Was ist das und was hat es mit Game of Thrones zu tun?
Diese Frage stellt man sich vielleicht, wenn ein kurzer Blick auf die Überschrift und dem folgenden Text geworfen wird. Daher möchte ich mit ein paar einleitenden Worten erklären, wie es zu diesem Aufsatz kam:
In meinem Studiengang des Bachelors für Psychologie gibt es ein Seminar, das den Studierenden auf interessante Weise wissenschaftliche Denkansätze näher bringen soll. Dieses „systemische Denken“ sollten wir dann auf ein Thema unserer Wahl anwenden und in Form eines Essays abgeben. Natürlich benötigt das ein Thema, über welches man viel und gerne reden kann. Also entschloss ich mich über den „Krieg der fünf Könige“ aus den A Song of Ice and Fire Büchern und der Serie Game of Thrones zu schreiben. Meine dabei gewonnen Erkenntnisse möchte ich nun gerne mit den interessierten Film- und Serienfans auf diesem Blog teilen!
Der folgende Aufsatz ist dabei so geschrieben, dass auch Neulinge in der Welt von Westeros ihn verstehen und so vielleicht sogar ihr Interesse für die Geschichte voller mittelalterlichen Intrigen geweckt wird. Wer jedoch völlig unvoreingenommen die Serie sehen oder die Bücher lesen möchte, der sollte sich auf diesen Essay lieber nicht einlassen. Hier wird essentiell die Ausgangslage am Anfang des zweiten Romans beziehungsweise der zweiten Serienstaffel geschildert, demnach sei an dieser Stelle eine Spoiler-Warnung für die erste Staffel Game of Thrones ausgesprochen!

1. Einleitung

Ein fiktives Land namens Westeros ist die Austragungsstätte der aktuell vielleicht größten literarischen Fantasy-Geschichte. In sieben Romanen möchte George R.R. Martin die Geschichte über Intrigen und Verrat erzählen, welche im Setting einer mittelalterlichen Fantasiewelt spielt und den Namen „A Song of Ice and Fire“ trägt oder zu Deutsch „Das Lied von Eis und Feuer“. Zwei dieser Romane sind dabei noch nicht erschienen, wobei er an seinem neuesten Werk „Winds of Winter“ bereits seit neun Jahren arbeitet (Stand: August 2020. In mehr als 5000 Seiten wird hier also die Geschichte der Buchreihe erzählt, welche zunächst einmal den Aufbau einer komplexen Welt, mitsamt Karte, Politik und verschiedenen Königshäusern, bedarf. Die meisten dürften wohl durch die Serie „Game of Thrones“ Zugang zu dieser Welt gefunden haben.

Eine von Fans aufbereitete Karte von Westeros © theMountainGoat und Tear

Die wohl allumfassende Frage, die jede*n Leser*in oder Zuschauer*in beschäftigt ist die, wer nun schlussendlich auf dem „Eisernen Thron“ sitzen soll. Das Symbol der Macht in Westeros, welches einst Aegon Targaryen aus den Schwertern seiner gefallenen Feinde schmieden ließ, als er in einem großen Krieg alle sieben Königslande unter einer einzigen Krone vereinte. Auf besagten König folgten zahlreiche weitere. Fast 300 Jahre lang regierten so die Targaryens über die großen Häuser von Westeros, bis im Jahr 281 nach Aegons Eroberung Robert, aus dem Hause Baratheon, eine Rebellion startete, um den „Irren König“ Aerys Targaryen zu stürzen. Aerys führte zu jener Zeit eine Schreckensherschaft und war besessen vom Verfolgungswahn, sowie von der Idee jeden, den er für einen Feind hielt (was zum Ende nahezu die gesamte Bevölkerung von Westeros war) zu verbrennen. Nach diesem Umbruch regierte also Robert Baratheon, ein guter, wenn auch verschwenderischer Herrscher, welcher die Krone bald stark verschulden ließ. Im Jahr 298 nach Aegons Eroberung, nachdem also König Robert bereits 15 Jahre lang regiert hat, beginnt die Romanreihe von George R.R. Martin. Doch wir wollen die ersten Kapitel überspringen und uns mit einem Konflikt auseinandersetzen, welcher mit dem Ende des ersten Romans „A Game of Thrones“ beginnt und über die nachfolgenden Bücher hinweg ausgetragen wird: Der Krieg der fünf Könige. Dieser beginnt mit dem Tod von König Robert und befasst sich mit der Frage, wer nun sein(e) rechtmäßige(r) Nachfolger*in sein soll. Man möchte meinen, dass dies einfach mit seinem erstgeborenen Sohn zu beantworten sei, so wie es stets in Westeros üblich war, doch warum diese Frage zu einem Krieg führte, wollen wir etwas näher analysieren. Die Hypothese, welche sich hierbei nämlich klar in den Mittelpunkt stellt, besagt: Es gibt keinen einzig wahren König, sondern der wahre Nachkomme ist stets abhängig vom jeweiligen Betrachter. Warum sich diese Behauptung ergibt, obwohl sich fünf Anwärter auf den Thron zeigen und was daraus für unsere Welt zu lernen ist, betrachten wir nun einmal im Detail.

