Vor wenigen Tagen wurden die diesjährigen Oscars vergeben. Wohl der bekannteste Filmpreis der Welt und zumindest für das anglophone Kino die relevanteste Auszeichung. Neben der Würdigung herrausragender filmischer Leistungen des vergangenen Kinojahres steht bei der Preisverleihung auch immer das Feiern der Filmindustrie im Vordergrund. So wurde bei der Oscarverleihung im Dolby Theatre in Hollywood wieder allerhand Glanz und Glamour aufgefahren. Doch auch die Oscars können die globalen Krisen nicht ausblenden und so spielt nicht nur der Schauspielstreik des vergangenen Jahres eine Rolle, sondern auch die kriegerischen Konflikte im Gazastreifen und in der Ukraine.
Das zeigt sich schon beim Hauptgewinner des Abends. Dass das unfreiwillige Double-Feature "Barbenheimer" aus Barbie und Oppenheimer das Kinojahr 2023 stark geprägt hat, dürfte niemandem entgangen sein. Während kommerziell Barbie die Nase vorn hatte und sagenhafte 1,45 Milliarden Dollar eingespielt hat, konnte Oppenheimer sowohl Kritiker als auch jetzt die Academy stärker begeistern und ist mit sieben Oscars der deutliche Gewinner des Abends. Absolut verdient gewannen hierbei Ludwig Göransson für seine geniale, treibende Filmmusik, Jennifer Lame für den unkonventionellen Filmschnitt und Hoyte van Hoytema für die imposante IMAX-Bildgewalt. Und obwohl ich mich sehr gefreut hätte, wenn Paul Giamatti nach seiner Golden-Globe-Auszeichnung für The Holdovers auch endlich von der Academy gewürdigt worden wäre, kann ich nicht bestreiten, dass Cillian Murphy eine der besten schauspielerischen Leistungen des Jahres abgeliefert hat. Während Giamatti eine typisch-mürrische Giamatti-Performance abliefert, geht Murphy komplett in seiner Rolle als titelgebender Vater der Atombombe auf und die Großaufnahme seines reuevollen Gesichts in der letzten Szene des Filmes hat sich auf alle Ewigkeit in mein Gedächtnis eingebrannt.
Viel mehr kann man hingegen darüber diskutieren, ob Robert Downey jr. den Nebendarsteller-Oscar für seine Performance als Oppenheimer-Kontrahent Lewis Strauss verdient hat. Ich finde schon, da er so eine gelungene Leistung abliefert, wie man es von ihm lange nicht erlebt hat und im Finale des Filmes groß aufspielen darf. Andererseits hatte er mit Ryan Gosling, Robert de Niro und Mark Ruffalo auch starke Konkurrenz in der Kategorie und ich hätte jedem von ihnen den Preis gegönnt. Man muss leider auch sagen, dass Downey jr. sich an dem Abend nicht gerade von seiner sympathischsten Seite gezeigt hat, wenn er bei der Entgegennahme des Preises den letztjährigen Gewinner Ke Huy Quan keines Blickes (oder gar eines Handschlages) würdigt und später bei der Nennung des ausführenden Produzenten (und überzeugtem Trump-Anhänger) James Woods zustimmend seine Faust erhebt. Aber letztlich hätte in der Nebendarsteller-Kategorie idealerweise jemand gewonnen, der gar nicht nominiert war: Charles Melton für seine herzzerreißende Darstellung eines Opfers sexuellen Missbrauchs in Todd Haynes' May December. Ein Film, der von der Academy sträflich unterbewertet und nur mit einer Drehbuch-Nominierung bedacht wurde.
Seine letzten beiden Preise gewann Oppenheimer für Beste Regie und Bester Film. Somit gewann nicht nur Syncopy-Gründerin (und Nolans Ehefrau) Emma Thomas ihren ersten Oscar, sondern auch Christopher Nolan seine ersten beiden. Schon verwunderlich, dass es so lange gedauert hat, bis der wohl bekannteste und beliebteste Mainstream-Regisseur seinen ersten Oscar gewinnt. Gegen seine beiden Preise als Regisseur und Produzent für Oppenheimer ist von meiner Seite nichts einzuwenden, ist der Film stilistisch und inhaltlich die Quintessenz seines Schaffens und (zusammen mit The Prestige und Interstellar) auch einer seiner bisher besten Filme. Und natürlich passt es auch gut ins Zeitgeschehen, einen Film auszuzeichnen, welcher die schrecklichen Folgen der Erfindung einer grausamen Waffe zur Folge hat. Dass dafür Martin Scorseses Western-Krimi Killers of the Flower Moon über den Massenmord am Stamm der Osage komplett leer ausging, ist allerdings schade und auch etwas überraschend. Schließlich hat Scorsese, einst ein Wegbereiter des New Hollywood und immer noch einer der herausragendsten amerikanischen Regisseure, trotz 16 Nominierungen erst einen Oscar gewonnen. Und das für The Departed, der schwerlich ein Highlight in seiner Filmografie ist. Aber dass die Academy sich wenig um Scorsese schert, zeigt sich schon darin, dass er für Silence, einen seiner besten Filme der letzten Zeit, nicht nominiert war (sondern stattdessen Mel Gibson für sein grenzwertiges Kriegsspektakel Hacksaw Ridge).
