beiden Tollpatschen gelingen, Zhang (der keine Hausbesuche macht) zur weiten Reise in die Zhou-Hauptstadt zu bewegen? Und so beginnt eine Verkettung von Gefälligkeiten und Nebenmissionen, die immer abstrusere Ausmaße annimmt.

Vom Wunderheiler abgewiesen: Die Lakaien von Kanzler Wang Pu © Arte

Anhand der Handlungszusammenfassung und des immensen Aufwandes, der in Kostümdesign und Kulissen gesteckt wurde, könnte man meinen, dass es sich bei Alle Männer des Königs um ein großes Historienepos handelt. Tatsächlich haben wir es aber mit einem überaus kurzweiligen, 97-minütigen Film zu tun, der temporeich inszeniert ist und überraschend viel Humor enthält, insbesondere durch Wang Pus tumbe Lakaien und die Marotten des närrischen Kaisers. Zudem steckt auch eine abstruse Komik in der verworrenen Handlung, welche immer weitere Haken schlägt und weitere Charaktere einführt, nur damit der Kaiser am Ende von Zhang Bojin behandelt werden kann. Es kann durchaus passieren, dass man irgendwann von der Handlung überfordert ist, nicht zuletzt da einiges an historischem Vorwissen erforderlich ist, um alle von King Hus Seitenhieben zu verstehen. So gibt es relativ am Anfang eine Szene, in der der verwirrte Kaiser seinen treuen General Zhao Kuangyin nicht erkennt und unwirsch sagt "Den kenne ich nicht!". Experten in chinesischer Geschichte (also nicht ich) werden eventuell wissen, dass Zhao später als Kaiser Taizu die Song-Dynastie begründen wird. Wenn später noch die junge Prinzessin Taikang, eine Nichte von Chai Rongs Adoptivvater Taizu (nicht der Song-Kaiser, sondern der gleichnamige "Große Vorfahr" der Zhou) ins Geschehen tritt, rotiert einem nicht geschichtlich bewanderten Publikum vermutlich das Gehirn. Zudem sieht die Prinzessin (gespielt von Cheng Pei-pei, der Hauptdarstellerin von Das Schwert der gelben Tigerin) in Kostüm, Frisur und Make-up der Kaiserin so ähnlich, dass ich sie zunächst nicht als neue Charakterin wahrgenommen hatte.

Besorgt um den Gesundheitszustand des Kaisers: Kaiserin Fu © Arte

Doch auch, wenn man die Handlung nicht komplett durchsteigt, kann man mit Alle Männer des Königs sehr viel Spaß haben. Nicht nur, dass die Satire auf den korrupten Hofstaat, in dem jeder Charakter seine eigenen Interessen verfolgt, bissig und unterhaltsam ist, der Film ist auch noch wunderschön anzusehen. Auch wenn es keinerlei Actionszenen gibt und der Film vollständig in Studiokulissen gedreht wurde, glänzt King Hu abermals mit einer Inszenierung auf höchstem Niveau. Jede Szene sieht fantastisch aus, das Set- und Kostümdesign ist wunderschön und durch Kamerafahrten und raffinierten Einsatz von Schärfentiefe erzeugt Hu eine Dynamik, die ich in Historienfilmen dieser Art selten erlebt habe. Vielleicht nicht der beste Einstieg ins Schaffen des Regisseurs, aber definitiv einen Blick wert (zumal es aktuell kaum eine andere Möglichkeit gibt, den Film zu sehen).

