In  den 1980ern war Michael J. Fox synonym mit dem Mainstream, dem Sunnyboy nebenan, mit DeLoreans, Skateboards und irgendwie auch mit weißen Sneakern. Ein leidlich gewachsener Schulabbrecher aus Kanada, der es nach ganz oben geschafft hat. Ende der 1990er wird Fox dann synonym mit etwas, das als Synonym wenig Appeal hat: Der degenerativen Krankheit Parkinson. In diesem Jahr hat Regisseur Davis Guggenheim nun mit dem Schauspieler den Blick in die Vergangenheit gewagt und eine Dokumentation geschaffen, die erstmals eine Zukunft mit Verfallsdatum andeutet.

Vorab  fühle ich mich zu einer Beichte bewogen: Ich bin die total falsche  Person für diese Kritik. Zumindest gefühlt. Denn ich liebe Back to the Future einfach nicht. Ja, ja, ich weiß. Hier im KiK wird ja so manche kontroverse Meinung vertreten, aber selbst mir ist bewusst, dass Back to the Future verschmähen in etwa hinter Kaninchen anzünden steht. An Gelegenheit zum Anbandeln hat es nie gemangelt, als Kind wurde mir der Film öfter vorgesetzt, aber so recht wollte ich mich nicht in den Abenteuern von Marty McFly verlieren. Möglicherweise war die Geschichte schon damals für mich etwas zu Amerikanisch, glatt und konsumorientiert, mein zehnjähriges Empfindungswesen konnte sich eher in den melancholischen Elementen von Stand By Me oder den verdorbenen Elementen von The Lost Boys wiederfinden.

Folglich interessierte ich mich nie groß für Michael J. Fox, der mit dieser Rolle den Zenit seiner Popularität erreicht hatte. Erst im Biologieunterricht der neunten Klasse lernte ich Fox in der Rolle kennen, die er seit der Jahrtausendwende einnimmt: Die des Parkinson-Aushängeschilds. So abwertend man das deuten mag, für mich war das ein super Thema zum Ausschlachten, um in meinem Referat über Parkinson davon abzulenken, dass ich gar keine Ahnung von dem ganzen biologischen Murks hatte. Ich bekam eine 3.

Mit Crispin Glover (r.) in Back to the Future. Der Film verschaffte Fox Ikonenstatus. ©Universal

Und auch, wenn mich immer noch Schuldgefühle plagen, hat sich seitdem in meiner Draufsicht auf das Phänomen Michael „Jenius“ Fox viel getan. So konnte ich feststellen, dass er in Scrubs Dr. Kevin Casey gespielt hatte, einen charmanten wie geplagten Internisten mit Zwangsstörung, der zu meinen Lieblingscharakteren gehörte. Mit wachsendem Alter nahm das Bouquet an sehenswerten Michael J. Fox-Rollen jenseits des Namen McFly zu: Schöne dramatische Parts wie in Casualties of War und Bright Lights, Big City, Schocker wie The Frighteners, 80er-High-School-Quark wie Teen Wolf. Der Fox'sche Kanon ist 'ne bunte Mischung. Und wenn da Davis 'An Inconvenient Truth und It Might Get Loud' Guggenheim eine erzählenswerte Geschichte sieht - dann schaltet man doch gleich gerne ein.

Denn wie in vielen Guggenheim’schen Kreationen finden wir auch hier ein interessantes, personenfokussiertes Framing. Während An Inconvenient Truth zum Beispiel Al Gore einfach mit seiner glorifizierten Prezi über den Bildschirm hopsen ließ und It Might Get Loud essentiell eine Jam-Session zwischen drei legendären Rockmusikern begleitete, findet  Still in zwei Welten statt. Die Erste ist Retroland, eine wirklich schön geschnittene Collage, in der Michael J. Fox seine Vita nacherzählt, zusammengekleistert aus alten Archivaufnahmen, rekontextualisierten Filmclips und nachgestellten Szenen mit fein gecasteten Bodydoubles. Beim Schauen beschlich mich fast der Verdacht, Guggenheim  hat genau wie ich Moonage Daydream geschaut und zufrieden gebrummt.

