„Young actor Perkins will go on clicking, some Hollywood observers believe, for a long time to come, as few movie actors ever have.”

-Michael Mackay in Newsweek, März 1958

Warum Anthony Perkins?

Diese Frage wurde auch Charles Winecoff betont häufig gestellt, als er sich Anfang der 1990er daran betat, die erste (und bis heute bedeutendste) Biografie über den Schauspieler zu schreiben, der in den 1950ern ein Leinwandschwarm für Teenager und ihre Mütter war, bevor Alfred Hitchcock ihn für immer zu Norman Bates machte. Die ungeschönte Version dieser Frage ist: Warum gerade der? Schließlich assoziieren ihn jene Wenige, die den Namen Perkins überhaupt präsent haben, nur mit dieser einzigen Rolle. Eine handfeste Typecasting-Karriere. Wenn Hugh Grant einmal wieder den verdatterten Briten gibt und Jennifer Coolidge quirlig, blond und zitierbar ist, dann wissen wir sofort: klassischer Fall von Typecasting. Und so mancher denkt sich da pikiert “Mensch, sonst können se wohl nix!”

Ab und an entwickle ich ein versteiftes Interesse für solche Karrieren, aber auch ich konnte mir Anfangs nicht so recht erklären, warum meine Wahl gerade auf Anthony Perkins fallen musste.

Schon in Jugendjahren verschwendete ich meine unspektakulären Nächte damit, auf Wikipedia die Artikel diverser Figuren der Filmwelt abzucruisen. Perkins Artikel war beständig uneinig darin, wie sein Privatleben zu interpretieren war. Einen Großteil seines Lebens war er mit Männern zusammen, ehe Perkins sich in seinen Vierzigern zu einem radikalen Cut entschied, heiratete und der heterosexuelle Vater einer Bilderbuchfamilie wurde. Die Beurteilung seiner Karriere verlief dagegen immer recht eindeutig: Nach Psycho war der Darsteller seine Rolle nie mehr losgeworden. Die Kafka-Verfilmung Der Prozess ausgenommen, hatte er nichts Interessantes mehr drehen können.

Norman forever: Anthony Perkins in der Rolle, die ihn gleichzeitig zur Ikone und zum One-Trick-Pony machte ©Shutterstock

Vielleicht wurde meine Neugierde geweckt, als ich wieder einmal bei diesem Wikipedia-Artikel landete und registrierte, dass er beachtlich gewachsen war. Irgendwo hatte irgendwer Winecoffs Biografie in die Griffel bekommen und minutiös ergänzt, richtiggestellt, elaboriert. Und plötzlich waren da feinere Details und interpretierfähige Schaffensetappen! War ich einem populären Irrglauben auf den Leim gegangen? War es am Ende nicht Norman Bates, der Anthony Perkins Karriere niedergestochen hatte, ja, war diese womöglich lebendiger als angenommen?

Postwendend orderte ich mir eine Ausgabe von Winecoffs Split Image und recherchierte jeden Artikel, jedes Interview und jede verfügbare Dokumentation. Ich sichtete (fast) gänzlich Perkins Filmographie und unternehme nun den kläglichen Versuch, 40 Jahre einer Leinwandkarriere und 60 Jahre eines Menschenlebens in Hausarbeitslänge zusammenzufassen. Ich verabschiede mich an dieser Stelle von jenen, die verständlicherweise lieber rausgehen und Bäume anfassen wollen und begrüße die, die gekommen sind, um zu bleiben. Und um mit mir gemeinsam herauszufinden: Warum Anthony Perkins?

Fear Strikes Out (1957)

Aus heutiger Sicht wäre diese Verfilmung der Autobiografie des Baseballspielers Jimmy Piersall 1A-Oscar-Material. Anno 1957 galt das Projekt aber eher als kleines Wagnis: Piersall litt an einer bipolaren Störung, die sich auf dem Feld in manischen Wutausbrüchen präsentierte. Man brauchte also einen Darsteller, der das Amerikanisch-Heroische des Sports, aber auch Verletzlichkeit verkörpern konnte. Das Ganze sollte allerdings nicht reißerisch oder gar gruselig werden.

