"To be a big star in America, you have to have several qualities I don't have."
-Anthony Perkins gegenüber Newsweek, 1962, zitiert in Split Image, S. 235
Lieben Sie Brahms? (1961)
Wem bisher noch schleierhaft blieb, warum Perkins zu Anfang seiner Karriere vornehmlich als Leinwandschwarm galt, dem sei diese erstaunlich aktuelle romantische Dramedy ans Herz gelegt.
Die Handlung strickt sich simpel: Die Inneneinrichterin Paula (Ingrid Bergman) hat eigentlich alles, was sie sich wünschen kann: Erfolg im Job, ein schickes Apartment in Paris und sogar Yves Montand! Na ja, sie hat ihn fast – Montand mimt einen Hallodri namens Roger, der Paula seit fünf Jahren am langen Arm verhungern und die Finger nicht von den jungen Dingern lässt. Nach einigem Hadern schießt Paula ihn dafür endlich in die Wüste. Nach noch viel mehr Hadern lässt sie sich von Philip (Anthony Perkins), dem Sohn einer Klientin, umgarnen. Aber damit provoziert sie haufenweise gerümpfte Nasen – denn sie ist in ihren Vierzigern und Philip keine 25. Und auch Roger steht auf einmal wieder auf der Matte.
Während deutscher und französischer Titel sich gleichen, bekam der Film in Amerika den vergessenswerten Titel Goodbye Again aufgeklatscht – nach einer Idee von Anthony Perkins. Diese nette kleine Geschichte nach einem Roman von Françoise Sagan und umgesetzt von Regisseur Anatole Litvak unterhält mit pfiffigen und doch glaubwürdigen Dialogen, wobei einige der besten Zeilen Perkins Philip zufallen.
Er ist authentisch charmant, aber auch hinreichend quengelig und unreif. Mit Bergmans Paula verbindet ihn viel Chemie, Lieben Sie Brahms weiß jedoch, die Schwierigkeiten des Altersunterschieds zu betonen. Da gibt es gesellschaftlichen Druck, und oft ist man bei aller Liebe doch an sehr unterschiedlichen Punkten im Leben. Das Herz sagt einem, dass man freilich sowohl Yves Montand als auch Anthony Perkins nehmen würde, aber letztendlich will man nur das Beste für Paula, und das ist keiner von beiden. Seelenfrieden, knusprige Schokocroissants und ein Satisfyer - das wär' doch was!
Für seine Darstellung des ehrlichen Liebhabers wurde Perkins 1961 mit einem goldenen Pälmchen in Cannes belohnt – eine seiner wenigen hochrangigen Auszeichnungen. Und diese Bestätigung tat ihm gleich dreimal so gut, weil er das seichte Projekt natürlich angenommen hatte, um Typecasting zu vermeiden. Allerdings nicht, wie man vermuten würde, wegen Psycho. Tatsächlich fürchtete er eher, immer im Schatten von Friendly Persuasion zu bleiben und bis ans Ende seiner Karriere auf den Reiterhof verbannt zu werden.
Stattdessen lehnte er sich also in ein anderes Raster: Des Öfteren hatte er idealistische Männer, die Verhältnisse mit dominanten Frauen eingingen, gespielt. So etwa im unsäglich kitschigen Leidenschaft unter Ulmen (1954), seine erste Kollaboration mit Sophia Loren oder dem staubtrockenen Phaedra (1962) mit Milena Mercouri. Beide Male verliebt sich sein Charakter in seine Stiefmutter, denn den Griffeln von Mutti kann man wohl niemals entkommen. Dieser Subtext blieb auch Presseagent Buddy Clarke, mit dem Perkins lose bekannt war, nicht verborgen. Clarke offerierte folgenden (ungefragten) Ratschlag:
"Tony, I'm not your manager, but I'd love to be without any fee. What I would do now is I would put you in a Western, put you in jeans, have you fuck a young girl, get the shit kicked out of you, kick the shit out of somebody in a fistfight - change your image."
-zitiert in Split Image, S. 237
An dieser Stelle sollten wir kollektiv innehalten und aufatmen, dass Perkins so ziemlich alles außer das gemacht hat.
