Es wird kalt draußen und Weihnachten steht schon bald wieder vor der Tür. In den nächsten Wochen wird das kulturelle Leben wieder einmal bis aufs Ganze heruntergefahren und auch wir müssen unsere Kinopforten erneut schließen. Schließlich bleiben nur noch die eigenen vier Wände und das Repertoire an analogen und digitalen Filmen, um der Kinoabstinenz entgegenzuwirken. Einstweilen werden sogar wieder Online-Filmabende im Sinne eines „Los-Film-Los“ reaktiviert.

Doch während die letzten warmen Novembertage ihre Schatten werfen, blitzt mir immer wieder ein längst vergangenes Ereignis ins Gedächtnis. Wie ein Geist verfolgen mich jene Geschehnisse, die mich seit knapp zwei Monaten begleiten. Hier und da erklingen die zynisch anklagenden Worte „Wo bleibt den dein Artikel?“. Schweiß gebadet wache ich des Nachts auf und hoffe, dass mich nicht ein, in einen gelben Atomschutzanzug gehüllter Oli mit Van Halen Sounds beschallt. Doch nach einer endlosen Tortur des Hausarbeiten Schreibens und Prokrastinierens ist es endlich soweit – der lang erwartete kleine große Rückblick auf das 32. Filmfest Dresden erblickt nun endlich das Licht des Tages. „Die verlorene Ehre des Philipp Hechtfisch“ oder „Die Leiden des jungen H.“ werden nun ein für alle Mal beendet!

Es fühlt sich so an als säße ich erst gestern noch in einem bequemen Kinosessel in der Schauburg und würde mir einen Kurzfilm nach dem anderen geben, derweil laufen bereits die Filmeinreichungen für das kommende Filmfest. Nichtsdestotrotz wirken viele der gesehenen Filme mitsamt ihren Themen immer noch nach und haben sich tief in meine Netzhaut gebrannt. Doch genug mit den einleitenden Worten und Film ab!

Die aufmerksamen Leser- und HörerInnen, die uns gespannt auf den sozialen Medien folgen, haben es bestimmt schon lange mitbekommen, oder schon längst wieder vergessen – in insgesamt sechs Podcast-Folgen haben wir, das heißt das Campusradio und ich, täglich vom Filmfest berichtet und unsere mehr oder weniger hochqualifizierte Meinung kundgetan. Der eigentliche Plan parallel zum Podcast, jeden Tag zusätzlich einen Blog-Artikel zu schreiben, wurde schon nach dem ersten Tag von mir verworfen. Ein kurzer Abriss eines "gewöhnlichen" Festivaltags wird schnell zeigen warum. Nach einer ersten kurzen Nacht folgte, nach dem leicht verspäteten Aufstehen und einem anschließenden Frühstückssnack, auch schon der Schwung aufs Rad, um sich eine Stunde nach zwölf in den dunklen Kinosaal der Schauburg zu begeben. Die ganze Woche über schien plötzlich der Sommer wieder in die Großstadt zurückzukehren und anstatt die letzten warmen Tage zu genießen verbrachten wir meist bis zu acht Stunden im kühlen Saal. Nach jeder Veranstaltung, welche aus einem Programm mit fünf bis sieben Kurzfilmen und dazugehörigen FAQ´s oder Interviews mit Menschen aus dem Filmteam bestand, ging es daran die eben gesehenen Filme zu besprechen. Meist waren die Pausen zwischen den einzelnen Blocks so eng getaktet, dass es kaum Platz für einen Happen zu essen gab – was tat man nicht alles, um Euch mit frischen Leckerbissen zu versorgen. Als gegen Mitternacht zum letzten Mal der Abspann auf der Leinwand entlang rollte, hieß es, nach einer weiteren Aufnahme, ab nach Hause und in die Koje.

Bewaffnet mit Stift und Block auf unserer Lieblingstreppe hinter der Schauburg!