Harte Arbeit hinter und vor der Kamera ©unbekannt ©20th Century Fox

Es scheint zunächst schwer verständlich, dass gerade Anthony Perkins aus Paramounts Honigtopf für diese Aufgabe auserkoren wurde – wenn man Norman Bates vor Augen hat. Aber Hitchcock war noch in ozeanweiter, britischer Ferne, und Perkins hatte jüngst in einem zeitgenössischen Oscar-Bait-Film (Friendly Persuasion, 1954) gespielt. Und tatsächlich eine Nominierung als bester Nebendarsteller abgestaubt.

Auch sonst hatte seine Karriere zu diesem Zeitpunkt wenig Schockierendes an sich: Wie viele andere Anfänger hatte er sich zuerst am Theater verdingt. Sich nach und nach hochgearbeitet. Die ersten glühenden Kritiken erhielt er für die Rolle eines Studenten in Tea and Sympathy. Dieser wird von seinen Komillitonen für schwul gehalten und verliebt sich in die Frau eines Lehrers. (Wir notieren uns: homosexueller Subtext, ältere Frau, Muttikomplexe.)

Vermarktet wurde Perkins als Teenie-Idol, ein jovialer junger Mann, der Chansons aufnahm und in der ein- oder anderen Spielshow zu sehen war. Das Ärgste, was ihm von der Klatschpresse nachgesagt wurde, war ein Hang zur Exzentrik: Im Interview mit Mike Wallace musste er bestreiten, bei einem Empfang Spaghetti mit Händen gegessen oder Schauspielerin Shirley MacLaine einen Kübel Wasser über den Kopf gekippt zu haben. Er selbst gab sich in einem Profil in Newsweek bescheiden:

“I need to be told I’m good because I can give so many arguments why I'm not. I'm absolutely flabbergasted by my lack of qualifications. There are a lot of young handsome actors who have worked much harder but who haven’t had any of the chances I’ve had. I’m not really at all suited to being a star. I’m much too sensitive."
Das nennt sich effektive Promo, süße Katzenbilder ziehen immer! Diese Siamkatze gehörte wirklich Perkins und hörte auf den Namen 'Pansy'. Er besaß noch eine weitere namens 'Banjo' ©unbekannt ©Movie Teen Illustrated ©unbekannt

In einem ironischen Twist hatte der schlacksige, dunkelhaarige Perkins die Hauptrolle in Fear Strikes Out genau so einem gutaussehenden, hart arbeitendem Jungschauspieler namens Tab Hunter abgeluchst. Der hatte Piersall bereits in einem Fernsehfilm gespielt und entsprach dem American Boy Next Door-Typus mehr. Und besser Baseball spielte er auch.

Die mannigfaltigen Probleme des Anthony P. am Set begannen genau mit diesem Punkt: Perkins war wahnsinnig athletisch und gesundheitsbewusst, aber Baseball war ihm schon in seiner Jugend zuwider gewesen. Besonders die Statisten, die seine Teamkollegen spielten, waren freilich deutlich bewanderter in dem Sport (dafür wurden sie schließlich gecastet). Und waren redlich bemüht, den feinen Schauspielpinkel während seiner Szenen in den Boden zu starren. Noch mehr Antipathie erzeugten allerdings die regen Setbesuche von Tab Hunter.

Ja, richtig gelesen: Der um die Rolle Gebrachte besuchte den leidlich glücklichen Gewinner bei der Arbeit.  Denn Perkins war seit einiger Zeit mit Hunter liiert.

Die beiden waren Ende der 1950er zwei der größten Sweethearts von Amerika. Zur Einordnung: Wenn in den 1990ern Brad Pitt und Leonardo DiCaprio beschlossen hätten, sich heimlich zu daten, hätten wir in etwa das Equivalent. Pitt und DiCaprios Karrieren hätten das vielleicht überstanden; Wenn Perkins und Hunter öffentlich aufgeflogen wären, hätte das ihr berufliches und soziales Ende bedeutet.