Ein Bodydouble-Rücken kann auch entzücken ©Apple

Die  zweite Welt nenne ich mal das Vanity Fair Close-Up, und das ist gar nicht so negativ, wie es erstmal klingt. Hier sehen wir ganz viel von Michael J. Fox‘ Gesicht in Nahaufnahme. Er ist jetzt 62, aber unter zauseligen Haaren und ergrauten Bartstoppeln erkennt man immer noch ganz gut den jungenhaften Charme, der ihn einst in die Gunst eines Millionenpublikums brachte. Aber sobald er von A nach B aufbricht, zeigt sich die hässliche Fratze von Parkinson. Der Mann, der früher von Neun Uhr morgens bis Vier Uhr am Folgetag von Set zu Set hopste, kann nur noch schwerlich einen Fuß vor den anderen setzen. Er fällt viel hin, wie etwa kurz vor der Titeleinblendung, als eine Frau auf der Straße ihm 'Hallo'  sagen möchte, weil einfach jeder und jede Michael J. Fox 'Hallo' sagen möchte. „Sie haben mich glatt umgehauen!“, entgegnet Fox ihr, als er sich nicht ohne Mühe wieder auf die Beine kämpft. Denn das ist, was er für die meisten Leute inzwischen ist: Amerikas Stehaufmann.

Still funktioniert sehr gut darin, Fox‘ kometenhaften Aufstieg, so hart erkämpft in Retroland, mit diesen Sequenzen zu kontrastieren, die eine sehr ungeschönte Realität zeigen. Seit Jahrzehnten gilt er als unverbesserlicher Optimist, seine Symptome, das unkontrollierte Zucken und der starre Gang, sind üblicherweise vor der Kamera gut versteckt oder fein in eine Nebenrolle eingebettet.  Hier spielt er wieder ganz die Hauptrolle und nichts wird versteckt oder eingebettet. Als Guggenheim den Schauspieler fragt, wie seine Symptome wohl in 20 Jahren aussähen, entgegnet Fox, dass er in 20 Jahren entweder tot oder Gemüse sei. Hier scheint bewusst eine Parallele zu einem Interview kurz nach seinem Gang an die Öffentlichkeit mit der Journalistin Barbara Walters gezogen zu werden. Fox prognostizierte damals, ruhig und geordnet sitzend und nicht im mindesten zittrig: „Wenn ich 50 bin, werde ich das nicht mehr haben.“. Auch der größte Optimist hat nicht mehr viel zu melden, wenn eine Krankheit zum bleiben gekommen ist.

Menschen tendieren dazu, sich selbst darüber zu belügen, welche Rolle Krankheit, Behinderung und körperlicher Verfall in ihrem Leben spielen könnte. Wir suchen nach Fairness, wiegen uns in Sicherheit, wenn wir gesund leben und alles gut für uns läuft. In Retroland kämpft sich Michael J. Fox aus einem mickrigen Apartment ohne Möbel in eine Durchbruchrolle in der Sitcom Family Ties. Im Sommer 1985 hat er mit Back to the Future und Teen Wolf zwei gigantische Blockbuster. Er arbeitet unermüdlich, er wirkt fit, er ist jung, bald wird er seine Frau Tracy kennen lernen und Fortuna lächelt ihm zu. Wo bleibt da bei Parkinson die Fairness? Die Unverdientheit dieses Schicksalsschlages und die formvollendete Ironie, dass ein Mann, der nie stillhalten wollte, nun nicht mehr stillhalten kann, trifft das Publikum in die Magengrube, ohne zu mitleidig oder pathetisch zu sein. Im Gegenteil: Still geht sehr geerdet mit seinem Sujet um und ist stellenweise recht selbstkritisch.

Ganze Sonette könnten der Liebesgeschichte zwischen Fox und Tracy Pollan nicht gerecht werden. Er ist sich aber nicht zu schade, seine Mängel als Partner und Vater im Schatten der Diagnose zu diskutieren. Auch wird nicht davor gescheut, ein Bild von dem ersten Kennenlernen zu zeichnen, in dem er als ausgesprochen arrogantes Arschloch über den Acker der Schmach gezogen wird. Den pointierten Kommentar "A pig is a pig, no matter how many movies he's made" sollten sich sicher ganz viele Leute in Hollywood (und darüber hinaus) einrahmen, im Falle von Michael J. Fox fällt die Diskussion seiner Fehltritte wohl so kurz aus wie die Fehltritte selbst.