Apropos Altmeister: Sehr erfreulich war die Auszeichnung für Hayao Miyazaki für sein (womöglich letztes) Werk Der Junge und der Reiher. Auch wenn der vielfach prognostizierte Spider-Man: Across the Spider-Verse ebenfalls herausragt und ein überaus verdienter Gewinner gewesen wäre und Der Junge und der Reiher im Schaffen des Traditionsstudios Ghibli eher im Mittelfeld rangiert, ist er doch ein wunderschön animierter Film voller Detailverliebtheit und mit Tiefgang. Zudem ist er mit seiner etwas kryptischen Geschichte und seinem Metaphernreichtum nach zahlreichen prämierten Disney-Filmen wohl der bislang erwachsenste und komplexeste Gewinner der Animationsfilm-Kategorie. Und so selten, wie das Anime-Kino von der Academy bisher gewürdigt wurde (Your Name. war damals nicht mal nominiert!), darf man sich doch über jede Trophäe freuen, die nach Übersee geht. Dass die Gewinner, Miyazaki und Produzent Toshio Suzuki, bei der Zeremonie nicht anwesend waren, sollte niemanden überraschen. Oder hat wirklich jemand damit gerechnet, dass zwei Filmschaffende, die ihr Rentenalter schon lange erreicht haben, um den halben Erdball fliegen, um einen amerikanischen Filmpreis anzunehmen?
Ebenfalls nicht anwesend war Wes Anderson, der nun auch endlich seinen ersten Oscar erhalten hat. Seine Abwesenheit war jedoch nicht altersbedingt, schließlich ist der fesche Texaner erst 54 Jahre jung. Nein, der Vielfilmer mit Vorliebe für Cord-Anzüge weilt derzeit in Deutschland, um im Studio Babelsberg seinen nächsten Film The Phoenician Scheme (u.a. mit Benicio del Toro und Michael Cera) zu drehen. Sein Produzent, der "Indian Paintbrush"-Chef Steven Rales, der gemeinsam mit Anderson für den Kurzfilm The Wonderful Story of Henry Sugar ausgezeichnet wurde, konnte aus dem selben Grund nicht an der Preisverleihung teilnehmen. Die prämierte Roald-Dahl-Adaption ist jedenfalls ein verdienter Gewinner, bündelt alle Qualitäten von Wes Andersons jüngsten Langfilmen und besticht vor allem durch großartiges Szenenbild. Auch wenn das Gimmick, dass der gesamte Text der Kurzgeschichte vorgetragen wird, über die Laufzeit von ca. 40 Minuten etwas ermüdet.
Während die meisten technischen Preise an Oppenheimer gingen, konnte sich in der Ton-Kategorie, etwas überraschend, ein anderer Film durchsetzen. Während in dieser Kategorie oft Blockbuster oder Musikfilme prämiert werden, gewann in diesem Jahr der Tontechniker Johnnie Burn verdientermaßen für sein ungewöhnliches und eindrucksvolles Sound Design für The Zone of Interest. Jonathan Glazers schockierendes Shoa-Drama wurde als Einreichung des Vereinigten Königreichs auch in der Kategorie Bester internationaler Film prämiert und konnte sich gegen die Filme Perfect Days (Japan), Ich Capitano (Italien), Die Schneegesellschaft (Spanien) und Das Lehrerzimmer (Deutschland) durchsetzen. Ebenfalls ein äußerst verdienter Sieg, ist The Zone of Interest doch zweifellos einer der herausragendsten Filme der letzten Zeit. Bei der Entgegennahme des Preises sorgte Glazer für einen der denkwürdigsten Momente des Abends, als er in seiner Dankesrede (etwas kompliziert formuliert) seinen Film in den Kontext des Gaza-Konfliktes stellt und sich dagegen ausspricht, dass sein "Jüdischsein und der Holocaust von einer Besetzung gekapert wurde, die für viele Unschuldige zum Konflikt geführt hat". Eine Rede, die in den vergangenen Tagen kontrovers diskutiert wurde und das obwohl ihr Inhalt eigentlich recht neutral ist, Glazer explizit der Opfer auf beiden Seiten des Konflikts gedenkt und sich gegen Entmenschlichung ausspricht.
