“This is America. Don’t catch you slippin’ now.”
Von allen deutschen Wörtern, die es als Exportware ins Englische geschafft haben, ist ‚Zeitgeist‘ in meinem bescheidenen Ranking sehr weit oben (dicht über ‚Schadenfreude‘, Meilen über ‚Übermensch‘). Es klingt nach einem gewieften Konzept: Die Seele eines so undefinierbaren Bandwurms wie Zeit, destilliert auf einen greifbaren Rahmen. Es gibt Songs, die einen ähnlichen Appeal haben – Songs, die es schaffen, ein ganzes Konzept für sich zu vereinnahmen. In unserer letzten Ausgabe haben wir über „Last Christmas“, den Weihnachtssong, gesprochen (und über Marxismus, because Christmas). Aber man denke auch an „Girls Just Wanna Have Fun“ von Cyndi Lauper oder „Bad Day“ von Daniel Powter. Diese Songs machen doch alles Andere über den femininen Drang zur Bespaßung und mistige Misttage obsolet!
Unnötig, zu erwähnen, dass solche Machwerke eine Rarität sind. Noch rarer ist es, wenn Songs diesen nebulösen ‚Zeitgeist‘ treffen, denn wie Gespenster es an sich haben, sieht man sie in der Retrospektive am klarsten. Als einfaches Klangwerk da zur rechten Zeit den Finger am Puls zu haben ist schon ungeheuerliches Teufelswerk. Aber setzen wir noch einen drauf: Was, wenn nicht nur der Song, sondern besonders das Musikvideo zum Song so emblematisch für eine Ära werden, dass auch nur eine Nennung oder ein Screenshot Flashbacks zu Anno XY auslöst? Wer kann denn so dreist und talentiert sein?
Donald Glover, that’s who.
Willkommen bei Beats and Screens, in unserer heutigen Ausgabe untersuchen wir die unwahrscheinliche Karriere von D. Glover, alias Childish Gambino, kulminierend in seinem 2018er j’accuse „This is America“. Und vielleicht erhaschen wir sogar einen Blick auf das, was insbesondere das Video zur unsterblichen Zeitkapsel für ein brennendes Amerika unter Trump und polititsche Wut der (Post-)Millenials macht. Herausforderungen herkuläischen Ausmaßes, wer liebt sie nicht?
Vor dem Video
Um zu verstehen, wie wir mit Childish Gambino in einem Parkhaus landen, müssten wir drei Augen haben (eigentlich in jeder Lebenslage praktisch). Denn wir betrachten drei künstlerische Persönlichkeiten, die sich gegenseitig nähren und belasten: Donald Glover (Comedian), Donald Glover (Schauspieler) und Childish Gambino (Rapper). Also fangen wir am besten bei der gemeinsamen Wurzel, Donald (Baby) an: Glover wird 1983 geboren und wächst in Georgia auf. Seine Herkunft ist bescheiden, der Vater ist erst Soldat, dann Postbote, die Mutter Erzieherin. Die Familie fungiert als Pflegestelle für zahlreiche Kinder, was ein recht unkonventionelles Umfeld kreiert. Aber Glover ist von Natur aus unkonventionell, zumindest empfindet er sich so, als schwarzer Junge, der im Glauben der Zeugen Jehovas aufwächst und dem regelmäßig von Altersgenossen vorgeworfen wird, „zu weiße“ Dinge zu mögen. Der Vorwurf bleibt an ihm kleben und noch Jahre später, als alle drei Karrieren von ihm Fahrt aufgenommen haben, beklagt er in dem Song „Firefly“, dass er alle Barrieren überwinden muss, die ein Afroamerikaner im Showbusiness vorgesetzt bekommt, um zeitgleich von der eigenen Gemeinschaft als „Oreo“ deklariert zu werden. Doch er bleibt dabei: „All I do is make the stuff I would've liked. Reference things I wanna watch, reference girls I wanna bite.”.