Mal abgesehen davon, dass er bereits in Western mitgewirkt hatte (Tin Star mit Henry Fonda, 1957) und noch in weiteren mitwirken würde (The Life and Times of Judge Roy Bean, 1972) - auf dicke Hose machen stand einem Anthony Perkins in keinem Genre. Genau deshalb war er ja nach Europa gekommen. Hier war sein sensibler Typ nicht verschmäht, sondern gefragt. Und Lieben Sie Brahms? zeigt ganz wunderbar, dass er als romantic lead sein vollstes Potential ausschöpfte, wenn er nicht zu glatt, heroisch oder machismobeladen daherkommen sollte. Eine Fantasie konnte er nicht verkaufen, aber die Realität des menschlichen Makels durchaus anziehend machen.
Gedreht wurde in seinem neuen Domizil Paris. Von Kindesbeinen an mit Französischstunden versorgt und per natura ausgestattet mit dem notwendigen savoir vivre, fiel es Perkins leicht, in der Stadt der Liebe Fuß zu fassen. Sein nächster Film sollte ihn zwar mit Anatole Litvak wiedervereinen, aber von Romantik konnte dieses Mal keine Rede sein.
5 Miles to Midnight (1962)
Auf diesem Wege landen wir bei meiner Überraschungsentdeckung im Perkins’schen Oevre. Ich liebe diesen Film.
Die Hauptrolle in dem Thriller hatte nach einigem Hin- und Her Sophia Loren ergattert. Die hatte schließlich ihr amerikanisches Spielfilmdebüt mit Perkins gegeben und war ihm in wärmster Erinnerung geblieben. In seinem Song How About You? wird sie sogar affektioniert erwähnt, zusammen mit ganz vielen anderen Dingen, die ein Anthony Perkins so mag.
Sie war auch der Grund, weshalb er überhaupt zusagte – denn eigentlich hatte er beide Hände voll zu tun. Seine Karriere lief, man konnte es kaum anders sagen, famos. Endlich erhielt er Rollen von der Komplexität, die er sich immer erträumt hatte: Bald sollte er zum Beispiel in dem Justizthriller Am Ende aller Wege einen bisexuellen Künstler spielen, der gemeinsam mit zwei anderen Männern des Mordes an einem Kind verdächtigt wird (in Amerika ist eine Toilettenspülung zu viel, in Frankreich gibt’s Queerness und Meucheltaten!). In The Fool Killer zog er als sensibler Axtmörder mit einem kleinen Jungen durch Tennessee und verbreitete ein wenig The Night of the Hunter-Vibes. Sogar Orson Welles hatte bei ihm angefragt, ob die Möglichkeit zur Zusammenarbeit bestünde – aber dazu später mehr.
An dieser Stelle sei erst einmal festgehalten, dass Anthony Perkins' ganz großes Talent scheinbar darin bestand, Herzen zu gewinnen. Das bezieht sich nicht nur auf die Horden an Co-Darsteller:innen, die sich in ihn verguckten. Viele der Regisseure, mit denen er drehte, griffen mehrmals auf ihn zurück und strickten Lobhymnen auf ihn. Selbst jene, mit denen sonst nicht gut Kirschen essen war.
Ein offensichtliches Beispiel ist Hitchcock, der berühmterweise dazu neigte, Schauspieler:innen mit Rindvieh gleichzusetzen. Und der persönlich bestürzt darüber war, dass die Academy Perkins ignoriert hatte. Später sollte er häufiger mit Sidney Lumet, Claude Chabrol und Orson Welles drehen. So sehr sein ausgeprägter Ehrgeiz zuweilen auf Kritik stieß – der sympathische Schauspieler schien immer umgänglich genug, um Hunger auf mehr zu machen. Das liegt vielleicht auch darin begründet, dass er im Kontrast zu Zeitgenossen wie Marlon Brando oder auch seinem guten Freund Paul Newman nicht ganz so verschossen in die Praxis des Method-Acting war. Und die konnte bekanntlich jede Seterfahrung für alle Beteiligten gründlich vermiesen.
Man möchte sich nicht ausmalen, was für ein Ekelpaket unser Protagonist am Set von 5 Miles to Midnight gewesen wäre, wenn er die Rolle den Dreh über durchgängig beibehalten hätte. Denn er spielt hier Robert, den krankhaft eifersüchtigen Part eines multinationalen Pärchens in Paris. Lisa (Loren), seine Frau, eine ansonsten frohnaturige Person, ist seine kontrollierende Art und seine manipulativen Spielchen leid. Vor allem, nachdem er sie in den ersten 5 Minuten des Films aus einer Bar gezogen und geohrfeigt hat. Darauf folgt eine für ihn typische Routine des Beschwichtigens, Bettelns, Umgarnens. Bis zum nächsten Ausbruch.