Der irre König, wie man ihn in einem Rückblick in der Serie sieht © HBO

2. Die fünf Könige

Nachfolgend analysieren wir anhand einer Systemstrukturkarte, in welcher Beziehung die oben erwähnten Anwärter auf den Thron zueinander und zum ehemaligen König stehen. Diese Karte soll zum Verständnis des Haus-Systems in Westeros dienen und uns näher an die Frage heranführen, ob eine Umgestaltung dieses Systems die einzige Lösung ist, wenn sich innerhalb dessen kein legitimer Erbe der Krone anfinden lässt.

Meine handgezeichnete Systemstrukturkarte zur Orientierung durch dieses komplexe Charakter-Gefüge 

2.1 Die Drachenmutter aus dem Osten

Zuerst einmal müssen wir wieder etwas weiter zurück in die Geschichte gehen, in das Jahr 283 nach Aegons Eroberung, also das Jahr in dem der „Irre König“ von einem Mitglied seiner eigenen Königsgarde, namens Jamie Lannister, ermordet wurde und Robert Baratheon den Eisernen Thron bestieg. Denn besagter „Irrer König“ Aerys Targaryen hatte drei leibliche Nachkommen. Sein ältester Sohn Rhaegar ist während der Rebellion von Robert höchstpersönlich getötet worden, doch seine beiden jüngeren Nachkommen, Prinz Viserys Targaryen und seine neugeborene Schwester Prinzessin Daenerys Targaryen, flohen. Sie verließen Westeros per Schiff und suchten Unterschlupf bei alten Verbündeten ihres Vaters im benachbarten Kontinent Essos.

Zu Beginn von „A Game of Thrones“ verkauft Viserys seine jüngere Schwester an den Anführer eines einheimischen Stammes der sogenannten Dothraki: Khal Drogo. Womit er jedoch nicht rechnen konnte ist, dass Daenerys zu diesem eine tatsächliche Beziehung aufbaute. Diese ging dann soweit, dass sie bei einem hitzigen Streit zuließ, dass besagter Khal ihren eigenen Bruder ermordete. Danach war sie die letzte überlebende Targaryen. Anschließend trat sie ihren eigenen Weg an, versuchte eine Armee aufzubauen und nach Westeros zurückzukehren, um den Sitz ihres Vaters erneut einzunehmen. Als Robert auch noch davon hörte, dass Daenerys von ihrem Khal, ein Kind erwartete, sah er darin zum ersten Mal die Gefahr einer neuen Targaryen-Dynastie und beauftragte einen Assassinen, sie zu ermorden, was Daenerys jedoch knapp überlebte.

Die "Mutter der Drachen" schwanger mit dem potentiellen Thron-Erben © HBO

Diese kurze Auseinandersetzung mit König Robert ist jedoch zunächst einmal alles, was wir von ihr in diesem Krieg zu hören bekommen, da noch eine lange Zeit vergehen wird, ehe Daenerys tatsächlich nach Westeros aufbricht, um sich ihren Thron zurückzuholen. Bis dahin hört man in den sieben Königslanden nur Gerüchte über eine Targaryen im Osten, welche dort als „Mutter der Drachen“ bezeichnet wird. Doch in der Historie Westeros' wurde sie nicht zum Krieg der fünf Könige dazugezählt, wobei sie dennoch ein wichtiger Bestandteil der Geschichte ist und uns zeigt, wie die unterschiedliche Interpretation der Historie zu einem anderen Ergebnis führen kann.

Ihr Vater war König, also hat sie das Recht auf den Platz als Königin. Doch hat sie das wirklich, nachdem König Robert ihren Vater besiegte und Westeros von seiner Schreckensherrschaft befreite? Es gibt keine klare Antwort, da es selbstverständlich keine eindeutige Festlegung gibt, wie in dieser Welt im Falle einer Revolution die Thronfolge gehandhabt wird. Ebenso gibt es keine klare Antwort, da es in der Geschichte Westeros nie üblich war eine Königin zu akzeptieren, es wurde stets nach einem männlichen Erben gesucht.

