Wer mich kennt, weiß, wie wichtig mir die Oscars sind. "Aber warum?", werden manche fragen. Ist das nicht Hollywood-Selbstbeweihräucherung? Eine korrupte Gruppe abgehobenener Branchenangehöriger, die sich von Filmstudios bestechen lassen, um immer dieselben, kalkulierten Melodramen auszuzeichnen, die kein "normaler" Kinogänger schauen will? Wo alte weiße Männer Filme von alten weißen Männern für alte weiße Männer auszeichnen? Auch wenn das (nach dem historischen Tiefpunkt Green Book, der wirklich alle Oscar-Klischees bedient hatte) nicht mehr ganz der Wahrheit entspricht und mittlerweile auch wirklich tolle Filme, wie Parasite und Nomadland, abräumen, kann man wirklich nicht leugnen, dass die Academy Awards in Vergangenheit, nicht zuletzt auch durch die Dominanz der Weinstein Company, ihre Probleme hatten. Und doch freue ich mich jedes Jahr auf die Awards Season. Was für manche die Fußball-WM oder der Super Bowl ist, sind für mich Golden Globes und Oscars. Hier fiebere ich mit, dass meine Favoriten die begehrten Goldtrophäen erlangen. Und seien wir mal ehrlich, weniger korrupt als die Filmindustrie ist der Profisport auch nicht.

Und auch in diesem Jahr investiere ich viel zu viel Zeit und Emotion ins Tracken von Oscar-Prognosen, Durchstöbern von Foren-Threads und Verfolgen der Precursor-Awards (also der Preise von Kritikerkreisen und Industriegilden im Vorfeld der Oscars). Und es war eine lange Saison. Traditionell hat sie wieder Ende Oktober mit den Nominierungen der Gotham Awards begonnen und enden wird sie am 12. März mit der 95. Oscarverleihung. Wenn es nach mir ginge, könnten die Oscars ruhig wieder Anfang Februar verliehen werden, wie in der guten alten Prä-Corona-Zeit. Wie dem auch sei, ich war natürlich sehr gespannt auf die Oscar-Nominierungen, gerade weil das Jahr 2022 wieder ein recht gutes Kinojahr war, mit allerhand Highlights, wie z.B. After Yang, Babylon, Nope, Aftersun, The Northman, Decision to Leave, Bones & All... Die alle nicht in der Kategorie "Bester Film" nominiert wurden!

Auch Keke Palmer ist schockiert, dass Nope in keiner Kategorie nominiert ist © Universal

Oh je, was ist denn da passiert? Bei Babylon hat es immerhin für 3 Nominierungen gereicht, dennoch viel zu wenig für diesen Mammutfilm. Aftersun muss sich mit einer (sehr erfreulichen) Darstellernominierung für Paul Mescal begnügen und die anderen aufgezählten Filme haben keine einzige Nominierung erhalten! Darüber war ich natürlich zunächst etwas enttäuscht, muss aber dennoch zugeben, dass wir es mit einem der stärksten Nominiertenfelder der vergangenen Jahre zu tun haben.

Vor allem merkt man, dass das Kino erstmals seit Beginn der Coronakrise wieder zurück ist. Während Streaming-Produktionen in den vergangenen Jahren recht breit vertreten waren (und mit CODA sogar erstmals ein Streaming-Film gewann) sind in diesem Jahr fast alle mehrfach nominierten Filme reine Kinoproduktionen. Mit einer Ausnahme: Der zweitmeistnominierte Film Im Westen nichts Neues, eine Netflix-Produktion. Unser Oscar-Beitrag aus deutschen Landen. Ausgerechnet wieder ein Kriegsfilm. Ausgerechnet ein Remake eines der ersten Gewinnerfilme der Oscar-Geschichte. Nicht nur, dass der Film nicht wirklich den Kern der Vorlage trifft, recht erwartbar inszeniert ist und auch von der deutsche Presse eher kritisch aufgenommen wurde. Es ist auch immer etwas vorhersehbar, wenn Filme sowohl als "Bester internationaler Film" als auch als "Bester Film" nominiert sind. Hmm, wer wird hier wohl den Auslandsoscar abstauben...🤔 Naja, die angelsächsische Welt liebt den Film jedenfalls und es würde mich nicht wundern, wenn er kommende Woche einige Trophäen abräumt, z.B. "Beste Kamera" oder (Gott, bewahre) "Bestes adaptiertes Drehbuch". Schlecht fand ich den Film nicht mal, aber mich frustriert es, dass Deutschland immer nur eine Rolle spielt, wenn Kriegs- oder DDR-Filme eingereicht werden und nicht etwa bei wirklich starken Einreichungen wie Systemsprenger. Ich hätte auf diesen Film ganz gut verzichten können.