Während er an der berüchtigten Tisch School of Arts in New York studiert, verbucht er durch sein Gespür für Popkultur seinen ersten Erfolg: Er schickt ein eigenes Treatment für eine Die Simpsons-Folge an den Sender NBC. Dort landet dieses und Weitere über Umwege bei Saturday Night Live-Legende Tina Fey, die den 23-Jährigen prompt als Autor für ihre Hitserie 30 Rock engagiert (Das ist der exakte Punkt der Geschichte, an dem die Autorin dieses Artikels in ein tiefes emotionales Loch fällt, weil sie nicht für eine vielprämierte Comedyserie schreibt).
Und weil Glover wirklich weiß, wo popkulturell die Reise hingeht und es 2006 ist, fängt er an, in kurzen, griffigen Sketches auf einer spannenden, neuen, obskuren Plattform namens YouTube aufzutreten. Den powers-that-be bei NBC fällt auf, dass einer ihrer Schreiberlinge so etwas wie Timing und Charisma besitzt, also besetzen sie ihn für eine Hauptrolle in einer bescheidenen Sitcom: Community. Unter dem wachsamen Auge von Creator Dan Harmon und mit Co-Stars wie Chevy Chase (remember him?) wird die Serie ein Überraschungshit und die Rolle des Troy Barnes sein Durchbruch. (Das ist der exakte Punkt der Geschichte, an dem die Autorin dieses Artikels in eine tiefes emotionales Loch fällt, weil sie nicht in einer vielprämierten Comedyserie mitspielt).
Eine Zeit lang coexistieren diese Karrieren friedlich: während er ab 2009 bei Community mitwirkt, tritt er mit eigenen Stand-Up-Programmen in immer größer werdenden Venues und schließlich bei Comedy Central auf. 2012 wird das erste aufgezeichnete Special, Weirdo, ausgestrahlt (Das ist der exakte Punkt der Geschichte, an dem die Autorin dieses Artikels in eine tiefes emotionales Loch fällt, weil Netflix ihr noch kein Special angeboten hat). Hier gibt Glover sich kleinmännisch und #relatable, schreckt aber keineswegs vor Themen wie häuslicher Gewalt oder Rassismus zurück. Gerade bei letzterem kann er mal wieder aus dem Vollen schöpfen: Jüngst fiel sein Name als mögliche Besetzung für Spiderman, und wie jedes Mal, wenn eine nichtweiße Person für eine traditionell weiße Rolle vorgeschlagen wird, fängt das Internet an zu brennen wie ein S'Mores, der in die erste Reihe eines Rammstein-Konzerts geschleust wurde. Vollkommen unerheblich, dass er sich nicht mal selbst um den Job beworben hat – abertausende Fremde auf Facebook (remember Facebook?) lassen ihn wissen, dass Spiderman was für Weiße ist. Was Glover auf der Bühne nicht erzählt: Am Set von Community wird er andauernd von Chevy Chase getrietzt, weil der inzwischen verrufene Comedystar junges Talent wittert und nicht fassen kann, dass Amerika einen jungen Schwarzen ihm vorzieht. Denn auch Erfolg ist anscheinend was für Weiße.
Und hier erfolgt nun die große Weggabelung, denn auch, wenn Comedy nie ganz aus seinem Œuvre verschwindet, wird offenbar, dass Donald Glover spätestens ab 2013 nicht mehr so viel Lust darauf hat, nur lustig zu sein. Bereits zu Collegezeiten hatte er eigene Mixtapes als Rapper produziert, sein Debütalbum Camp von 2011 suhlt sich noch in seinem nerdigen Image, wirft aber auch einen Blick hinter die pseudo-selbstbewusste Leinwand. Zeilen über Komplexe, Traumfrauen, Kindheitserinnerungen und erste Erfolge erinnern an frühe Drake-Platten und die Höhenflüge eines jungen Kanye West. Der Kritik und dem Publikum gefällt's, aber viele Größen innerhalb der Rapszene sind noch skeptisch. Rap ist traditionell 'struggle music' - was hat einer wie Glover, der durch Community fein ausgesorgt hat, da beizutragen? Aber mit seinem Zweitwerk Because the Internet wird klar, dass Glover nicht nur ein verwöhnter Comedian ist, der rappt – auf einmal ist da noch Childish Gambino. Und Childish Gambino ist nachdenklich und unsicher, er wittert ein noch onlinelastigeres Zeitalter und übt sich eher in self-awareness und Melancholie, anstatt zu prahlen. Ganz zu schweigen davon, dass sich hier richtig romantischer Shit findet, so in „3005“: „No matter what you say, what you do – when I’m alone I’d rather be with you.“. Zugegebenermaßen ist bei mir aber auch die Messlatte nicht besonders hoch (nach fast 10 Jahren Tinder-Dating ist emotionales Commitment™ für mich die höchste Form von Erotik). Und einen reifen Bart hat Gambino jetzt auch noch!