2.2 Die Nachkommen des Königs

König Robert Baratheon hatte eine Ehefrau: Cersei aus dem Hause Lannister. Durch sie erhielt er drei Nachkommen, wobei einer der direkte und logische Erbe des Throns sein müsste: Joffrey Baratheon. Zunächst darf er auch dort sitzen. Es gibt aber ein unausgesprochenes und doch sehr präsentes Geheimnis, welches seine Feinde als Argument gegen seine Legitimation einlegen: Er sei das uneheliche Kind von Cersei mit ihrem eigenen Bruder Jamie Lannister, ebenso wie die anderen beiden Kinder, welche Robert angeblich mit Cersei hatte. Bewiesen werden konnte dies natürlich nicht. Dennoch wurde diese Aussage von den beiden jüngeren Brüdern Roberts genutzt, um ihre Rechtmäßigkeit zu verdeutlichen. Auch nutzten sie den Verdacht darauf, dass Robert von Cersei selbst getötet wurde, damit sie, mit ihrem Kind als Vorwand, die eigentliche Machthaberin von Westeros ist.

Joffrey Baratheon auf dem Eisernen Thron © HBO

Es scheint so, als findet sich auch hier keine Antwort auf die Frage, wer denn der rechtmäßige König der sieben Königslande sein soll. Aus Cerseis Perspektive ist ihr Sohn definitiv das Kind der Königin, doch da er nicht das Kind des Königs ist (was dem Lesenden tatsächlich auch bestätigt wird), ist er nicht rechtmäßiger Erbe des Eisernen Throns.

2.3 Die zwei Brüder

Wie bereits erwähnt, erhoben auch Roberts beiden Brüder Stannis, der Ältere von beiden, und Renly Baratheon Anspruch auf die Krone. Stannis begründet seinen Anspruch dadurch, dass Robert keinen legitimen Erben hat, was aber wie gesagt öffentlich nie bestätigt werden konnte, und er als der nächstältere Bruder als nächstes in der Thronfolge stehen müsste. Eine Begründung, die ihm vielleicht den logischste Begründung für den Platz auf dem Eisernen Thron verleihen würde, wenn er nicht ein Problem hätte, das sich ein König nicht leisten konnte: Er wurde vom gemeinen Volk gehasst.

Selbstverständlich hatte auch Stannis seine Anhänger, doch die Mehrheit der Bevölkerung verachtete ihn für sein grimmiges Erscheinungsbild, für seine Strenge in der Bestrafung von Verbrechern und vor allem darin, dass er durch eine „Rote Hexe“ eine neue Religion nach Westeros bringen wollte, welche den „Herrn des Lichts“ anbetete. So kam es, dass er zwar von einigen seiner engsten Anhänger Unterstützung erhielt, jedoch vom Rest Westeros verachtet wurde, was aus ihm weder zu einem vom Volk ausgerufenen König macht, wie es Robert einst war, noch einen, der durch die Götter Westeros legitimiert wurde, da er ja seine eigene Religion mit sich brachte.

Stannis Baratheon mit der "Roten Frau" an seiner Seite © HBO

Bei Renly sah es dagegen genau andersrum aus. Er war charmant und hatte die Unterstützung des Volkes, sowie vieler reicher Königshäuser, jedoch kam er nach der klassischen Thronfolge erst an vierter Stelle und selbst wenn man die Söhne Roberts rausnimmt, so ist Stannis immer noch der ältere Bruder von beiden. Offensichtlich lässt sich also auch im Konflikt dieser beiden Brüder keine Lösung für das Problem finden, wodurch sich die Frage, ob es überhaupt eine Lösung gibt nur noch weiter bestärkt.

2.4 Der König im Norden und der König des Salzthrons

Die beiden letzten Könige im großen Konflikt um den Eisernen Thron sind Robb Stark und Balon Greyjoy. Beide verbindet zunächst, dass sie nicht die Herrschaft über die sieben Königslande forderten, sondern stattdessen die Unabhängigkeit ihres eigenen Königreichs. Beide berufen sich dabei auf die Zeit, bevor Aegon Targaryen die sieben Königslande vereint hat, bei dem jedes Königreich ihren eigenen König hatte. Auch hier haben wir es also wieder mit einer anderen Interpretation der Geschichte Westeros zu tun, aber nicht zwangsläufig mit einer falschen. Wenn man die Eroberung Aegons als nicht legitim ansieht, so ist die eigene Unabhängigkeit wieder das Recht, welches man sich als nächstes fordern kann, insbesondere dann, wenn scheinbar kein aktueller rechtmäßiger Erbe des Throns über alle sieben Königreiche auffindbar ist.