Bei den Oscars nichts Neues: Mal wieder ein Kriegsfilm © Netflix/24 Bilder

Ebenso auch auf Elvis, eine (trotz einer ordentlichen Ladung Luhrman-Kitsch) recht konventionelle, aber immerhin unterhaltsame Musiker-Biografie. Die Nominierungen für Schnitt und Kamera verstehe ich (zumal es mich freut, dass eine Kamerafrau nominiert ist) und Austin Butler wird ein verdienter Gewinner sein, wenn er (vermutlich) kommende Woche seinen Preis entgegennimmt. In mein "Best-Picture"-Lineup hätte es der Film aber nicht geschafft, genauso wenig wie Triangle of Sadness, meine Enttäuschung des vergangenen Jahres. Was für eine langatmige, bequeme, zahnlose "eat the rich"-Satire. "Beste Regie"? "Bestes Drehbuch"? "Bester Film"? Im Ernst? So sehr ich Ruben Östlunds vorherige Filme mag, so wenig konnte ich Triangle of Sadness etwas abgewinnen. Da hatte ich an The Menu deutlich mehr Freude.

Doch kommen wir zu den positiveren Nominierungen: Erstmal finde ich es gut, dass mit Top Gun: Maverick und Avatar: The Way of Water diesmal die beiden populärsten Filme des letzten Jahres vertreten sind. Ich bin im Allgemeinen dagegen, Filme wegen ihrer Beliebheit auszuzeichnen, aber diese beiden Filme haben nicht nur einen Nerv getroffen, sondern sind auch handwerklich ausgezeichnet und Blockbuster-Unterhaltung par excellence. Ich gehöre ja in meiner Kinosnob-Bubble zur Minderheit mit der Meinung, dass Avatar 2 absolut genial und ein neuer Meilenstein des Blockbuster-Kinos ist. Und obwohl Top Gun: Maverick für mich eher ein solider Actionblockbuster ist, den ich selbst nicht nominiert hätte, so akzeptiere ich doch, was der Film für eine gewisse Zielgruppe bedeutet. Es ist eben ein lupenreiner Vertreter des "dad cinema", ein Film für alle Väter dieser Welt, die ihre Faust gen Himmel strecken, wenn Tom Cruise abermals in einem Düsenjet durch die Lüfte saust. Und damit hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass die Corona-gebeutelte Kinobranche wieder Fahrt aufnimmt. Oder wie Hollywoods Lieblingsonkel Spielberg es gegenüber Tom Cruise formulierte: "You saved Hollywood's ass!"

Apropos Spielberg: Auch er ist mit einem Film in der Hauptkategorie vertreten. Und nicht nur mit irgendeinem Film. In meinen Augen ist The Fabelmans einer seiner stärksten Filme seit vielen Jahren. Ein autobiografisches Familiendrama, das nicht nur vorzüglich gedreht ist (Spielberg inszeniert auch seine Dramen so dynamisch, als wären es Blockbuster), sondern auch das ganze Schaffen der Regieikone in einen neuen Kontext rückt. Ein essentieller Beitrag zur Filmografie des Altmeisters und deutlich vielschichtiger (und bitterer) als es der süßliche Trailer vermuten lässt. Schade nur, dass der Film vermutlich keinen einzigen Preis gewinnen wird. Doch dazu später mehr.