Links ein Publicityshot von Tab Hunter, rechts Hunter und Perkins mit Freundin Venetia Stevenson. Hunter fällt anscheinend gerade ein, dass er den Herd zuhause angelassen hat ©Warner Bros. ©The Film Collaborative

Wie Tab Hunter in der Dokumentation Tab Hunter Confidential berichtet, sei er durchaus säuerlig gegenüber dem Projekt gewesen, denn er, bei Warner unter Vertrag, hatte versucht, sein Studio die Filmrechte für ihn kaufen zu lassen. Warner traute dem bildschönen, aber unerfahrenem Darsteller die Rolle noch nicht zu; Zudem hatte ihn die Klatschpresse jüngst  bei einer "limp wristed pyjama party" ertappt (wenn so ein Event heute noch gehalten wird, hätte ich gerne eine Einladung!).

Das Studio blickte ansonsten gerne über Hunters Homosexualität hinweg, aber karrieretechnisch hatte ihn das zu einer heißen Kartoffel gemacht, die gerade nicht angepackt wurde. Hinter seinem Rücken ging Perkins also zu Paramount und überzeugte sie, das Projekt stattdessen für ihn zu erwerben.

Perkins offenbarte ihm diesen Betrug ganz nebenbei während einer Tischtennispartie. Dennoch konnte das ihr Glück nur milde trüben; Trotz, wie Hunter einräumt, grundverschiedener Persönlichkeiten, hatten sie einen Narren aneinander gefressen.

Die diskreten Turteltauben auf einem Date im Lake Arrowhead Retreat, 1956 ©The Film Collaborative


Die Lunch-Dates sprachen sich bei den Studioköpfen von Paramount schnell herum. Perkins wurde ins Büro zitiert. Auf die Forderung, die Beziehung zu beenden, entgegnete er teufelsdreist: “Aber ich liebe ihn!”. Ihr bestes Pferd im Stall, das sonst für seinen Ehrgeiz bekannt war, spurte einfach nicht. Ganz im Gegenteil, der ließ sich lieber in aller Öffentlichkeit von seinem Beau Fahrstunden geben! Diese Unbedarftheit war eine ärgerliche Marotte, die es alsbald auszutreiben galt. Für’s Erste begnügte man sich damit, die Beiden auf Alibi-Doppeldates mit diversen Actricen zu schicken, die ebenfalls von der Vermarktung profitierten.

Einige, wie Natalie Wood oder Debbie Reynolds, blickten da recht schnell durch. Im Laufe seiner Karriere sollte aber gerade Perkins etliche gebrochene Herzen hinterlassen. Nicht wenige seiner Leinwandpartnerinnen rühmten sich, ihn nach Drehende zur Feier des Arbeitstages vernascht zu haben. Was sich fast immer als unwahr herausstellte. Oder verguckten sich ernstlich in ihn, um an einer freundlich-unverbindlichen Betonwand abzuprallen. So erging es Jane Fonda, die 1960 ihr Debüt an seiner Seite in Tall Story gab. Donna Anderson, die mit Perkins im Jahr zuvor im apokalyptischen U-Boot-Drama On the Beach eine Leinwandehe führte, verstand die Welt nicht mehr: Da hingen sie am Set die ganze Zeit aufeinander und verstanden sich prächtig, und dann kam da nix!

Links mit Jane Fonda am Set von Tall Story, rechts mit Donna Anderson bei einem Promoshooting für On the Beach ©beide unbekannt

Es waren schließlich die 1950er. Sonst waren sie von ihren männlichen Kollegen omnipräsente, oberflächliche Annäherungen gewohnt. Dann kam da mal so ein schöner Kerl, der während der Drehpausen Scrabble mit ihnen spielte, sich für ihre Meinung interessierte und immer die Autotür aufhielt oder den Mantel lieh - und dabei blieb es. Auch Ingrid Bergman und Brigitte Bardot sollten diese Erfahrung mit Perkins machen. In den meisten Fällen gab es aber ein Happy End in Form einer dicken Freundschaft. Dennoch blieb der Öffentlichkeit nicht verborgen, dass kaum eine Dame länger als ein paar Abende an Perkins Seite blieb. Sein beharrlicher (vermeintlicher) Single-Status brachte ihm den Spitznamen "Lonely Tony" ein.