Lisa offenbart Robert, dass sie sich scheiden lassen möchte, bevor er mit dem Flugzeug auf eine Geschäftsreise saust. Sowohl aus der Scheidung als auch aus der Geschäftsreise werden nichts, denn das Flugzeug stürzt ab. Lisa wähnt sich endlich befreit von Roberts Missbrauch. Doch ein paar Tage später steht ein leicht lädierter Robert vor der Tür. Er, ganz der Opportunist, hat einen Plan: Seine trauernde Witwe soll die Summe aus seiner Lebensversicherung kassieren, während er sich weiter tot stellt. Ist das Geld erst ausgezahlt, macht er sich mit der Hälfte von Dannen. Sie bekommt die andere Hälfte und die gewünschte Trennung. Aber bis dahin muss er sich bei ihr verschanzen und sie muss ihn ertragen…
In einem schlimmen Fiebertraum hätte das der Auftakt einer missglückten romantischen Komödie sein können. Loren und Perkins spielen es als das eiskalte Kammerspiel, das es zuweilen ist. Die Chemie zwischen den Beiden erntete dabei eine eher gemischte Rezeption. In einem zeitgenössischem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk umschreibt Litvak die Disharmonie zwischen Lisa und Robert als Thema des Films. Biograf Winecoff wiederum empfindet den 1,90 Meter großen, schlacksigen Perkins als wenig glaubwürdigen Frauenschläger, besonders, wenn man ihn mit der kurvigen Loren kombiniert, die für willensstarke und temperamentvolle Charaktere bekannt war. Dieser Konflikt kann aber nur aus einer Attitüde gegenüber häuslicher Gewalt entspringen, die so alt ist wie der Film selbst.
Da steckt vielleicht das einzige bisschen Wahrheit – Womöglich war 5 Miles to Midnight kein großer Erfolg bei einem zeitgenössischem Publikum, weil dieses sich Anfang der 1960er einen mißbrauchenden Ehemann als dauerbetrunkenen Hünen im Wifebeater vorstellte. Robert ist hingegen ein Lehrbuchexempel, wie wir solche Menschen heute verstehen: Von Komplexen zerfressen, histrionisch und darauf bedacht, jede seiner Grenzüberschreitungen mit oberflächlichem Charme zu überdecken.
Manchmal wird er uns doch ganz sympathisch, etwa wenn er in seinem selbsterwählten Hausarrest mit einem kleinen Kätzchen spielt. Aber bei einem wie ihm ist die Kehrtwende nie weit: Der wohl brillanteste Schauspielkniff von Perkins findet sich in der Trennungsszene am Flughafen, in der Robert bis zuletzt nicht einsehen will, dass seine Frau ihn gerade verlässt. Wieder bettelt und biedert er sich an, ehe er Lisa mit zuckersüßem Lächeln droht, sie umzubringen, sollte sie ihn durch einen Anderen ersetzen. Dann zwinkert er ihr zu, feuert eine Fingerpistole ab und verabschiedet sich mit einem sonnigen „Ciao!“. Er hätte den Oscar alleine dafür verdient gehabt.
Generell findet sich in dieser Geschichte der beste Einsatz für seinen Körper und seine natürlichen Manierismen. Denn wer ein fortgeschrittener Perkins-Experte (oder auch Perkinsperte) ist, der kennt all die mannigfachen Publicitybilder, in denen er immer neue, kreative Wege findet, ungescheit auf einem Stuhl zu sitzen. Irgendwo ist da immer ein überlanges Bein angewinkelt, eine verzweigte Pose angepeilt. Dank Roberts Scharade verbringt Perkins in 5 Miles to Midnight viel Zeit damit, durch das beengte Apartment zu kreuchen und in waghalsige Verstecke zu klettern.