Steven Spielberg erzählt in The Fabelmans vom Zerbrechen seiner Familie © Universal

Auch schlecht sieht es für Women Talking aus. Das Kammerspiel über die Frauen einer Mennonitengemeinde, welche erstmals selbst über ihre Zukunft entscheiden müssen, war der Letzte der nominierten Filme, der mir noch gefehlt hatte und ist bei mir im Ranking sehr weit oben. Hochemotional, getragen von hervorragenden Darstellerleistungen, präzise inszeniert und mit einem überzeugenden Drehbuch. Leider hat es am Ende nur für Nominierungen als "Bester Film" und fürs Drehbuch gereicht und ich hoffe wirklich, dass sich der Film hier gegen Im Westen nichts Neues durchsetzen wird. Schade für die Darsteller:innen, insbesondere Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley und Ben Whishaw. Aber es ist eben ein Ensemblefilm, in welchem kein Charakter und keine Darstellerleistung sich aus der Menge heraushebt. Eventuell sollte es doch mal einen Preis für's "Beste Ensemble" geben, wie bei der Screen Actors Guild?

Kommen wir zu guter Letzt zu den drei Favoriten der Verleihung: TÁR, The Banshees of Inisherin und natürlich Everything Everywhere All at Once. Drei Filme, die ich sehr mochte und die sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum wirklich gut wegkommen. Persönlich mochte ich TÁR und EEAaO etwas mehr, da mir der Humor von The Banshees dann doch etwas zu düster, tragisch und irisch war, aber dennoch ist der Film großartig. Ich freue mich beispielsweise sehr, dass Barry Keoghan nominiert wurde, würde mich riesig freuen, falls Colin Farrell und Kerry Condon eine Trophäe mit nach Hause nehmen und wäre auch einem Drehbuchpreis für Martin McDonagh nicht abgeneigt. Doch gerade in letzterer Kategorie muss er sich eben auch mit TÁR und EEAaO messen, den besten "Best-Picture"-Nominierten seit 2019 (Parasite und Little Women, was für ein Jahr!). Zwei Filme, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Der eine eine meisterhafte, komplexe und abgründige Charakterstudie einer fiktiven Stardirigentin, endlos faszinierend, hochaktuell und mit einer gigantischen Cate Blanchett in der Hauptrolle, der andere ein abgedrehter, kreativer Genremix aus Sci-Fi-Komödie, Martial-Arts-Spektakel und rührendem Familiendrama.

Komplex und faszinierend: Cate Blanchetts MeisTÁRwerk © Universal

Und ich könnte gar nicht genau sagen, welchem Film ich den Triumph mehr gönnen würde. Beide Filme waren auch für mich die besten Filme des Jahres. Während bei TÁR darstellerische Leistung, Drehbuch und Regie sich zu einem passgenauem Gesamtwerk zusammenfügen, in welchem die enorm spezifische Vision von Auteur Todd Field jederzeit spürbar ist, lebt EEAaO von seiner wilden Unangepasstheit, seinen Ecken und Kanten und seiner "everything goes"-Mentalität. Und als große Liebeserklärung an Hauptdarstellerin (und Martial-Arts-Ikone) Michelle Yeoh hat er bei mir natürlich noch einen besonderen Stein im Brett. Außerdem: wie genial ist es bitte, dass so ein Film in allen möglichen Kategorien nominiert ist und als größter Favorit ins Rennen geht? Ein Indie-Film mit vorrangig asiatischstämmigem Cast, von zwei Regisseuren, die zuvor erst einen (bizarren) Langfilm gedreht haben? Eine nerdige, surreale Sci-Fi-Komödie mit infantilem Humor, der sich primär an eine Zielgruppe von Millenials richtet? Sowas wäre zu Weinsteins Zeiten undenkbar gewesen. Das sieht man mal, wie es sich auszahlt, die Academy zu diversifizieren und zu verjüngen.

