Manche erinnern sich an sie als das stylischste Pärchen der Geschichte. Andere zitieren sie gern als klassisches Beispiel von Amour fou: Die Schauspieler Alain Delon und Romy Schneider sind nicht nur für ihren Einfluss auf das europäische Kino legendär, sondern irgendwie auch dafür, verliebt gewesen zu sein.
Filmhistoriker Thilo Wydra nimmt sich ihrer in seinem Nonfiction-Buch Eine Liebe in Paris – Romy und Alain von 2020 an. Die Idee, zwei Biographien zum Preis von einer zu verhökern, basierend auf einer Beziehung, ist nicht neu: Je t’aime, über Jane Birkin und Serge Gainsbourg, jenes andere europäische Power Couple, kommt ihm ein Jahr zuvor. Im direkten Vergleich erscheint Je t’aime jedoch dröge.
Unsere Geschichte könnte mit Rosen umrahmt werden: Alain Delon muss Romy Schneider im Rahmen eines PR-Stunts an einem französischen Flughafen einen ganzen Batzen davon in die Hand drücken. Es ist 1958, bald werden sie gemeinsam das Historiendrama Christine drehen. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Er, Franzose, kommt aus eher ärmlichen Verhältnissen und muss für seinen Durchbruch ackern. Sie, Österreicherin, ist, was man heute als „Nepo-Baby“ verschreien würde, der jüngste Spross einer Schauspieldynastie, bereits weltberühmt für die kultig-kitschigen Sissy-Filme.
Aber gegen jede Widerstände, nach einem frostigen ersten Eindruck und trotz der Tatsache, dass sie (wortwörtlich) nicht dieselbe Sprache sprechen, knistert’s. Eine turbulente Romanze ist geboren, medial überschwänglich verfolgte Verlobung inklusive. Alles endet fünf Jahre später, wieder mit verdammten Rosen, die Delon mit einer kurzen Notiz im gemeinsamen Pariser Apartment zurücklässt. Aber keine Sorge – die Verflossenen halten Kontakt, und Wydra hält uns am Rande des Lesesessels, immer mit der Frage, was die entzweiten Turteltauben als nächstes anstellen.
Unsere Protagonisten können allerdings nur zitiert, nicht selbst befragt werden. Romy Schneider verstarb 1982, brutal verfrüht im Alter von 43 Jahren. Auch Delon war nicht verfügbar. Seine letzten Jahre sprach er vor allem von drei Dingen: Seiner glühenden Unterstützung für die rechte Partei Front Nationale, seinem noch stärkeren Bedürfnis, sich in der Schweiz euthanasieren zu lassen, und seiner felsenfesten Überzeugung, dass Schneider die Liebe seines Lebens war. Interviews mit ihnen und über die beiden gibt’s reichlich. Somit ließ Wydra diesen Mann, der sich von zwei Schlaganfällen und Krebs erholte, für seine Biographie in Ruhe.
Nichtsdestotrotz bekommen wir unsere heiteren Testemonials. So will es der goldene Standard für Promiprosa. Eine Riege an Zeitzeug:innen (Senta Berger, Jane Birkin u.v.m!) sind geordert, um über das Pärchen vom Leder zu ziehen. Am Erquickendsten ist mit Abstand Mario Adorf, der sich als Gossip Girl sondergleichen entpuppt. Über Delons (angebliche) schwule Schäferstündchen mit Regisseur Luchino Visconti (u.A. Der Tod in Venedig, 1971, mit Delon: Rocco und seine Brüder, 1960 und Der Leopard, 1963) weiß er zu berichten, und von all den Nächten, in denen er einer untröstlichen Schneider Gesellschaft leistete, während ihr Beau vollbusige Tangotänzerinnen begattete.
Wenn man auf die reißerischen Aspekte des Genres steht, tanzt hier das Herz gleich mit. Wie bei vielen biographischen Werken fragt man sich zwischendurch, wie bekömmlich Wydras Stil ohne die Details wären, die die Geschichte ihm quasi vorgibt. Für unsere Zwecke aber liest sich’s wie Butter, gewürzt mit gelegentlichem Witz und stringent genug, um der Leserschaft durch eine Mammutanzahl an Charakteren zu helfen, die die Bühne des europäischen Kinos Mitte des 20. Jahrhunderts einnehmen. Das eigentliche Herzstück, oder auch Plat au Fromage, ist ohnehin die Methodologie.