Nach dieser epischen Ausführung zum Schaffen von King Hu wird der Abschnitt zu Tsui Hark umso kürzer ausfallen. Zu meiner Schande muss ich nämlich zugeben, dass mir die beiden Filme Das Bankett des Kaisers und Die sieben Schwerter bislang noch nichts sagten. Dabei ist Tsui Hark doch ein Regisseur, den ich sehr schätze und dessen Einfluss auf das Hongkong-Kino nicht zuviel betont werden kann! Schließlich gilt Tsui als der "Spielberg von Hongkong" und hat das Mainstream-Kino des Stadtstaates in den 80ern und frühen 90ern so sehr geprägt wie kein anderer Regisseur. Schon sein erster Kinofilm Die Todesgrotten der Shaolin (eng.: The Butterfly Murders), eine Art Wuxia-Giallo, sorgte für Aufsehen. Wenige Jahre später schuf er mit Söldner kennen keine Gnade (eng.: Dangerous Encounters of the First Kind), einem nihilistischen Gewalttrip durch Hongkongs Unterwelt, eines der Schlüsselwerke der Hongkong New Wave, und zementierte seinen Status als junger, wilder Filmemacher. Mit Zu: Warriors from the Magic Mountain (leider nie in Deutschland erschienen) folgte ein wildes Wuxia-Spektakel voller Abstrusitäten und mit bahnbrechenden Spezialeffekten. Oder, wie Martin es zusammenfasste: "Ein Füllhorn albernen Wahnsinns".

Schließlich gründete Tsui Hark mit der Produzentin (und seiner späteren Ehefrau) Nansun Shi das Studio "Film Workshop", welches u.a. für den Fantasy-Klassiker A Chinese Ghost Story und John Woos Action-Meisterwerke A Better Tomorrow und The Killer verantwortlich ist. Als Regisseur drehte Tsui Hark hingegen 1986 den Film Peking Opera Blues, einen Klassiker der Hongkong New Wave und 1991 Once Upon a Time in China. Letzterer machte Jet Li endgültig zum Action-Star, zog fünf Fortsetzungen nach sich und trat eine neue Welle an historischen Martial-Arts-Filmen los, ein Genre, das Anfang der 90er schon totgeglaubt wurde. Nach seinem Magnum Opus Green Snake (leider ebenfalls nie in Deutschland erschienen) begann Tsuis Filmschaffen langsam nachzulassen. Zwischen Once Upon a Time in China V und einem Abstecher nach Hollywood mit den beiden Jean-Claude-Van-Damme-Filmen Double Team und Knock Off ist Das Bankett des Kaisers (eng.: The Chinese Feast) angesiedelt. Eine Feelgood-Foodporn-Komödie über ein Ex-Triadenmitglied, welches Profikoch werden möchte. Auch wenn der Film nicht zu den Glanzlichtern von Tsuis Karriere zu zählen scheint, werde ich dennoch mal reinschauen solange der Film in der Mediathek verfügbar ist. Die Story klingt zumindest sympathisch, leider ist der Film aber nur in deutscher Synchro (oder in OmU mit franz. UT) verfügbar.

In Das Bankett des Kaisers möchte Bandenboss Chiu Profikoch werden © Arte

Nach seinem Hollywood-Ausflug, der nicht gerade mit Erfolg gesegnet war, begab sich Tsui zurück nach Hongkong und drehte im Jahr 2000 Time and Tide, eine wilde, verworrene Hommage an Filme von John Woo und Wong Kar-wai. Der Actionfilm hatte seine Premiere beim Filmfestival in Venedig, bekam gute Kritiken und wurde sogar mit dem Future Film Festival Digital Award ausgezeichnet. In den 2000ern drehte Tsui wenig herausragende Filme, wie beispielsweise Zu Warriors, ein Remake seines Klassikers aus den 80ern und Black Mask 2: City of Masks, eine misslungene Fortsetzung eines ohnehin nicht herausragenden Jet-Li-Actionfilmes. Aus dieser Zeit stammt auch Die sieben Schwerter, der zweite Tsui-Film in der Arte-Mediathek. Ein 152-minütiges Historienepos, das zumindest einen spannenden Cast bietet. Neben Martial-Arts-Star Donnie Yen spielen hier nämlich auch die beiden Fallen Angels-Darsteller Charlie Leung und Leon Lai, sowie Lau Kar-leung, einer der wichtigsten Regisseure des Hongkong-Kampfkunstkinos der 70er- und 80er-Jahre (bekannt u.a. für Die 36 Kammern der Shaolin) mit. Leider scheint Die sieben Schwerter ein schwacher Tsui-Film zu sein. Ursprünglich sollte der Film vier Stunden lang sein und das fehlende Material merkt man dem Film offenbar anhand seiner sprunghaften Handlung und unnötig vieler Charaktere an.