Nachdem die Nominierten in der Hauptkategorie besprochen wurden, kommen wir nun zu einigen der anderen Kategorien. Die drei Kurzfilmpreise möchte ich dabei ausklammern, da ich hiervon bislang nur einen einzigen Film gesehen habe, den sehr liebenswerten Le pupille der italienischen Regisseurin Alice Rohrwacher. Schauen wir uns also lieber zunächst die Technikkategorien an. Die sicherste Kategorie ist wohl "Beste Spezialeffekte". Hier kann eigentlich nichts anderes gewinnen als Avatar 2. Ein Film, der fast vollständig computeranimiert ist, mit photorealistischen Effekten und einer der ersten, der überzeugendes digitales Wasser enthält. Ich denke, selbst wer dem Film wenig abgewinnen konnte, muss zugeben, dass die Effekte meisterhaft sind. Ebenfalls recht sicher dürfte "Bester Ton" sein: Wer Top Gun: Maverick im Kino gesehen hat, wird sicherlich zustimmen, dass dieser Film in der Hinsicht hervorragend ist. Außerdem bin ich überzeugt, dass der Film irgendetwas gewinnen wird und wenn er in einer Kategorie gute Chancen hat, dann in dieser. Auf der anderen Seite haben bei "Bester Ton" traditionell Musikfilme oft die Nase vorn, was eher für Elvis sprechen würde und auch der wuchtige Weltkriegslärm von Im Westen nichts Neues wäre durchaus eine Option. Während Top Gun dank seiner hervorragenden Actionszenen auch ein würdiger Gewinner für "Bester Schnitt" wäre, kann hier meiner Meinung nach nur Everything Everywhere All at Once siegreich hervorgehen. Der Schnitt ist in der Regel nicht unbedingt die auffälligste Komponente filmischer Inszenierung, hier jedoch sehr vordergründig und essentiell dafür, dass der Film so hervorragend funktioniert. Besonders die Match-Cut-Sequenzen, in denen in schneller Abfolge diverse Multiversen gezeigt werden, bleiben in Erinnerung. Schwieriger ist die Entscheidung in der Kategorie "Beste Kamera", insbesondere da hier Favoriten wie Top Gun, Avatar, Babylon oder The Batman fehlen. Stattdessen wurden hier Sam Mendes' Empire of Light und Alejandro Iñárritus Bardo nominiert, die in keiner anderen Kategorie vertreten sind. TÁR hätte es meiner Meinung nach am ehesten verdient, dürfte aber für diese Kategorie zu subtil sein, weswegen es wohl auf ein Duell zwischen Elvis und Im Westen nichts Neues hinauslaufen wird. Vermutlich gewinnt letzterer, aber ein Sieg für Elvis wäre historisch, da mit Mandy Walker erstmals eine Frau in dieser Kategorie gewinnen würde.

Favorit für Bester Schnitt: Everything Everywhere All at Once © Leonine

In den "künstlerischen" Below-the-Line-Kategorien könnte mit Babylon ein Film glänzen, der ansonsten sträflich vernachlässigt wurde. Zumindest bei Szenenbild und Filmmusik hat er aktuell laut Umfragen verdientermaßen die Nase vorn. Insbesondere bei der Filmmusik darf in meinen Augen kein anderer Film gewinnen. Keine Filmmusik der letzten Jahre hat mich so begeistert und enthält so viele geniale, eingängige Motive wie Justin Hurwitz' für Babylon. Sollte hier Im Westen nichts Neues mit Volker Bertelmanns einprägsamen, aber eher monotonen Synth-Teppichen gewinnen, wäre ich sehr enttäuscht. Enttäuschend wäre es auch, wenn der Preis für den "Besten Song" nicht an den Telugu-Hit "Naatu Naatu" aus dem Tollywood-Blockbuster RRR gehen würde. Wobei die Konkurrenz auch nicht zu verachten ist, mit David Byrne und Mitski (EEAaO), Rihanna (Black Panther 2), Lady Gaga (Top Gun) und Oscar-Konstante Diane Warren (Tell it Like a Woman, den kein Mensch gesehen hat). Bei Make-up/Hairstyling sehe ich aktuell The Whale vorn, wobei auch Elvis durchaus Chancen hat. Letzterer dürfte sich auch beim Kostümdesign durchsetzen können.