Das soll nicht heißen, dass das Album zum Universalliebling gerät, aber sie etabliert doch den Musiker, der größere Ambitionen als bloße Unterhaltung hat. Glover steigt bei Community aus, denn eine Sitcom lässt wenig Zeit zum Touren und Promoten und gesteht ihm nichts an der Art von kreativer Kontrolle zu, die er möchte. Über soziale Medien stellt er klar: „I didn’t leave ‘Community’ to rap. I don’t wanna rap. I wanted to be on my own,”. Seine öffentliche Transformation ist längst nicht aufzuhalten, musikalisch wie darstellerisch: Die von ihm erdachte Show Atlanta startet 2016 mit niedrigen Erwartungen – das Konzept ist eher kryptisch, der Cast besteht größtenteils aus schwarzen Darsteller:innen und nur Glover ist wirklich bekannt. Und dann wird Atlanta doch zum Hit, denn eine Serie, die von ihrem Macher als „Twin Peaks mit Rappern“ verkauft wird, geht natürlich weg wie das gute Rotbier an unserer kinoeigenen Bar. Jetzt ist es endgültig geschehen: Donald Glover, l’artiste (Das ist der exakte Punkt der Geschichte …). Dieser Ruf wird schließlich auch für Childish Gambino und sein nächstes Album Awaken, My Love! (2016) angepeilt und, zwei Jahre darauf, für die Single „This is America“.
Das Video
Also. Das Parkhaus.
In diesem gewohnt sterilen Vortex stehen ein Stuhl und eine Gitarre. Afrikanischer, hymnischer Gesang begleitet, als ein Mann (nicht Gambino) sich ruhig nähert, setzt und beginnt, zu spielen. Dann erklingt eine Stimme (Gambino): „We just wanna party…“. Die Kamera schwebt um den Gitarrenspieler herum und enttarnt nun doch den guten Barden, kerzengerade. Zögerlich setzt ein Beat ein, zu dem er mit dem Kopf zuckt. Elfengleich dreht Gambino sich, Gesicht und Tanz verzogen in einer Mischung aus Minnedarstellung und epileptischem Anfall. Da fängt man doch glatt an, mitzuzucken. Er nähert sich dem Gitarrenspieler – Moment, warum hat der keine Gitarre mehr? Die spielt doch noch? Und warum ist ein Sack über seinen Kopf gestülpt? Gambino zieht eine Pistole. Er wird doch nicht…?
Dann drückt Gambino ab, Blut spritzt, das Chaos bricht aus. Die Waffe wird ihm höflich mit Kissen abgenommen.
Das sehen innerhalb der ersten drei Tage nach Veröffentlichung des Videos 30 Millionen Menschen. Und wir haben gerade erst angefangen. Das Nachfolgende in allen Details zu beschreiben wäre exzessiv, also ein kurzer Rundown:
- Jede im Clip auftretende Person ist schwarz (ja, das ist relevant).
- Was auch immer Gambino Horrendes tut, es gibt immer jemanden, der hinter ihm aufwischt (der exekutierte Gitarrist wird prompt aus dem Frame gezogen).
- Gambino tanzt mit enthusiastischen Schulkindern.
- Im Hintergrund stimmen verschwommene Gestalten mit ein, oder sie stürmen mit Baseballschlägern und Brechstangen bewaffnet Autos.
- Die Szene blendet über auf einen Gospelchor. Gambino kommt putzmunter, breit grinsend durch eine Seitentür herein. In der Mitte des Frames angekommen mäht er sie alle mit einem Maschinengewehr nieder.