Die größten Stärken von Litvaks Thriller weben sich eindeutig aus der Dynamik zwischen diesem dysfunktionalem Paar. Das wendungsreiche Gekeife zwischen Lisa und Robert beflügelt einen recht geradlinigen Plot, Gott sei's gedankt, denn zu komplexe Handlungszweige würden diesen Charakteren den Raum nehmen. Ein potentieller Nebenbuhler (Gig Young) bleibt am Ende auch nur hübsches Beiwerk. Und während Loren zweifelsohne stark spielt und in den letzten fünf Minuten ganz großes Kino abliefert, ist es Anthony Perkins, dem dieser Film gehört. Sein Robert macht gleichsam wütend, frustriert und neugierig. Er ist ein zeitloser Bösewicht, durch und durch. Wenn ihr eine schaurige kleine Nummer für verregnete Herbstabende sucht – 5 Miles to Midnight ist’s.
Der Prozess (1962)
Also – die Geschichte mit Orson Welles.
1960 war Welles bei Dreharbeiten in Yugoslawien von Produzent Alexander Salkind angesprochen worden. Er versprach dem in Verruf geratenen Regisseur etwas, was dieser immer gerne hörte: Wenn Welles für Salkind einen Film drehe, bekäme er komplett freies kreatives Geleit. Der Catch war, dass Welles eine Liste von über 80 Büchern erhielt. Sie alle lagen im Public Domain und durften demnach ohne Lizenzkosten verfilmt werden. Welles sollte ein Werk aussuchen. Er entschied sich für Franz Kafkas Der Prozess.
Wie für Kafka üblich ist es eine abstruse Geschichte. Der niedere Angestellte Josef K. wird eines Morgens Zuhause verhaftet, weiß aber nicht, weshalb. Niemand sagt es ihm. Er wird nicht eingesperrt. Stattdessen beginnt für K. eine Odyssee durch die Wirren eines Rechtssystems, gegen das er nicht gewinnen kann. Es geht um Schuld und Gerechtigkeit, aber auch um faschistische Strukturen und innere Zerrissenheit. Welles war nicht allzu beeindruckt von dem Stoff, aber die Leute lasen Kafka gern und einen Kassenschlager ganz nach seinem Gusto inszenieren? Yes, please.
Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass an diesem Deal ganz schön viele Fußnötchen zu finden waren. Gleich das Erste: Salkind wollte ebenfalls gerne einen kommerziell erfolgreichen Film machen, und dafür brauchte es einen Cast, der möglichst viele Nationalitäten ins Kino lockte. Französische Zuschauer:innen? Man castete Jeanne Moreau. Deutsche Zuschauer:innen? Romy Schneider. Aber die Hauptrolle des Josef K., ja, das musste schon ein Amerikaner sein.
Welles hatte hierzu direkt einen strategischen Plan: Da er gern in Frankreich, Italien und Kroatien drehen wollte, sollte es ein amerikanischer Schauspieler sein, der in einem dieser Länder lebte und verfügbar war. Ganz großartig wäre es natürlich, wenn es jemand mit höherem Bekanntheitsgrad und mittelhohen Lohnansprüchen wäre. Und Welles hatte noch ein ganz spezielles Kriterium, denn er wollte einen K., der etwas zu verbergen schien, der Schuldgefühle projizieren konnte. Wenn sich also ein bekanntermaßen homosexueller Schauspieler mit einem Ruf der Geheimniskrämerei fände, wäre Welles auf Wolke 7.
Und Anthony Perkins kam zu gerne, um mit Welles auf Wolke 7 zu schweben. Zumindest eine Zeit lang. Denn wie sich während der Dreharbeiten herausstellte, war Der Prozess doch nicht im Public Domain. Also direkt weniger Budget als geplant. Wie beim Domino folgte dann Eines auf das Andere: Locations wurden in letzter Sekunde abgesagt. Darsteller:innen konnten nicht bezahlt werden. Einige Rollen mussten gar komplett neu besetzt werden (Welles, in einer Podiumsdiskussion darüber, warum er letztlich K.s Advokaten spielte: „Ich war der einzige Schauspieler meines Kalibers, den ich mir leisten konnte.“).