"Single and prefers it that way", ein zeitloser Euphemismus! ©unbekannt

Am Set von Fear Strikes Out blieben Perkins größte Stützen Co-Star Norma Moore und sein Filmvater Karl Malden, der versuchte, seinen jungen Kollegen aufzubauen. Zumal die zwei ganz großen Szenen, Piersalls manische Episode auf dem Spielfeld und die Konfrontation mit dem Vater in der Psychiatrie, ihn emotional sehr forderten und verunsicherten. Wie viele Kolleg:innen erlebte Malden Perkins als introvertiert, selbstkritisch und auf Bestätigung durch Andere angewiesen. Die rüde Behandlung durch den erweiterten Cast konnte nicht geholfen haben, und wegen der Beziehung zu Tab Hunter saß ihm Paramount-Studiochef Barney Balaban quasi rund um die Uhr im Nacken.

v.l.n.r: Norma Moore, Anthony Perkins, Perry Wilson und Karl Malden am Set von Fear Strikes Out ©Paramount

Nachdem nun nach einigen Quälereien der Film fertiggestellt war, blieb der große Ruhm aus. Das Sujet war dann wohl doch etwas zu duster für Filmpreise und Publikum, auch wenn Fear Strikes Out von der Presse wohlwollend aufgenommen wurde. Lob rasselte es vor allem ordentlich für Perkins, dessen introspektives Spiel seine Besetzung in vollem Maße rechtfertigt.

De facto scheitert Fear Strikes Out als Biografie. Piersall und sein Vater waren ganz schick miteinander, weshalb das Vorbild nie Fan der Verfilmung wurde, und das Wort ‘bipolar’ fällt im Film nie (wer sich mehr für Piersalls Geschichte interessiert, der klicke hier). Zementieren kann sich der Streifen aber als ganz beachtliche Studie einer Seele unter enormen Druck. Es scheiden sich weiterhin die Geister, ob man Perkins einen Baseballstar abkaufen mag, aber den lobheisschenden, zerrissenen Sohn – den kauft man. Und ein Film aus den 1950ern, in dem psychologische Hilfe eben nicht als Schauermärchen aus eintausendundeiner Irrenanstalt inszeniert wird? Durchaus sehenswert, genau wie Anthony Perkins, der in dieser Rolle erstmalig viel Potential für jene gehemmte Spannung zeigt, die seine nächste große Rolle ihm auf den Leib bannen wird.

Shoutout an Karl Malden, der auch echt super in dem Film ist.

Psycho (1960)

„What makes "Psycho" immortal, when so many films are already half-forgotten as we leave the theater, is that it connects directly with our fears: Our fears that we might impulsively commit a crime, our fears of the police, our fears of becoming the victim of a madman, and of course our fears of disappointing our mothers.”

-Filmkritiker Roger Ebert in seiner 1998er Retrospektive über Psycho.

Dass Alfred Hitchcock den kontroversen Roman Psycho von Robert Bloch überhaupt verfilmen durfte, war ohnehin schwer tragbar von Paramount. Dass er es so tun konnte, wie er es tat, mit nackter Haut, Oedipuskomplexen und Toiletten in Gebrauch (Schock! Horror!), war ein höchstpersönliches Risiko. Eines, das nur durch finanzielle Eigenbelastung möglich war. Selbst einen Drehort wollte das Studio nicht selbst stellen, weshalb ausgerechnet Universal aushelfen und die ikonische Kulisse von Bates Motel ausleihen musste. Paramount war nicht bereit, größere Risiken für dieses Schmuddelwerk einzugehen; Das Unterfangen war bereits ein Tanz auf dem Vulkan der Zensur.

Alfred Hitchcock, Janet Leigh und Perkins ausgelassen am Set und in Feierlaune ©Paramount ©unbekannt

Dazu trug zweifelsohne Anthony Perkins bei, von ihnen nach wie vor sorgsam sittlich und betont maskulin vermarktet. Wie für jede:n Darsteller:in der 1950er hatte ein exklusiver Studiovertrag Prestige und regelmäßige Rollen versprochen. Kaum ein Jahrzehnt später spürte er hauptsächlich dessen Einschränkungen. Und vor allem spürte er verpasste Gelegenheiten: Eine der Hauptrollen in Some Like it Hot blieb ihm verwehrt, weil man den queeren Perkins nicht auch noch in Frauenkleider stecken wollte. Die Rolle des Tony in West Side Story erschien nicht männlich genug. Und die bereits hauchdünn verschleierte Rolle des Plato in Rebel Without a Cause, der James Dean so verträumt anklimpert? Das stand nun völlig ausser Frage.