- Unter die eskalierende Meute mischen sich Polizisten und Polizeiautos.
- Irgendwas abseits der Kamera hat Feuer gefangen. Gambino und die Schulkinder tanzen weiter. Er freut sich, dass er so schnieke aussieht: „I’m so fitted. I’m on Gucci. I’m so pretty.“
- Alles wird still und verschwindet, als Gambino eine unsichtbare Pistole zieht und zielt. Er verharrt einen kurzen Moment in der Ruhe, zündet sich eine Zigarette an. Thank you for smoking, Bino.
- Flink klettert er auf ein Auto. Erneut zum Tänzchen. Er wird von dem erschossenen Gitarristen begleitet, denn wahre Musiker priorisieren den Vibe über jeglichen Groll.
- Schlussendlich läuft Gambino einen dunklen Gang der Halle entlang, das Gesicht zu einer angsterfüllten Fratze verzerrt, Gesetzeshüter + obligatorische Schäferhunde dicht auf den Fersen. Das Ganze erinnert ziemlich an Jordan Peeles meisterhaften Get Out (was für ein guter Film. Wäre es nicht knorke, wenn der mal wieder im Kino liefe?)
Fade to black. Wir wissen nicht, ob der Protagonist es schafft und sind auch nicht so sicher, ob wir das wollen. Generell ist unklar, was überhaupt in den letzten vier Minuten passiert ist.
Was ist den nun dran an dem Video?
Schaut mal, liebe Leute, ich will ehrlich sein. Ich hab keine Lust auf eine ausladende Symbolikanalyse. Es gibt bereits genug thinkpieces zu „This is America“ online, die euch mit Schlagzeilen wie „10 things YOU didn’t notice in This is America!“ locken, allein für die Recherche zu diesem Artikel stütze ich mich nur für das Video auf 11 andere Artikel. 11. Und ich will niemandem die Illusion nehmen, aber ich veranstalte hier keine deep dives, so gründlich suche ich meine Quellen nicht. Das ist die Spitze des Eisbergs. Sowieso finde ich es viel interessanter, sich anzuschauen, warum dieses Video bis heute solche Wellen schlägt, denn Hand aufs Herz: die Welt besteht nicht nur aus Leuten wie mir, deren orgasmischste Erlebnisse mit Stilmitteln zusammenhängen. Dafür gibt es einen ganzen Haufen anderer Videos, die ebenfalls sehr penibel choreografiert und detailreich ausgestattet sind, und die wenigsten erreichen, was „This is America“ erreicht. Wenngleich es doch schon meiner Pflicht entspricht, die drei großen Themen anzusprechen, die den Clip unweigerlich an das Jahr 2018 binden.
Da ist zum Einen das Thema Waffenkontrolle, oder den Mangel dieser. Mehr als 20 Jahre nach Columbine ist es für die meisten Amerikaner:innen schon ermüdend, alleine für den letzten Monat aufzuzählen, wie viele Amokläufe, Attentate und Massenmorde mithilfe von Schusswaffen begangen wurden. Awaken, My Love! fällt mitten in die Präsidentschaft Donald Trumps, der dieses Politikum präferiert im Rahmen eines 200-Worte-Tweets abhandelt. Bei so viel thoughts and prayers möchte man Trump doch sachte in heißen Honig dippen und ihm mitteilen, dass sich die Problematik auch dann nicht auflöst, wenn er zur Stippvisite bei der NRA-National Convention „Kumbaya, my Lord“ anstimmt.