Man sollte meinen, dass Perkins während der Arbeiten zu Psycho die Zeit seines Lebens gehabt habe, aber es war Der Prozess, auf den er bis in die 1990er am Liebsten angesprochen wurde. Er war immens stolz darauf, mit Orson Welles, dem Visionär hinter Citizen Kane und Touch of Evil, drehen zu dürfen. Diese Verehrung merkte man ihm an, denn er wich Welles auch nach Drehschluss nicht von der Seite. Ob der Regisseur nun ein neues Set sichtete, das Drehbuch überarbeitete oder im nächstbesten Restaurant seine gewohnten 6-7 Portionen Spaghetti verdrückte – der Hauptdarsteller war mit dabei. Während Perkins an der Zusammenarbeit mit Hitchcock am Meisten die Gelegenheit zu improvisieren geschätzt hatte, war es hier das genaue Gegenteil. Welles, berühmt für seinen rüden Tonfall und seine verletzende Direktheit, bellte Anweisungen ins Megafon. Perkins setzte diese passgenau um.
Der Prozess wurde ein moderater Erfolg. Sein Macher hielt nicht lange inne, um in Applaus zu baden, denn es war von Beginn an kein Herzensprojekt gewesen. Erst viel später sollte Welles den Film als seinen Besten bezeichnen. Er könnte Recht haben. Perkins, so stolz er auf die Zusammenarbeit war, nannte diese im Gespräch mit Peter Bogdanovich ein „Durcheinander“.
Die Zeit ist deutlich gütiger mit Der Prozess umgegangen. Die Achtung des Publikums vor dem Film ist stetig gestiegen, er gilt gar als die beste Kafka-Umsetzung. Freilich ist das kein hart umkämpfter Posten. Jedoch liefert der gesamte Cast Höchstleistungen ab und wirkt perfekt besetzt. Es bleibt ein Rätsel der Geschichte, ob Perkins dem Maestro die Art von queer unterlegter, gehemmter Performance geliefert hat, die er wollte. Aber sein Josef K. profitiert definitiv von einer gewissen Ambiguität. Weiß er insgeheim doch, was ihm vorgeworfen wird? Versteckt er etwas vor uns, dem Publikum? Wie sieht er die Frauen, denen er vom Plot vor die Füße geworfen wird? Als ich Kafkas Prozess zum ersten Mal las, las ich K. als unschuldigen Mann, der irgendwie auch eine Pottsau ist. Perkins veräußert ihn als anständigen Kerl, der gut und gerne schuldig sein könnte.
Die Optik des Films hat den Charakter eines M. C. Escher-Fiebertraums, nach dem die Vorlage geschrien hatte. Unter den Schwarzweißfilmen tut er sich als so perfekt inszeniert hervor, dass es unglaublich erscheint, wie viel beim Dreh schiefgegangen ist. Und trotzdem ist das Resultat gespickt mit Bildern, die sich noch lange in Tagträumen halten. Selbst, wenn euch der Deutschunterricht ein Graus war – um Himmels Willen, schaut Der Prozess trotzdem.
Pretty Poison (1968)
Viele Gerüchte ranken sich darum, was Perkins letztendlich aus seinem Exil zurück in die USA lockte. Mochte es sein neues Herzblatt gewesen sein? 1960 hatte er während der Arbeiten zum Theaterstück Greenwillow den Choreographen Grover Dale kennengelernt. Die Beziehung war gewissermaßen ein Slow Burn. Frank Loesser, der Showrunner von Greenwillow, war dennoch höchst ungehalten. Loesser war nämlich eine wilde Mischung aus homophoben Fanatiker und Musicalkomponist. Und er schien es sich zur Sisyphusaufgabe gemacht zu haben, alle Schwulen vom Broadway zu jagen. Falls Loesser bis jetzt noch nicht unsympathisch genug klingt - "Baby it's Cold Outside" hat er auch noch geschrieben.
Jedenfalls war Loesser Perkins' Homosexualität ein Dorn im Auge. Und so setzte er die Noten für die Titelballade "Never Will I Marry" bewusst zu hoch an. Perkins, der ein schönes Stimmchen für Popsongs, aber ein durchschnittliches Stimmchen für den Broadway hatte, meisterte die Herausforderung nur knapp. Erneut fühlte er sich wegen seiner Sexualität abgestraft.
Vielleicht dauerte es deswegen ein bisschen, bis er Gedanken an eine neue feste Bindung zuließ. Aber er blieb mit Grover Dale in Kontakt, spätestens ab 1964 unternahm Perkins für ihn immer mehr Trips nach New York. Bis man schließlich Nägeln mit Köpfen machte und eine gemeinsame Wohnung bezog.