Stattdessen besetzte Paramount ihn in einer Graupe nach der anderen (Tropen-Schund wie Green Mansions an der Seite von Audrey Hepburn, in dem er wenigstens singen durfte) und ließ ihn in Interviews brav beantworten, ob er Brünette oder Blondinen bevorzugte (wie Tab Hunter und spätere Partner:innen belegen ist es Antwort b). Dem notorisch privaten Teil von ihm ging das auf den Zeiger; den notorisch ehrgeizigen Teil trieb die Situation zur Weißglut.

Am Set von Green Mansions. Weit und breit kein echtes Blatt in Sicht! ©Paramount

Natürlich hätte der Master of Suspense ihn da anrufen und ihm einen trockenen Pumpernickel, ein Einmachglas voller Tränen und eine Statistenrolle in seiner TV-Serie Alfred Hitchcock Presents anbieten können. Glücklicherweise kam der Meisterregisseur mit einem viel besseren Deal um die Ecke: Der im Buch grundunsympathische, übergewichtige Alkoholiker Norman sollte auf der Leinwand einen sensiblen Touch bekommen, sodass der mörderische Twist das Publikum noch viel härter treffen würde. Auch Hitchcock hatte sich Perkins in Friendly Persuasion gemerkt und ihm gefiel der Plan, einen Schauspieler zu besetzen, der als größter Nachfolger von James Dean gehandelt wurde. Diesem hatte Perkins sowohl Friendly Persuasion als auch das mäandernde Ostasiendrama This Angry Age abgeluchst; im Gegenzug hatte Dean ihn, wie viele andere, für East of Eden ausgestochen.

Die Rolle des neurotischen Motelbetreibers versprach eine neue, tiefere, selbstbezogenere Ebene als alles, was Perkins zuvor gespielt hatte. Das lag nicht zuletzt an den vielen Parallelen zu seiner eigenen Vita: Perkins Vater, der Schauspieler Osgood Perkins (bekannt aus Scarface von 1932) war unvermittelt verstorben, als er fünf Jahre alt war – wobei der ältere Perkins auch vor seinem Tod keine große Präsenz in seinem Leben gehabt hatte. Von da an war Perkins Junior von seiner Mutter Janet großgezogen worden, deren Erziehungsstil mit ‚kontrollierend‘ wohlwollend beschrieben werden könnte. Französisch- und Klavierstunden, das Internat, die ersten Rollen in kleinen Theaterproduktionen – alles von ihr sorgsam ausgesucht und ihrem Sohn ans Bein gebunden. Jahrzehnte später, in einem Interview mit der Zeitschrift People, erzählte Perkins beinahe beiläufig, dass seine Mutter ihn zudem sexuell belästigt habe. Dennoch vermochte er sich nie ganz von ihr loszusagen.

Mit zwei Janets: 1958 mit seiner Mutter, 1959 mit Janet Leigh in Alfred Hitchcocks Büro ©John Vachon ©Sid Avery

Ebenso wie Drehbuchautor Joe DiStephano befand der neu besetzte Hauptdarsteller sich wegen seiner Beziehung zu seiner Mutter in Therapie. Zusammen mit Regisseur Hitchcock, der sein eigenes Päckchen an sexuellen und familiären Neurosen mitbrachte, fügte sich ein Dreiergespann zusammen, das Siegmund Freuds ganzen Terminkalender bis zum neuen Millennium hätte füllen können.

Aus diesen Köpfen wuchs also Norman Bates, wobei Perkins von Hitchcock relativ freies Geleit bekam, den Charakter zu gestalten. Und so mampft das schüchterne, grundnervöse Muttersöhnchen Candy Corn (die Konservativste aller Süßigkeiten) und kleidet sich adrett in der Art College-Chic, die auch Perkins von Zeit zu Zeit trug. Augenscheinlich ist der Charakter heterosexuell und tötet, weil die Beziehung zu Mutter Bates ihn unfähig gemacht hat, attraktive Frauen zu ertragen. Aber wie so oft bei Hitchcock tarnt sich hinter dem heterosexuellen Text eine queere Lesensart, die Justin Simien (Regisseur von Bad Hair und Dear White People) in der zweiten Episode der Hulu-Dokuserie Queer for Fear auf den Punkt bringt:

„I think you would be hard-pressed to find a gay man who doesn’t relate to being driven crazy by his mother’s voice in his head.“
Die Mutter aller Muttikomplexszenen!