Interessanterweise war die internationale Kategorie dieses Jahr sehr von deutschen Filmschaffenden geprägt, nicht nur durch die deutschen Schauspieler:innen in The Zone of Interest, sondern auch durch Wim Wenders' Regie bei Perfect Days und natürlich den deutschen Beitrag Das Lehrerzimmer unter der Regie von İlker Çatak. Und hätte sich Frankreich bei der Einreichung nicht für Geliebte Köchin, sondern für Anatomie eines Falls entschieden, wären vermutlich gleich zwei Sandra-Hüller-Filme für einen Auslandsoscar nominiert gewesen. Denn dass Anatomie eines Falls bei der Academy einen Nerv getroffen hat, ist kein Geheimnis, schließlich war das französische Gerichts- und Ehedrama gleich in fünf Kategorien (Film, Regie, Hauptdarstellerin, Drehbuch, Schnitt) nominiert und konnte sich beim Besten Original-Drehbuch gegen Filme wie The Holdovers oder Past Lives durchsetzen. Und auch Sandra Hüller galt als Schauspielerin für viele als heimliche Favoritin. Doch selbst die Nominierung der Thüringer Actrice ist eine Sensation, schließlich ist sie (abgesehen von der Deutsch-Amerikanerin Sandra Bullock) die erste nominierte Hauptdarstellerin aus Deutschland seit Luise Rainer im Jahr 1937!
Gewonnen hat in der Kategorie schließlich Emma Stone für ihre Performance in Poor Things als Bella Baxter, einer Frau, die mit dem Gehirn ihres ungeborenen Kindes wiedererweckt wird und das Leben (und soziale Normen) neu erlernen muss. Die bissige und aneckende Sci-Fi-Satire des griechischen Ausnahmeregisseurs Yorgos Lanthimos war in 11 Kategorien nominiert und konnte vier Trophäen erlangen, neben Hauptdarstellerin noch für Kostüme, Szenenbild und Make-up. Dass diese emanzipatorisch angehauchte Version des Frankenstein-Mythos sowohl Kostüme, als auch Szenenbild gewinnen konnte, überrascht etwas. Nicht, dass der Film beide Preise nicht verdient hätte, sondern eher dass Barbie sich nicht in wenigstens einer Kategorie durchgesetzt hat. Der Publikumshit, welcher das Kinojahr nachhaltig geprägt hat, ging trotz acht Nominierung weitgehend leer aus. Nur in der Kategorie Bester Song konnte sich Barbie durchsetzen, gewann allerdings nicht (wie von vielen prognostiziert) für Mark Ronsons und Andrew Wyatts parodistische Rock-Hymne "I'm Just Ken", sondern für die Ballade "What Was I Made For?" von Billie Eilish und Finneas. Damit sind sie mit 22 und 26 Jahren nach ihrem Sieg für No Time to Die die beiden jüngsten zweifach Oscar-prämierten Personen. Und auch wenn die grandiose Performance von Ryan Gosling, Mark Ronson, Andrew Wyatt, Slash (!), Wolfgang Van Halen und den anderen Ken-Darstellern vermutlich das größte Highlight des Abends war, muss man fairerweise zugeben, dass auch der letztendlich prämierte Song wunderschön und ein rechtmäßiger Gewinner ist.
Abseits von "I'm Just Ken" und einer wirklich witzigen Einlage von John Cena, der weitgehend nackt die Kostüm-Kategorie präsentierte, blieb die Show jedoch recht zahm. Keine großen Aufreger, aber auch nicht viel Unterhaltung oder Show. Jimmy Kimmel führte routiniert durch den Abend, aber auch etwas auf Autopilot. Highlight seiner Moderation war das Vorlesen von Donald Trumps Live-Kommentar zur Oscar-Show, Lowlight ein Seitenhieb gegen Sandra Hüllers Rolle in Zone of Interest, zu welchem Kimmel sagte "Deutsche nennen es eine Rom-Com". Kann nächstes Jahr bitte jemand anderes moderieren? Ich kann Kimmel echt nicht mehr sehen. Engagiert doch einfach John Cena oder John Mulaney, beide waren als Presenter sehr witzig!
Ansonsten war die Oscar-Verleihung überraschend flott und zeitig vorbei und das nicht nur wegen der Sommerzeit in Amerika (die dafür gesorgt hatte, dass die Show bereits um Mitternacht deutscher Zeit begann) oder der unfreiwillig komischen, antiklimaktischen Präsentation der Hauptkategorie durch einen tattrigen Al Pacino. Nein, die Oscar-Show war diesmal wirklich flott getaktet, was man auch durchaus respektieren kann. Für das nächste Jahr wünsche ich mir dennoch wieder etwas mehr Drama, etwas mehr Show und etwas mehr Unterhaltung. Den trotz des hohen Tempos und vieler sehr guter Filme, war die Preisverleihung eine eher öde Angelegenheit. Und bitte, bitte, bitte... bringt bei den Schauspielkategorien die Filmausschnitte zurück! Die personalisierten Lobreden auf jede nominierte Person waren zwar überwiegend echt liebenswert, schlucken aber viel Zeit und die Filmclips sorgen schließlich dafür, dass das Publikum ein Gefühl für die nominierte Performance bekommt.
Soviel zu den Oscars. Ein enorm starkes Feld von Nominierten, verdiente Gewinner:innen und eine routinierte, aber etwas schmucklose Show. Auf ein neues im nächsten Jahr.