Denn was Eine Liebe in Paris jenseits des Schmutzes so interessant macht, ist die Mischung aus Nacherzählung und Analyse. Sorgsam werden Delons und Schneiders Karrieren, und auch die spätere platonische Wiedervereinigung, seziert. Aber es gibt auch neue Liebhaber:innen, tragische Todesfälle und einen Ausflug ins organisierte Verbrechen. So entdecken wir zwei wahnsinnig interessante Persönlichkeiten. Aber bereits vor der Trennung macht uns Wydra diese schmackhaft. Denn man beachte: Für die Franzosen war Romy Schneider nichts als ein paar Pausbacken und glitzernde Äuglein; Für die Deutschen war Alain Delon ein schleimiges Arschloch, das ihre Prinzessin gestohlen hatte. Die Chronik ihrer Verbindung beinhaltet so auch eine Entwirrung der hitzigen Nachkriegsbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Die Nachzeichnung der publiken Verlobung lehrt einiges über Medienobsession und Sexismus der 1950er aufwärts. Und es entsteht ein zeitweise zutiefst unschmeichelhaftes Portrait beider Parteien. Man nehme einen herzhaften Schluck Lambrusco, wenn Delon untreu wird. Ein Shot Kräuterschnaps für jede von Schneider inszenierte, dramatische Szene. Seite 150 wird man nicht mal mehr umblättern können.
Es sei jedoch betont, dass sich dies nie wie reduktionistische Ausweidung liest. Sobald sich die glücklich Unvermählten trennen, mausert la Schneider sich zur feministischen Leinwandikone, arbeitet mit Größen wie Orson Welles (Der Prozeß, 1962, mit KiK-Liebling Anthony Perkins) Claude Chabrol (Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen, 1975) und Andrzej Żuławski (Nachtblende, 1975). Freilich könnte man Wydra vorwerfen, er presse Delon in eine antagonistische Rolle ähnlich seiner Machiavellischen Performance in Nur die Sonne war Zeuge (1960). Andererseits kann der Autor auch nur begrenzt was drehen, da der fragliche Mann die meisten seiner Sünden freimütig und druckfreif zugegeben hat. Delons Portrait hier ist nahezu nett. Im selben Atemzug, in dem Schneider für ihr Commitment zu unkommerziellen, aber erfüllenden Rollen gefeiert wird, streicht er verdiente Lorbeeren dafür ein, der Typ gewesen zu sein, der coole Männlichkeit mühelos auf die Leinwand brachte - wie etwa in Jean-Pierre Melvilles Der Engel mit den Eisaugen (1967). Und ihre späteren Jahre als Freunde und Arbeitskollegen enttarnen Delon als einen, der doch so etwas wie einen Sinn für Loyalität besaß, wenn auch nie für Treue.
Im Wesentlichen erhält Romy Schneider noch mal einen Batzen Rosen von Wydra, viel besser als die von Delon. Der bekommt, metaphorisch gesprochen, nur eine Rose, aber die ist immer noch eine von diesen edlen, langstieligen. Das ikonische Traumpaar darf mehr sein als ihre Schatten in der Regenbogenpresse. Wir lesen von zwei herausragenden Schauspielern, die ihr Spiel perfektionieren. Wir lesen von einer Beziehung, die ekligen Märchenenden trotzt. Und dank der malerischen Beschreibungen sehen wir sie nahezu vor uns, am türkisenen Wasser unter der strahlenden Sonne der Côte d'Azur, beim Dreh ihres Reunion-Films Der Swimmingpool (1969), lachend.
Romy Schneider ruht in einem Grab in Boissy-sans-Auvoir. Dank dem Mann, mit dem sie immer irgendwie fast verheiratet blieb, ist der Ort stets umpflegt und mit Blumen versorgt gewesen. Alain Delon ist nun auch fort. Vergangene Kontroversen weichen den Nachrufen, die ihn als Ikone anerkennen, die es so nie wieder geben wird. Er selbst fand sich spannenderweise nie gutaussehend (zu bubihaft) oder talentiert. Er blieb einem gewissen Charaktertypus, der nie weit von ihm weg war, treu.
Das schmälert jedoch nicht die Stärke seiner Rollen. Unerreicht sein Ripley, unnachahmlich sein Lächeln in Antonionis Liebe 1962. Vor ein paar Monaten erst sah ich ihn in Joseph Loseys Monsieur Klein (1976), einem kafkaesken Holocaust-Verwechslungsdrama um einen schmierigen Kunsthändler. Von seinem kompromisslosen, uneitlen Spiel war und bin ich tief ergriffen. Er, Schneider, Jane Birkin, Françoise Hardy – frankophile Nostalgiker:innen sagen zurecht: „So gut hammers nimmer mehr!“.
Eine Liebe in Paris ist ein aufrichtiger Liebesbrief an zwei der besten und verkanntesten Schauspieler der Filmgeschichte. Die Realität hinter Delons und Schneiders großer Romanze? Die ging uns sowieso nie viel an.
„Eine Liebe in Paris – Romy und Alain“ könnt ihr in jeder Buchhandlung ordern, für den Heißhunger empfehle ich die Dokumentation „Die ewigen Verlobten“ von arte, in der Thilo Wydra seine Expertise beisteuert.
Dieser Artikel wurde gegengelesen von Gustaf Schulz, einem neuen Stern am KiK-Talentfirmament.