Dann, offensichtlich: Rassismus. „This is America“, referenziert hier Schandflecke der amerikanischen Geschichte wie Abu Ghraib (2004), als amerikanische Soldaten im gleichnamigen irakischen Gefängnis hunderte Kriegsgefangene folterten, demütigten und vergewaltigten, oder das Massaker von Charleston (2015), als ein Neonazi neun schwarze Mitglieder eines Bibelkreises tötete und eines schwer verletzte. Aber es schwirren auch Namen wie Breonna Taylor, George Floyd und Trayvon Martin (auch diese Auflistung: Unvollständig und deprimierend lang) um dieses Video, und die schemenhaften Gestalten, die im Hintergrund ihrem Ärger Luft machen, beschwören Bilder der Black-Lives-Matter-Proteste herauf. Auch hier zeigt sich, dass die Geschichte Amerikas ernüchternd repetitiv ist, denn ebenso evokativ sind diese Bilder im Bezug auf die Unruhen in LA 1992, als Polizisten des LAPD Rodney King fast zu Tode prügelten und die Stadt im Anschluss zum Trümmerhaufen wurde. Alles in „This is America“ schreit: „Es ist 2018, und es ist immer der selbe Scheiß.“. Oder, wie Gabe Meline es für KQED ausdrückt – Das Video passt perfekt in ein Zeitalter, in dem sich das Internet höchstens auf Eines einigen kann: Diese Welt wird immer absurder. Meline verknüpft den Flair von „This is America“ mit dem beliebten lol, nothing matters-gif. Childish Gambino tanzt grinsend, während hinter ihm alles zur Hölle fährt, und auch im Jahre 2023, nach mehr Massakern, mehr Hassverbrechen, einer Pandemie und inmitten eines Krieges möchte ich nur seufzen und sagen: „Fühl ich, Brudi.“. Denn irgendwie schwanken wir, und das ist wohl dieser 'Zeitgeist', dauerhaft zwischen blinder Wut und panischem Eskapismus.
Apropos Eskapismus, kommen wir zum dritten Motiv: Klasse. Gambino kommt nicht umhin, zur Schau zu stellen, dass seit Camp einiges finanziell bei ihm passiert ist, und das schafft er ganz ohne Louis Vuitton-Shirt – die Bootsslipper reichen. Er ist nun ein Konondrum für White America: Ein schwarzer Mann, ein Mann aus der Geburtslinie ihrer Sklaven, die sie einst aus ihrem Heimatland entführt und zur Ausbeutung untereinander herumgereicht hatten, und doch ein reicher schwarzer Mann. Wer reich ist, hat Geld, und Geld sichert im American Dream Macht, weil man auf einmal ein Player am oberen Ende des Kapitalismus ist. Wer in den zweifelhaften Genuss gekommen ist, die Dokureihe OJ: Made in America (starke Empfehlung) gesehen zu haben, der wird sich sofort an die Worte des ehemaligen Sportstars und (mutmaßlichen, for legal reasons) Mörders OJ Simpson erinnern, der jugendlich-strahlend verkündet: „Ich bin nicht schwarz, ich bin OJ!“. Das sind Jahrhundertsätze. Besser kann man diesen Absurdismus in der Identität reicher, schwarzer Männer zwischen Triumph und Todesangst nicht ausdrücken. Glover ist nun ein Multimillionär. Er ist das, was viele aufstrebende Schwarze im Rapbusiness erstreben, natürlich namedroppt er da gerne die dazugehörigen Statussymbole. Aber letzten Endes brennt es hinter ihm immer noch, und irgendwo wartet immer ein dunkler Gang und die Polizei.
Doch das alles wird uns nicht aalglatt auf dem Bildschirm serviert wie der Songtitel am Anfang. „This is America“ lebt vor allem von einem: Der Suggestion. Doreen St. Félix schreibt für The New Yorker dazu:
“The video has already been rapturously described as a powerful rally cry against gun violence, a powerful portrait of black-American existentialism, a powerful indictment of a culture that circulates videos of black children dying as easily as it does videos of black children dancing in parking lots. It is those things, but it also a fundamentally ambiguous document. The truth is that this video, and what it suggests about its artist, is very difficult. A lot of black people hate it. Glover forces us to relive public traumas and barely gives us a second to breathe before he forces us to dance.”