Nach dem Horrofilm Missing und der episodischen Rom-com All About Women wechselte Tsui schließlich wieder in den Mainstream-Action-Sektor und begründete 2010 mit den Detective Dee-Filmen eine erfolgreiche und höchst unterhaltsame Fantasy-Krimireihe, welche CGI-Effekte (eher durchwachsener Qualität) mit klassischem Hongkong-Wuxia-Kino verknüpft. Leider ist auch Tsui Hark mittlerweile bei propagandistischen Kriegsfilmen gelandet und drehte 2021 und 2022 die beiden immens aufwendigen und erfolgreichen Teile von The Battle at Lake Changji. Doch über den aktuellen, desolaten Zustand des chinesischen Mainstream-Kinos könnte man zu gegebener Zeit einen eigenen Artikel verfassen.

Überbordender Wuxia-Krimi: Tsui endlich wieder in seinem Element mit Detective Dee © Plaion Pictures

Kommen wir nun also zum dritten Regisseur von Artes filmischer Asienreise: Johnnie To. Nachdem King Hus Karriere nach Alle Männer des Königs weitgehend beendet war und Tsui Hark den Höhepunkt seines Schaffens in den 80ern und 90ern hatte, ist To nach wie vor einer der wichtigsten und relevantesten Regisseure des asiatischen Kinos und war in diesem Jahr sogar Jury-Mitglied bei der Berlinale. Während To seine Karriere in den 90ern mit Wuxia-Filmen wie The Heroic Trio (u.a. mit Michelle Yeoh!) und The Bare-Footed Kid begann, wandte er sich bald moderneren Stoffen wie dem Feuerwehr-Katastrophendrama Lifeline – Die Todesmutigen zu. Sein Durchbruch war schließlich 1999 der Triaden-Actionfilm The Mission – Ihr Geschäft ist der Tod. Während To im späteren Verlauf vor allem für seine Gangsterfilme, wie Election, Exiled und Drug War Bekanntheit erlangte, ist er doch in zahlreichen Genres zu Hause und hat z.B. auch Romcoms (Don't Go Breaking My Heart), eine Taschendieb-Komödie (Sparrow) und ein Musical im Bürosetting (Office) inszeniert. Zudem ist To ein enorm fleißiger Regisseur, so hat er bis 2016 jedes Jahr mindestens einen Film veröffentlicht. In seiner produktivsten Phase zwischen 1999 und 2004 drehte er ganze 19 Filme! Natürlich sind nicht alle davon Meisterwerke, aber Johnnie Tos Filmographie bietet nichtsdestotrotz zahlreiche herausragende Filme und ist äußerst lohnenswert zu erkunden. Nicht nur gilt To für viele Kritiker als der beste Regisseur des Hongkong-Kinos des 21. Jahrhunderts, seine Filme sind auch finanziell erfolgreich, insbesondere seine Gangsterfilme.

Arte präsentiert nun Johnnie Tos Film PTU. Entstanden während Tos produktivster Schaffensperiode feierte PTU 2003 seine Premiere auf der Berlinale. Der Film handelt davon, wie eine taktische Einheit der Hongkonger Polizei (der Titel steht für "Police Tactical Unit") fieberhaft nach einer Dienstwaffe sucht, welche dem trotteligen wie korrupten Polizisten Lo (Lam Suet) abgenommen wurde. Eine atemlosen Hatz durch das Hongkonger Nachtleben beginnt. PTU ist dabei zugleich ein visuell herausragender Cop-Thriller mit stylisher Bildsprache und coolem Soundtrack, und eine Abrechnung mit dem Polizeiapparat der Megacity. Das Urteil fällt nicht gerade gnädig aus: Beinahe jeder Cop in PTU ist ein korruptes Arschloch, einige (wie Lo) sind zudem inkompetente Versager, Polizeigewalt und Autoritätsmissbrauch sind an der Tagesordnung. So ein Film wäre heutzutage unter dem sogenannten "Hong Kong national security law" nicht mehr möglich, laut welchem die Integrität der Staatsorgane durch Medien nicht infrage gestellt werden darf.