Kommen wir zu den drei "Filmkategorien": "Internationaler Film", "Animationsfilm" und "Dokumentarfilm". Ersteren hat mit Sicherheit Im Westen nichts Neues in der Tasche. Von den anderen Nominierten wäre mir der belgische Beitrag Close lieber, die anderen (Irland, Argentinien und Polen) habe ich allerdings noch nicht gesehen. Schade, dass Decision to Leave (Korea) hier nicht berücksichtigt wurde. Und RRR wäre bestimmt nominiert wurden, wenn Indien nicht Das Licht aus dem die Träume sind eingereicht hätte, und hätte womöglich sogar gewonnen. "Animationsfilm" ist zwar eine starke Kategorie dieses Jahr mit Guillermo del Toro's Pinocchio, Marcel the Shell with Shoes on, Der gestiefelte Kater 2, Pixars ROT und Netflix' Das Seeungeheuer, aber der wunderschöne und beeindruckend animierte Pinocchio dürfte mit großer Sicherheit gewinnen. Schade, dass Desplats herzzerreißende Filmmusik nicht nominiert wurde (da hätte ich gut auf Im Westen... verzichten können). Marcel hatte ich gestern versucht zu schauen, kam aber überhaupt nicht mit dem Stil und Jenny Slates Stimme zurecht. Ich kann mir gut vorstellen, dass der sehr emotional ist, aber er ist wohl der am wenigsten zugängliche Film der Kategorie und hat somit kaum Siegchancen. Beim "Dokumentarfilm" wird es wohl auf Navalny hinauslaufen. Eine politische, aber keine schlechte Wahl, da der Film spannend und mitreißend inszeniert ist, ich hätte mir aber einen kritischeren Blick auf die streitbare Persönlichkeit gewünscht. Mein Favorit wäre hier Fire of Love, für mich eines der großen Highlights des letzten Jahres. Eine Doku über die Liebe der Vulkanforscher Katia und Maurice Krafft (zu Vulkanen und zueinander): bildstark, liebenswert und emotional.

Eine wunderschöne, tragische Neuverfilmung: Guillermo del Toro's Pinocchio © Netflix

Nach den Below-the-Line-Preisen kommen wir langsam zu den wirklich spannenden Preisen. Zunächst die beiden Drehbuch-Kategorien, welche qualitativ recht unterschiedlich aufgestellt sind. Während das "adaptierte Drehbuch" mit Nominierungen für Top Gun, Glass Onion und Im Westen... eher schwach ist, kämpfen im "Original-Drehbuch" Schwergewichte wie TÁR, The Banshees of Inisherin und EEAaO um die Trophäe. Beim "adaptierten Drehbuch" gilt Sarah Polley für Women Talking als verdiente Favoritin (jede andere Entscheidung fände ich auch enttäuschend), beim "Original-Drehbuch" wird es wohl ein knapper Zweikampf zwischen McDonagh (Banshees) und den Daniels (EEAaO). Letzterer hat zwar mehr Vorschusslorbeeren, aber hier würde ich auf Ersteren tippen, da er trotz zahlreicher Nominierungen vermutlich sonst nirgends gewinnen wird. Auch der Preis für die Nebendarstellerin ist sehr umkämpft, jedoch gibt es hier nicht nur zwei Favoriten, sondern gleich drei: Kerry Condon wäre eine absolut verdiente Wahl für Banshees, Jamie Lee Curtis (EEAaO) ist eine Hollywood-Ikone, erstmals nominiert und hat den SAG-Award gewonnen und Angela Bassett (Black Panther: Wakanda Forever) gewann den Golden Globe in der Kategorie und gilt weithin als Highlight des Filmes. Übrigens war im Vorfeld keine andere Kategorie so chaotisch wie "Beste Nebendarstellerin", zeitweise galten hier auch Jessie Buckley, Claire Foy (beide Women Talking), Janelle Monae (Glass Onion) und Carey Mulligan (She Said) als Favoriten. Bester Nebendarsteller ist hingegen eine der sichersten Kategorien: Hier wird niemand außer Ke Huy Quan gewinnen, der für seine brillante, vielseitige Leistung in Everything Everywhere All at Once bisher fast jeden möglichen Preis gewann. Daran werden auch Barry Keoghan und Brendan Gleeson, beide für The Banshees nominiert, nichts rütteln können.