Ja, letzten Endes bleiben nur die schockierende, vieles heraufbeschwörende und doch nichts benennende Gewalt, ein joviales Tänzchen und dieser Grat zwischen fatalistischer Betäubung und blinder Wut. Die Macht, und auch das Diskutable, an „This is America“ bleibt, dass es so lose inszeniert ist, dass es sich zeitgleich perfekt auf 2018 datieren lässt und doch irgendwo gültig bleibt. Gambino serviert einmal alle schwarzen Traumata auf dem Essensteller, sagt aber nicht wirklich, was er gekocht hat, und das ist ziemlich clever. Denn hier befindet man sich in einer guten alten Tradition: Dem Wutgeheul. Also das Musikalische, nicht das von Allen Ginsberg.
Kaum eine Band war und ist emblematischer für diesen Stil als Rage Against the Machine. Ihr Album The Battle of Los Angeles (1999) referenziert direkt die Unruhen um Rodney King, und mit viel Bravado und Wut stellen sie seit Anfang der 1990er die sexy Symbiose aus Rap und Punk dar. Seit jeher eine berüchtigte Liveband, vereint ihr Auftritt beim PinkPop-Festival 1993 alles: Ihr Bühnencharisma, ein Publikum, das bereitwillig die explizit linkspolitischen Songtexte nachbrüllt und Sänger Zack de la Rochas spürbare Rage. Die Menge schreit erhobener Faust nach Vorbild des damals 23-jährigen de la Rocha „Fuck you, I won’t do what you tell me!“ (Das ist der exakte Punkt der Geschichte...). Und auch die Kernaussage von „Killing in the Name“ passt nach wie vor bestens in den bereits beschworenen Zeitgeist: „Some of those that work forces are the same that burn crosses.“. Oder, wie N.W.A. es ausdrückte: „Fuck tha Police“.
Musikvideos zu ihren Songs sind selten so notorisch wie „This is America“, aber wenn RAtM sich künstlerisch in dieser Richtung ausleben, dann mit Expertise: Nicht umsonst führt niemand anderes als left-wing-Dokumentarikone Michael Moore bei „Sleep Now in the Fire“ und „Testify“ Regie, und auch hier gilt: Das Evokierte funktioniert im hier und jetzt und lebt ewig. Zu explizite Referenzen auf die tatsächlichen Überzeugungen der Band würden eh nicht lohnen, denn welcher dahergelaufene RAtM-Fan kennt die schon so genau? Es gibt dazu immerhin einen ganzen Wikipedia-Artikel! Und da klammere ich mich nicht aus, ich würde einige Organe für eine Konzertkarte geben, aber weiß der Teufel, was die EZNL ist. Bei den Videos von RAtM ist durchaus erkennbar, wann sie entstanden: Um die Jahrtausendwende, Wahlkampf Bush gegen Gore, Kosovokrieg, Clinton-Äffäre und Columbine im Nacken. Doch das sind nur Hinweise, die Ästhetik, und auf die kommt es an, ist recht evergreen. Auch bei „This is America“ steht der Inhalt etwas hinter dem Format. Childish Gambino klingt nicht umsonst auf Awaken, My Love! getriebener, spielt mit afrikanischen Musikmotiven und schwarzen Tropes – Kendrick Lamar hat schließlich 2015 mit „To Pimp a Butterfly“ gezeigt, wie’s geht.
Weltweit findet mit Beginn der 2010er Jahre ein sukzessives Erstarken der politischen Rechten statt. Im unendlichen Kreislauf des Machtgerangels beruft man sich auf uralte Methoden wie latent xenophobe und rassistische Rhetorik, die sich jetzt auch viel schneller verbreiten lässt. Because the internet, wie Gambino schon feststellte. In Großbritannien, beispielsweise, liefern der Brexit, die Tories und UKIP genug Brandmaterial für ein schönes Lagerfeuer. The 1975 stellen in ihrem „We Didn’t Start the Fire“-esquen “Love It If We Made It” eine worst-of-headlines-Collage der globalen Situation zusammen, auf ihrem Track “The 1975” (der von 2020) collaborieren sie sogar mit Klimaaktivistin Greta Thunberg. IDLES verfassen mit „Danny Nedelko“ eine Hymne über Solidarität mit Migranten. Im von Bob Dylans „Subterranean Homesick Blues“ inspirierten Musikvideo spaziert der richtige Danny Nedelko, ein Freund der Band und ursprünglich aus der Ukraine, durch die Straßen und bandelt munter mit anderen Leuten an, sodass einem ganz lauwarm ums geschockfrostete Pumporgan wird. Ein weiteres Highlight: Rapper slowthai zückt 2019 beim notorisch elitären und zugeknöpften Hyundai Mercury Price eine Gummiattrappe von Boris Johnsons Kopf und performt seinen Hitsong „Doorman“, während er ein T-Shirt trägt, auf dem viele nackte Johnsons den Schriftzug „FUCK BORIS“ bilden (Das ist der exakte Punkt der Geschichte...).