Auf der Suche nach einer Polizeiwaffe in Hongkongs Hintergassen: Sgt. Ho (Simon Yam) in PTU © Arte

PTU ist nebenbei allerdings auch ein stimmungsvolles Porträt von Hongkong. Und das ist etwas, das mir bei beiden To-Filmen, die ich bisher gesehen habe (PTU und Sparrow) aufgefallen ist: Die Inszenierung der Metropole. Beide Filme vermitteln ein ganz besonderes Bild dieses Ortes und fühlen sich dabei sehr spezifisch und einzigartig an. Wie auch Wong Kar-wais lose Dilogie Chungking Express und Fallen Angels hat man das Gefühl, durch Tos Filme dieser eigenwilligen, überfordernden Stadt etwas näher zu kommen, wenn auch weniger abstrakt als bei Wong und mit einem größeren Fokus auf die Handlung. Auch wenn zwischen PTU und Sparrow einige Filme liegen (so Election 1 und 2, sowie Exiled) ergänzen sich beide Filme perfekt und zeigen zwei grundverschiedene Sichten auf Hongkong: der eine ein spannungsgeladener Cop-Thriller, der sich ausschließlich nachts in zwielichtigen Hintergassen abspielt, in einer gefährlichen Stadt, welche von Verbrechersyndikaten beherrscht wird. Der andere eine launige Gaunerkomödie, welche trotz Triaden-Thematik die sonnigen, schönen Seiten von Hongkong abbildet, zwar kein Musical, aber sehr musikalisch inszeniert. Als hätte Gene Kelly einen Hongkong-Gangsterfilm gedreht (und das nicht nur, weil Regenschirme eine große Rolle spielen). Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen PTU und Sparrow ist übrigens auch der gemeinsame Hauptdarsteller Simon Yam, (wie auch Lam Suet) einer von Johnnie Tos Stammschauspielern. Tipp: Sparrow kann mit einem Account bei der Stadtbibliothek Dresden (und vieler anderer Bibliotheken) über die Plattform "filmfriend" ohne Mehrkosten gestreamt werden.

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Beschwingt auf dem Fahrrad durch Hongkong: Taschendieb Kei (Simon Yam) in Sparrow © MFA+

Johnnie To ist jedenfalls ein hochspannender Regisseur, dessen Werk ich unbedingt weiter ergründen und für mich entdecken möchte. Ein Regisseur, der seiner Heimatstadt stets treu blieb und auch eine Episode des jüngst in China veröffentlichten Anthologie-Filmes Septet: The Story of Hong Kong drehte, in welchem sich sieben der größten aktiven Regisseure Hongkongs (u.a. auch Tsui Hark) mit der Geschichte jener Stadt auseinandersetzen. Zudem ist Johnnie To auch ein Regisseur, der sowohl bei der Kritik, als auch beim Publikum hervorragend ankommt. So waren Filme wie Fulltime Killer, Running on Karma und Election Riesenhits an den Hongkonger Kinokassen, während er auf der anderen Seite auch regelmäßig bei renommierten Filmfestivals vertreten ist, wie beispielsweise in den Wettbewerben von Cannes (Election, Vengeance), Venedig (u.a. Throw Down, Exiled) und der Berlinale (Sparrow). Als Einstieg ins Schaffen von Johnnie To eignet sich PTU jedenfalls vorzüglich, nicht zuletzt auch wegen seiner Kurzweiligkeit und der bekömmlichen Laufzeit von knapp unter 90 Minuten.

Hoffentlich konnte ich unseren lieben Leser:innen etwas Lust machen auf die cineastischen Asia-Leckerbissen, welche Arte uns in ihrer Mediathek kredenzen. Und natürlich hoffe ich, dass ihr zahlreich am Freitag, den 2. Juni, auf der HSZ-Wiese erscheint, um King Hus bahnbrechenden Genreklassiker Die Herberge zum Drachentor im Sommerkino zu genießen!