Doch während sich der Tagesablauf wie Und täglich grüßt das Murmeltier anfühlte, waren die Programme an Vielfältigkeit nicht zu übertreffen. Neben den Nationalen und Internationalen Wettbewerben, welche eine Achterbahnfahrt zwischen ausgeflippten Animationsfilmen, wie dem ukrainischen Kohannia, grotesken Humor aus dem Erzgebirge (Hammerthal Drei), enkaustischer Malerei (Physique De La Tristesse) oder sexuellen Übergriffen im Zirkusmilieu (Plume) glich und dabei ein ebenso großes emotionales Rezeptionsspektrum hervorrief, waren vor allem die thematischen Schwerpunkte eine Augenweide. Im Fokus standen dieses Jahr Nachbilder: Spuren des Traumas, die sich mit Vergangenheitsbewältigung, -reflexion und traumatischen Erlebnissen beschäftigten und dabei Filme hervorgebracht haben, die an Intensität kein bisschen verloren haben. Die eindrucksvolle Dokumentation Nacht ueber Kepler 452b des Regisseurs Ben Voit skizziert in einer unglaublichen Nahbar- und Menschlichkeit eine Nachtfahrt des Kältebusses in Berlin, der in den kalten Wintermonaten obdachlosen Menschen eine wärmende Unterkunft gibt. Dabei spiegeln nicht nur die Bilder den Tonus des nächtlichen Berlins wider, sondern zeigen gleichzeitig auch die Verletzlichkeit der hilfsbedürftigen Menschen in einer Art und Weise, welche ich bis dato noch nicht gesehen hatte.

Den Anstoß für den diesjährigen Schwerpunkt lieferte der Regisseur Omas Fast, welcher in seinen Filmen vor allem Kriegstraumata behandelt. 5000 Feet Is The Best zeigt in einem Mix aus Dokumentar- und Spielfilm die psychischen Auswirkungen der zutragenden Last eines Drohnenpiloten. Die Erzählstruktur wiederholt dabei immer wieder die Handlungsabläufe, wobei dem Zuschauenden jedes mal neue Details offenbart werden.

Unter den zahlreichen Gewinnerfilmen des Wettbewerbs möchte ich Masel Tov Cocktail von Arkadij Khaet und Mickey Paatzschganz an dieser Stelle besonders hervorheben. Der zurecht mit dem Goldenen Reiter des Publikums und dem Filmförderpreis der Staatsministerin ausgezeichnete Kurzfilm handelt von dem russisch-deutschen Juden Dima, der seinen Alltag als Jude in Deutschland bestreitet. Dabei werden Themen wie Antisemitismus, Rassismus oder die deutsche Schuldfrage keinesfalls übervorsichtig behandelt, sondern Dima durchbricht dabei immer wieder die vierte Wand und spricht die Zuschauenden direkt an. Dadurch entsteht eine so kraftvoll-humoristisch pointierte Dynamik, die einfach an Genialität nicht zu übertreffen ist.

Für alle LeserInnen, die auch mal was zwischen den Ohren haben möchten und schon gespannt auf das nächste Filmfest sind, aber es kaum noch erwarten können, die sind eingeladen sich die volle Podcast-Dröhnung zu geben. In unserem Grand Finale haben wir noch einmal all unsere Favoriten besprochen und lassen auch Freunde, Filmschaffende und Menschen aus den verschiedensten kulturellen Bereichen zu Wort kommen. Alle besprochenen Filme findet ihr auch zusammengefasst in der "32. Filmfest Dresden – International Short Film Festival" Liste! Jetzt wäre der Zeitpunkt, an dem ich mit großen Ankündigungen die nächste Podcastreihe für das kommende Filmfest ankündige, aber das werde ich an dieser Stelle bleiben lassen und zu gegebener Zeit preisgeben.

Das nächste Filmfest findet voraussichtlich vom 13. bis 18. April 2021 statt, sofern nicht ein weiterer Lockdown das ganze Vorhaben zum Einsturz bringt. Doch dank der hervorragende Organisation des Filmfest-Teams glaube ich fest daran, dass auch im nächsten Jahr das 33. Filmfest Dresden gebührend gefeiert werden kann. Bis dahin immer fleißig Kurzfilme schauen!