Und auch ein Blick nach Deutschland lohnt sich musikalisch mal wieder. Nehmen wir alleine meine zarte Altersspanne: Ich bin hauptsächlich in einem Post-9/11-Deutschland aufgewachsen, in dem neun meiner Mitbürger von einer vom Verfassungsschutz jahrelang gütlich beobachteten Neonazi-Terrorzelle ermordet wurden. Die AfD brilliert politisch in nicht viel mehr als Bigotterie, seit ich 16 bin. Der Tod Oury Jallohs, der 2005 in Dessauer Polizeigewahrsam verbrannte, ist bis heute nur zur Zufriedenheit der Polizei Dessau aufgeklärt. „This is Germany“ könnte auch hier funktionieren, aber warum abkupfern, wenn es „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ von Danger Dan und „Niemals Stress mit Bullen“ von Nura gibt?
In diesem Sinne, Freunde – das war’s für heute. Bleibt wütend, liebt einander, wir sehen uns nächstes Mal.
Fakten für die nächste Gartenparty
· Regie bei „This is America” führte Hiro Murai, dessen Liebe für behäbige Kamerafahrten, surreale Plots und schwere Symbole sich auch in den Musikvideos zu „Sweatpants“ und „3005“ wiederfinden. Des Weiteren kollaborierte er mit Glover für Atlanta und den Film Guava Island, hat bei vielen Folgen der HBO-Serie Barry Regie geführt und meine Lieblingsserie des letzten Jahres, The Bear, produziert.
· Glover veröffentlichte das Musikvideo zu „This is America“ während einer Performance bei Saturday Night Live. In seiner Jugend hatte er, wie fast jedes amerikanische Comedytalent, versucht, für einen Job dort vorzusprechen.
· 1996 wurden Rage Against the Machine wiederum permanent vom Set von SNL verbannt, weil ihre Performance Showrunner Lorne Michaels zu politisch war. Irgendwie landet Beats and Screens immer bei SNL, beim nächsten Mal ist ein Trinkspiel fällig.
· Unser guter Lukas hat mich animiert, darauf hinzuweisen, dass Childish Gambinos großartiger Song „Redbone" im bereits erwähnten Get Out auftaucht. Mann, wenn man das nur in schöner Kinosaal-Atmosphäre hören und sehen könnte...
· Das mit der Kredibilität im Rap-Game hat sich anscheinend gebessert, denn im Hintergrund sind Szenegrößen wie 21 Savage, Young Thug, Quavo, Slim Jxmmi und BlocBoy JB zu hören. Sängerin SZA chillt im Musikvideo auf einem der Autos.
· „This is America“ wurde vielfach imitiert, so für „This is Iraq“ von Middle East Eye und „This is Nigeria“ von Falz.
· Donald Glover hat sich bis heute beharrlich geweigert, definitive Aussagen zur Bedeutung des Musikvideos und Songs zu treffen. Wenn man aber Murai glauben schenkt, hatte Glover vor dem Dreh große Angst, ‚zu prätentiös‘ zu wirken.
· Zack de la Rocha ist mexikanischer Herkunft, Donald Glover ist schwarz. Beide waren mit 23 Genies. Ich bin, ± ein paar Tattoos, weiß. Ich habe mit 23 herausgefunden, dass „Hanuta“ für ‚Haselnusstafel‘ steht. Soviel zu white supremacy.
Merci beaucoup an meinen großartigen Kollegen Lukas Stracke, der als wahrer Gambino-Afficionado diesen Artikel geprüft hat. Zu seinen gehaltvollen Beiträgen geht's hier.