Zudem berichtet Oz Perkins, Anthony Perkins älterer Sohn und ebenfalls Horrorfilm-Regisseur (The Blackcoats Daughter, I am the Pretty Thing That Lives in the House), die Rolle sei „zu richtig“ für seinen Vater gewesen. Die Faszination und der Vorteil von Schauspielerei sei für ihn gewesen, jemand anderes sein zu können. Amerika in den 1950er Jahren war sehr freundlich zu dem Teenie-Idol Anthony Perkins. Es war ein weitaus weniger warmer Ort für den Darsteller hinter dem Image, nicht nur wegen seiner Queerness, sondern auch aufgrund seines recht machismobefreiten Auftretens.

Janet Leigh erinnert sich an Perkins am Set als sehr freundlichen, aber in sich gekehrten Mann. Wie viele andere in seinem professionellen Umfeld wurde sie das Gefühl nicht los, dass er nur ausgewählte Facetten seiner Persönlichkeit durchblicken ließ. Den Großteil seiner Selbst hatte er in irgendeine Schublade gekramt. Perkins öffnete diese Schublade für Hitchcock und für Psycho; Nachdem das Publikum ihn erst einmal so gesehen hatte, gab es kein Zurück.

Die Zweiteilung einer Karriere. Na ja, zumindest die Bravo hielt noch länger am Bubicharme von ihrem Anthony fest. ©Jasmine ©Bravo

Es mag schwer vorstellbar sein, da der Film dieser Tage als Meisterwerk gehandhabt wird, aber trotz seines Erfolgs beim Publikum (Psycho ist bis heute Hitchs kommerziell ertragreichstes Werk) blieb die Kritik lauwarm. In Endlosschleife wiederholten sich zwar Lob für Janet Leigh und Anthony Perkins, aber auch Befürchtungen, Hitchcock habe seine Seele an den Schund verkauft. So urteilte etwa Newsweek in ihrer New Movies-Sektion:

Hitchcock’s climactic scenes are rather standardly spooky and contrived. But he has milked every drop of excitement from that early stretch—aided and abetted by fine performances from Perkins and Miss Leigh, and from a shot of a shower head.

Bei den Academy Awards 1961 ging der Film komplett leer aus. Unvorstellbarer noch: Weder der ikonische Score von Bernard Hermann noch Anthony Perkins wurden nominiert.

Perkins beim wohlverdienten Urlaub mit seinem Hund 'Punky' am Cape Cod, 1960, rechts undatiert. ©Stephen Paley ©unbekannt

Eine bittere Pille, die Letzterer zum Erstaunen seines Umfelds recht gelassen hinnahm. Er hatte einfach Spaß daran, Zuschauer:innen beim Verlassen einer Psycho-Vorstellung zu erschrecken und seine letzten Tage bei Paramount zu zählen. Sein Kompass war auf ein neues Ziel gerichtet: Europa, jenem magischen Kontinent, auf dem gerade viel gewagtere Filme gedreht wurden und wo er fast noch mehr als in Amerika verehrt wurde. In Hollywood lag ihm ohnehin zu viel verbrannte Erde herum. Denn seine Beziehung mit Tab Hunter war mittlerweile beendet. Zeit, zu grüneren Wiesen aufzubrechen.

Immerhin konnte er in Deutschland eine Nominierung für den Bambi verbuchen, wenn auch er und Charlton Heston (nominiert für Ben Hur) sich Rock Hudson (gewann mit Happy End im September) geschlagen geben mussten. So ein Bambi wäre aber auch allenfalls ein belastender Türstopper gewesen – 1970 erhielt Perkins dafür einen ihm gewidmeten, von Helmut Otto Schön gestalteten Brunnen vor der Droste-Hülshoff-Grundschule in München. Es gleicht sich also doch irgendwo alles aus!

"Na, Rock, wo haste denn deinen Bambi?", rechts der Wassermobilebrunnen in München, über den Perkins sich sicher ganz doll gefreut hat. ©Columbia Pictures Corp. ©Wikimedia