Der Film lässt also nichts vermissen, zumindest, bis das Kapitel eingeschlagen wird, in dem es um Fox' Wandlung vom Darsteller zum Aktivisten gehen sollte. Wir bekommen natürlich Archivaufnahmen von der berühmten Kongresssitzung, in der Muhammad Ali und er die Werbetrommel für Forschungsgelder geschlagen haben, aber ansonsten sieht es doch recht mau aus. Das erinnert an das ansonsten wunderbare Biopic Rocketman, das ebenso übertrieben bescheiden ausließ, dass Elton John gefühlt 70% der berühmten Drogenabhängigen eigenhändig clean gecoacht hat. Still schafft es nicht so recht, ein Gefühl dafür zu vermitteln, was für ein gigantisches Lebenswerk sein Protagonist mit der Michael J. Fox-Foundation geschaffen hat. Warum ist das ein Problem?

Ungeschönt, offen, ehrlich: Still malt das Portrait von einem, dem die Zeit davonläuft ©Apple

Zum einen verwehrt es noch einmal eine weitere Stufe auf unserem dramatischen Treppchen: Still ist ganz offenkundig entstanden, weil dies die letzten Jahre sind, in denen Fox seine Geschichte noch selbst erzählen kann. Das Sprechen fällt ihm jetzt schon schwer, und er scheint sich durchaus bewusst, dass das nicht besser wird. Er wird nicht mehr erleben, wie Parkinson geheilt wird. Aber eines schönen Tages, wenn die Sonne lachend aufgeht, die Vögel singen, die Pancakes duftend brutzeln und im Fernsehen nebenbei Back to the Future läuft, wird es einen ersten Durchbruch in der Behandlung oder Prävention von Parkinson geben. Und das wird wahrscheinlich der von ihm ins Leben gerufenen Foundation zu verdanken sein, die einen Mammutanteil der Forschung auf diesem Gebiet vorantreibt.

Und dann ist da noch eine sehr distinktive Szene in der Dokumentation. Auf den ersten Blick ist sie recht unscheinbar: Michael J. Fox macht, wie so oft, mit seinem Bewegungstherapeuten Übungen, und der Therapeut ermahnt ihn, mit liebevoller Strenge vor ihm kniend, dass er einen Gang runterschalten müsse. Dass es okay sei, wenn er einmal nicht "Michael J. Fox" sei. Doch was bedeutet das, "Michael J. Fox" zu sein?

Wenn Guggenheim an der Beleuchtung der letzten zwei Jahrzehnte spart, bleibt er die Antwort auf diese Frage schuldig. "Michael J. Fox" ist Marty McFly, ist ein Yuppie, ist ein amerikanischer Traum, ist Parkinson. "Michael J. Fox" ist Hoffnung. Wann immer jemand auf der Welt erfährt, dass er oder sie selbst oder jemand Geliebtes Parkinson hat, ist es Fox' Richtung, in die für Optimismus und Beistand geschaut wird. Das lässt nicht viel Raum für Schwäche und muss eine ungeheuerliche Last sein. Durch die Kürzung des (bisher) letzten Kapitels der Geschichte bleibt diese Last schemenhaft, wirken solch starke Szenen dann doch zahnloser, als sie sein könnten. Hier hätte vielleicht noch etwas an der ersten Hälfte des Films gesägt werden können.

Wobei, und das sei abschließend betont: Es gab dort eigentlich nicht viel, was man missen möchte, denn Still weiß, seine Zuschauer:innen wunderbar zu unterhalten und macht so neugierig auf mehr Anekdoten und Erinnerungen von Fox, dass diese Kritik eher ein dreister Wunsch nach mehr Filmzeit im obligatorischen Meckermantel ist.

Um zu meinem mittelmäßigen Bioreferat und Schulnotenjargon zurückzukehren, Still: A Michael J. Fox Story bekommt von mir eine 1-.
Michael J. Fox bekommt keine Note, denn der war schon immer zu überragend für solchen Quatsch.

Ihr findet Still: A Michael J. Fox Movie auf Apple TV+. Haben wir schon erwähnt, dass dieser Streamingservice einen Probezeitraum hat? Na dann haben wir's jetzt.