In der vergangenen Woche fand nicht nur das Filmfest Dresden statt (über welches Philipp gemeinsam mit unseren Kollegen vom Campusradio ausführlich berichtet hat), sondern auch das Fantasy Filmfest in Berlin und Frankfurt. Dieses Festival, nun schon seit 33 Jahren Deutschlands wichtigste Veranstaltung im Bereich Genrefilm, findet dieses Jahr an sieben Standorten statt. Nach dem Auftakt letzte Woche, folgen ab dem 16.09. Hamburg, München und Nürnberg, den Abschluss bilden die Standorte Köln und Stuttgart vom 23. bis 27.09. Während sich das Festival üblicherweise über zehn Tage erstreckt und etwa 50 Filme umfasst, gibt es Corona-bedingt in diesem Jahr nur eine abgespeckte Ausgabe mit 21 Filmen an fünf Tagen. Trotz der verringerten Anzahl an Filmen ist das Programm auch in diesem Jahr wieder gewohnt vielseitig und umspannt verschiedenste Genres, vom Eröffnungsfilm, der raffinierten und charmanten Zeitschleifen-Komödie Palm Springs (unbedingt vormerken!), über Arthaus-Horror wie Relic, bis hin zum Splatter-Trash PG: Psycho Goreman. Ich war am Wochenende in Berlin und habe mir die Filme Possessor und Mandibules angesehen.

Der Sci-Fi-Horror Possessor von Brandon Cronenberg (Davids Sohn!) spielt in einer Zukunft, in welcher es Gehirnimplantate ermöglichen, in den Körper von Personen zu schlüpfen. Eine Firma nutzt diese Technologie, um Menschen unwillentlich Auftragsmorde ausführen zu lassen. Tasya Vos (Andrea Riseborough), eine Agentin dieser Firma, bekommt von ihrem Boss Girder (Jennifer Jason Leigh) einen riskanten Auftrag: Im Körper von Colin Tate (Christopher Abbott) soll sie dessen Schwiegervater, den reichen Konzernchef John Parse (Sean Bean), ermorden. Doch die Besitzübernahme von Tate läuft nicht so reibungslos, wie geplant.

Besonders audiovisuell ist Possessor enorm gelungen. Die von Karim Hussains Kamera elegant eingefangenen Bilder und die satten Farben sehen hervorragend aus und die visuellen Effekte, welche Cronenberg in seinem Kurzfilm Please Speak Continuously and Describe Your Experiences as They Come to You (welcher letzte Woche auf dem Filmfest Dresden lief) teilweise schon ausprobiert hatte, haben eine schön handgemachte Optik. Besonders die Szene, in welcher Tasya Vos in Tates Körper eintaucht, visualisiert als eine Flüssigkeit, welche einen unsichtbaren Hohlraum in Form eines menschlichen Körpers ausfüllt (siehe obiger Trailer), bleibt im Gedächtnis, genau wie die Szene, aus welcher das Vorschaubild des verlinkten Videos stammt, deren Inhalt hier jedoch nicht vorweggenommen werden sollte. Akustisch weiß Possessor ebenso zu gefallen, mit einem atmosphärischen Synth-Score und brachialer Tonabmischung (wenn im Film geschossen wird, dann knallt es ordentlich).

Auch schauspielerisch kann Possessor überzeugen. Insbesondere Christopher Abbott meistert seine komplexe Rolle hervorragend. Außerdem ist es immer eine Freude, Jennifer Jason Leigh (welche übrigens schon in David Cronenbergs Film eXistenZ eine Hauptrolle hatte) zu sehen, auch wenn sie hier als unterkühlte Killerchefin nicht allzu viel zu tun bekommt.

Ob einem der Film gefallen wird, ist wohl zu einem großen Teil davon abhängig, wie gut man die dargestellte Gewalt verträgt. Ich bin normalerweise wirklich nicht zimperlich, wenn in einem Film ordentlich Kunstblut vergossen wird, aber Possessor hat meine Gewalttoleranz dennoch stark auf die Probe gestellt, da Cronenberg Wert darauf legt, die zugefügten Verletzungen realistisch und schockierend darzustellen. Beispielsweise wird in der Eröffnungsszene ein Mann ermordet, indem ihm mit einem Messer in den Hals gestochen und schließlich mit zahlreichen Stichen der Brustkorb durchlöchert wird. Die Einstellung, in welcher das Messer in den Hals eindringt und Blut heraussprudelt, wird später im Film mehrfach nochmals in Zeitlupe und Großaufnahme eingeblendet. Man merkt, dieser Film ist definitiv nichts für Zuschauer*innen, welche es nicht vertragen, Blut auf der Leinwand zu sehen. Man darf gespannt sein, ob dieser Film hierzulande überhaupt ungeschnitten veröffentlicht werden wird.