Absolut verdient einer der größten Favoriten des Jahres: Ke Huy Quan © Leonine

Bevor wir mit den Hauptdarsteller:innen-Preisen zu den spannendsten der Verleihung kommen, kann "Beste Regie" wohl recht schnell abgehakt werden. Hier werden mit großer Wahrscheinlichkeit die Daniels (Daniel Scheinert und Daniel Kwan) gewinnen. Was für eine Karriere! Vom viralen Musikvideo für "Turn Down For What", über bizarre Kurzfilme und ihr kaum weniger bizarres Langfilmdebüt Swiss Army Man zu ihrem Zweitlingswerk, für welches sie mit mehreren Oscars prämiert werden. Und damit u.a. gegen Steven Spielberg himself gewinnen! Ob der Film auch in der Kategorie "Beste Hauptdarstellerin" gewinnen wird, ist eine der spannendsten Fragen des Abends. Der Kampf der Titaninnen: Michelle Yeoh, erstmals nominiert, gegen die zweifache Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett. Beide liefern Oscar-reife Leistungen, die besten ihrer Karriere, und ich würde es beiden Damen gönnen. Doch Blanchett hat eben schon zweimal zuvor gewonnen und wird sicherlich in den nächsten Jahren abermals nominiert werden. Daher würde ich mich deutlich mehr über einen Sieg für Michelle Yeoh freuen, nicht nur für ihre herausragende Leistung in EEAaO, sondern auch als Würdigung für ihren Werdegang als eine der wenigen weiblichen Ikonen der Martial-Arts-Filmwelt. Außerdem wäre sie die erste ostasiatische Gewinnerin in dieser Kategorie.

Bleibt noch der Preis für den "Besten Hauptdarsteller". Und auch hier gibt es ein enges Duell. Während Colin Farrell zwar beim Filmfestival in Venedig und auch bei den Golden Globes ausgezeichnet wurde, dürfte seine Leistung wohl zu subtil sein, um sich gegen seine beiden Favoriten Brendan Fraser und Austin Butler durchsetzen zu können. Zumal beide eine gute Story haben: Das Comeback des Jahres und einer der größten Newcomer (bald auch zu sehen in Dune 2). Ich gönne es beiden. Brendan Frasers Film The Whale war zwar tüchtiger Murks und ich bin froh, dass er sonst nur für Make-up nominiert wurde, aber Frasers herzzerreißende und unendlich empathische Performance wertet ihn massiv auf. Und Austin Butler ist ebenfalls das größte Highlight in dem sonst eher durchwachsenen Elvis. Mein Herz schlägt zwar für Farrell, aber sollten Fraser oder Butler gewinnen, würde mich das nicht ärgern.

Insgesamt wird das also endlich mal wieder eine sehr spannende Verleihung, bei der noch vieles ungewiss ist. Ich freue mich jedenfalls sehr auf die morgige Nacht, wenn es wieder heißt: "And the Oscar goes to..."

Hier nochmal zusammengefasst meine Prognose:

Bester Film: Daniels, Jonathan Wang (Everything Everywhere All at Once)
Beste Regie: Daniels (Everything Everywhere All at Once)
Bester Hauptdarstellerin: Michelle Yeoh (Everything Everywhere All at Once)
Bester Hauptdarsteller: Austin Butler (Elvis)
Beste Nebendarstellerin: Angela Bassett (Black Panther: Wakanda Forever)
Bester Nebendarsteller: Ke Huy Quan (Everything Everywhere All at Once)
Bestes Originaldrehbuch: Daniels (Everything Everywhere All at Once)
Bestes adaptiertes Drehbuch: Sarah Polley (Women Talking)
Bester Animationsfilm: Guillermo del Toro's Pinocchio
Bester internationaler Film: Im Westen nichts Neues (Deutschland)
Bester Dokumentarfilm: Navalny
Beste Kamera: James Friend (Im Westen nichts Neues)
Bester Schnitt: Paul Rogers (Everything Everywhere All at Once)
Beste Filmmusik: Justin Hurwitz (Babylon)
Bester Song: M.M. Keeravani/Chandrabose, "Naatu Naatu" (RRR)
Bester Ton: Top Gun: Maverick
Beste visuelle Effekte: Avatar: The Way of Water
Bestes Szenenbild: Florencia Martin, Anthony Carlino (Babylon)
Bestes Kostümdesign: Catherine Martin (Elvis)
Bestes Make-up: Adrien Morot, Judy Chin, Anne Marie Bradley (The Whale)
Bester Kurzfilm: 🤷‍♂️, evtl. Le pupille?
Bester animierter Kurzfilm: 🤷‍♂️, evtl. The Boy, the Mole, the Fox and the Horse?
Bester Dokumentar-Kurzfilm: 🤷‍♂️, evtl. The Elephant Whisperers?