Robb handelt dabei primär aus Hass gegenüber Joffrey Baratheon, dem Sohn von Robert, welcher aktuell tatsächlich auf dem Thron sitzt. Dieser ließ nämlich einst seinen Vater Eddard, den ehemaligen engsten Freund und Berater von Robert, hinrichten, da dieser Joffreys eigentliche Herkunft herausfand und sie an die Öffentlichkeit tragen wollte. Aber nicht nur die Rache treibt ihn, sondern auch die Blutlust seines eigenen Volkes, welches ihn zum „König des Nordens“ ausgerufen hat. Robb versuchte sogar mit Renly Baratheon zu verhandeln, doch wollte dieser den Norden nicht wieder als eigenes Königreich anerkennen. Er war aber ohnehin zu sehr mit dem Konflikt zu seinem Bruder beschäftigt.

Der König des Nordens während seines Ritts nach Süden © HBO

Die Greyjoys hingegen waren stets ein eigenwilliges und brutales Volk, welche nie einen König über alle Lande anerkennen wollten und bereits unter Roberts Herrschaft eine eigene Rebellion starteten. Ihre Motivation ist die Unabhängigkeit, welche Teil ihrer harten Kultur ist. Denn in dieser, welche durch eine eigene Religion bestärkt wird, ist das oberste Gut das, was man sich selbst durch den sogenannten „Eisernen Preis“ verdient, d.h. selbst im Kampf erobert hat. So forderten auch sie ihre Unabhängigkeit vom Eisernen Thron, indem sie sich auf die Zeit vor Aegon Targaryens Eroberung berufen.

3. Der einzig wahre König

Nach unserer kleinen Betrachtung des Systems, welches während des „Krieges der fünf Könige“ herrschte, ist es nun an der Zeit zurück zu unserer Eingangsfrage zu kommen: Gibt es einen wahren König von Westeros?

Mit Hilfe unserer Systemstrukturkarte haben wir die unterschiedlichsten Perspektiven eingenommen, versucht zu begreifen aus welchen Gründen Konflikte herrschen und in welcher Beziehung die einzelnen Personen zueinander stehen. Doch wurde eines daraus deutlich: Es kann keinen einzig wahren König geben, solange niemand bereit ist seine Perspektiven zu locken und zu versuchen andere zu verstehen. Jeder hat einen legitimen Grund, warum er sich den Thron einfordert, doch lässt sich auch bei jedem Einzelnen ein Grund finden, warum diese Forderung eben nicht rechtens ist. Die Frage ist jetzt, sind es allein die Menschen, die hier versagen oder gibt es im System selbst einen Knackpunkt? Sicherlich trägt beides dazu bei, dass kein wahrer Erbe des Throns gefunden werden kann. Niemand lockert seine Forderungen, doch das System gibt eben auch vor, dass wer sie lockert, der erste sein wird, der den anderen Anwärtern zum Opfer fällt. Eine mögliche Lösung ist es ein neues System zu wählen, ja womöglich könnte hier eine demokratische Wahl der richtige Weg sein, nach dem Scheitern der regulären Thronfolge, dennoch auf eine akzeptierte Lösung zu kommen (auch wenn die mittelalterlichen Königshäuser Westeros' das wohl anders sehen). In jedem Fall kann eine Analyse des Systems zum Umdenken führen, denn das ist notwendig, wenn wir bei einer prinzipiell unlösbaren Aufgabe eine angemessene Lösung finden wollen.

Zum Glück leben wir in keiner Monarchie. Wir leben auch nicht mehr im Mittelalter und sind gerade in der heutigen Zeit dabei zu lernen, andere Perspektiven zu akzeptieren, auch wenn diese nicht immer für uns vollkommen nachvollziehbar sind. Es ist vielleicht nicht mehr ein Thron, welcher zur Diskussion steht, aber die Wichtigkeit andere Interpretationen unserer Welt nachzuvollziehen, ist heute, genauso wie in dieser Geschichte, allgegenwärtig. Auch konnten wir sehen, wie eine distanziertere und genauere Analyse eines solchen Systems eben dazu beitragen kann, sodass wir uns beim nächsten Konflikt vielleicht nicht mehr Fragen „Wer hat Recht?“, sondern „Wie finden wir jetzt die bestmögliche Lösung?“.