Sie lebten schockierend transparent als Paar, in einem deutlichen Kontrast zur Beziehung mit Tab Hunter. Mit Dale hatte er auch mehr gemeinsam, wie etwa eine Leidenschaft für knifflige Spieleabende, bei denen auch Busenfreund:innen Stephen Sondheim, Paul Newman und Joanne Woodward nicht fehlen durften. Jahre später würde er mit Sondheim gemeinsam den Clue-Companion The Last of Sheila (1973) schreiben, mit dem Ehepaar Newman/Woodward den Film WUSA (1970) drehen. Amerika bot plötzlich eine warme Gemeinschaft und einen Partner, der nicht zusammenzuckte, wenn Perkins ihm Liebeslieder ins Ohr summte. Europa, schön war's, aber nun erstmal adieu!
Wenn Perkins Ansinnen mit seinem ersten großen Heimatprojekt Pretty Poison war, nicht in alte Muster zu verfallen, ist er gescheitert. Wenn es ihm aber darum ging, in einem guten Film mitzuspielen – dann haben wir ein rundum gelungenes Unterfangen vor uns.
Seine Rolle heißt diesmal Dennis Pitt. Der junge Mann hat nahezu ein Jahrzehnt in der Psychiatrie verbracht und befindet sich nun auf Bewährung in New Englands Peripherie. Das Publikum weiß direkt, woher der Hahn kräht, als Dennis’ Augen emsig einer Schülerin folgen, die mit ihrer Marching Band durchs Herbstlaub hopst. Ihr Name ist Sue Ann, gespielt von Tuesday Weld. Sie ist gerade 18. Dennis, der einen öden Job in einer Chemiefabrik angenommen hat, beginnt, Sue Ann nachzustellen. Als er es endlich schafft, Kontakt zu initiieren, stellt sich das Objekt seiner Begierde als reichlich naiv heraus. Und so fabulisiert Dennis eine spektakuläre Lüge. Es soll sich aber noch zeigen, dass man sich in dieser Kleinstadt nahezu überall in Giftnesseln setzen kann.
Die wirklich beschauliche Kulisse (gedreht wurde in Massachusetts) wird wunderbar von Langfilm-Neuling Noel Black in Szene gesetzt, der im Vorjahr mit dem Zwanzigminüter Skaterdater eine Oscar-Nominierung einheimsen konnte. Schon Skaterdater war seiner Zeit um satte 10 Jahre voraus, und auch einige Einstellungen in Pretty Poison würde man eher in den mittleren 1970ern vermuten.
Der Film ruht aber eindeutig auf den Schultern von Anthony Perkins und Tuesday Weld, die Black quasi als Doppeldeal gebucht hatte, da die beiden zusammen im Theaterstück The Star-Sprangled Girl performten. Pretty Poison liegt tonal irgendwo zwischen Taxi Driver (but make it a romantic comedy) und Heathers, und dafür braucht es ein Gespann, das gleichsam schrullig ist und dennoch harmoniert. Sowohl hier als auch in Play It As It Lays (1972), der theater-esquen Verfilmung des Romans von Joan Didion, erweist Tuesday Weld sich als sehr kompatible Leading Lady für Perkins.
Weld hatte permanent Stunk mit Regisseur Black am Set; Perkins, einmal mehr der Regieliebling, musste vermitteln. Dabei war er eigentlich nicht der erste Wunsch gewesen, und wenn er es schon sein musste, hoffte man eher auf den Anthony Perkins aus Friendly Persuasion und Fear Strikes Out als aus Psycho. Was bleibt einem da als mit den Schultern zu zucken und zu fragen “Wo bitte gäbe es denn einen Dennis Pitt in Friendly Persuasion?”? Man geht ja auch nicht in ein mexikanisches Restaurant und ärgert sich dann über den ganzen Mais. Perkins holt das empathische Maximum aus dieser Rolle, die wieder Mal einen Waschgang ekliger ist als Norman Bates und doch Mitleid ernten kann wie ein klatschnasser Terrier. Besonders besticht ein Monolog am Seeufer, der in den Händen eines geringeren Darstellers arg melodramatisch hätte geraten können.
Wer schon immer einen pfiffigen kleinen Genre-Thriller mit Stephen-King-Appeal gesucht hat, wird Pretty Poison lieb gewinnen.