Kommen wir nun zu etwas völlig anderem (und völlig unblutigem): Mandibules, das neuste Werk des verschrobenen französischen Autorenfilmers Quentin Dupieux, der uns bereits mit seinem vorletzten Film Die Wache begeistert hatte.

Die Story ist simpel: Der obdachlose Manu (Grégoire Ludig) bekommt einen Auftrag. Er soll einen Koffer von einem Herrn namens Michel-Michel in Empfang nehmen und woanders wieder abgeben. Also klaut er ein Auto und macht sich mit seinem besten Kumpel, dem Tankstellenangestellten Jean-Gab (David Marsais) auf den Weg. Doch bevor die beiden bei Michel-Michel ankommen, hören sie eigenartige Geräusche aus dem Kofferraum. Im geklauten Auto befindet sich eine ca. 1 Meter lange Fliege. Jean-Gab hat eine zündende Idee: Anstatt ihre Mission auszuführen, dressieren sie einfach die Fliege (welche später "Dominique" getauft wird), Gegenstände zu apportieren, um sie bei Einbrüchen einsetzen zu können. Doch wohin mit der Fliege? Schließlich hat Manu keine Bleibe und Jean-Gabs Mutter würde die Fliege bestimmt nicht dulden. So beginnt eine abstruse Odyssee durch den Süden Frankreichs, von einer Katastrophe zur nächsten.

Klar, besonders viel steckt nicht in dem geradlinig erzählten Film, insbesondere im Vergleich zum deutlich vertrackteren Die Wache, welcher genüsslich gängige Erzählstrukturen dekonstruierte. Zwei infantile Deppen finden eine Fliege, sorgen für allerhand Ärger und schaffen es dennoch stets, misslichen Situationen zu entfliehen. Dass Mandibules (übrigens das französische Wort für die Beißwerkzeuge von Insekten) dennoch so viel Spaß macht, liegt an seiner knackigen Laufzeit von 77 Minuten und dem dadurch angenehm flotten Erzähltempo, sowie den liebenswerten Protagonisten. Manu und Jean-Gab haben zwar wenig Grips oder Manieren, ihre sorgenfreie Lebenseinstellung und ihr naiver Optimismus überträgt sich jedoch blendend aufs Publikum. Auch der eigenwillige Dialekt, mit welchem das Duo spricht, sorgt für Erheiterung (selbst wenn man kein Französisch versteht) und der eigenwillige "Toro"-Handschlag (eine Kombination aus Fistbump und Mano cornuta) hat Kultpotential und kam im Publikum hörbar gut an.

Im allgemeinen ist Mandibules ein Film, der enorm davon profitiert, ihn mit einem gut gelaunten Festival-Publikum zu schauen. Es gab schallendes Gelächter und Szenenapplaus, die Stimmung im Saal war hervorragend. Ein echter Crowdpleaser eben. Und da sage mal einer, Streaming im Heimkino sei ein adäquater Ersatz für die Kinoerfahrung. Egal wie groß der Fernseher und wie fortschrittlich das Soundsystem ist, ein gut gelauntes Publikum kann man einfach nicht ersetzen. Man kann nur hoffen, dass möglichst viele Lichtspielhäuser die aktuelle Krise überstehen werden, sodass der Kinosaal als Ort der Zusammenkunft erhalten bleibt. Alles andere wäre ein herber Verlust für die gesamte Filmkultur.

Wann Possessor und Mandibules hierzulande regulär erscheinen werden, lässt sich derzeit noch nicht einschätzen. Während ersterer wohl ausschließlich Zuschauer*innen zu empfehlen ist, welche von drastischen Gewaltdarstellungen und der abgründigen Thematik nicht abgeschreckt werden, kann man Mandibules jedem ans Herz legen, der Lust auf eine lockere, kreative Komödie mit skurrilen Figuren hat.