Ein weiteres Jahr ist ins Land gegangen. Ein weiteres Corona-Jahr, welches erstmal wieder mit einer langen Kino-Abstinenz begann. Für viele von uns war der beinahe achtmonatige "Lockdown Light" von November bis Juli vermutlich die längste Zeit ohne neue Kinofilme, seit wir uns erinnern können. Und auch im Kino im Kasten mussten die Projektoren lange Zeit ruhen. Dafür konnten wir dieses Jahr, dank der Unterstützung durch den Bereich Campusleben des Dezernats Universitätskultur, erstmals eine Open-Air-Reihe durchführen. Im Rahmen des "Sommerkino auf der HSZ-Wiese" wurde mit den Filmen Mein Name ist Nobody, Der Zauberer von Oz, Booksmart und The Rider, ein vielseitiges Filmprogramm auf die Beine gestellt und wir freuen uns, dass die Veranstaltungen so gut angenommen wurden.
Im Juli war es dann endlich soweit, dass deutschlandweit die Kinos wiedereröffnet werden durften. Bei uns ging es ab Oktober wieder mit unserem regulären Programm los. Endlich wieder im angestammten Hörsaal, mit der gewohnten Vorführtechnik auf großer Leinwand und mit Surround-Sound. Schade, dass die Freude nur von kurzer Dauer war und uns die rasant steigenden Corona-Zahlen im November abermals einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Doch ihr könnt euch drauf verlassen, dass wir im Jahr 2022, sobald es die Umstände zulassen, zurückkehren werden, wieder mit einem gewohnt hochwertigen und interessanten Filmprogramm. Und, soviel sei schon erwähnt: Das Sommerkino wird zurückkehren!
Doch auch wenn die Zeit der neuen Filmstarts abermals kurz war, sind dieses Jahr allerhand starke Filme erschienen. Klar, mit den Prä-Corona-Zeiten kann es auch 2021 in Sachen Filmstarts noch nicht wieder aufnehmen, dennoch gab es dieses Jahr eine deutlich vielseitigere Mischung als 2020, mit Blockbustern, Festival-Lieblingen, Prestige-Filmen und abseitigeren Geheimtipps. Wir haben für euch unsere Lieblingsfilme des Jahres 2021 zusammengetragen.
The Power of the Dog (Lukas)
Nennt meinen Filmgeschmack ruhig Mainstream, aber letztlich sind es irgendwie doch oft die Kritikerlieblinge, die mich am meisten ansprechen. Die Filme mit vielen bekannten Darstellern, edler Inszenierung und wichtigen Themen, welche dann bei den Preisverleihungen abräumen. Vermutlich freue ich mich deswegen immer so sehr auf die Oscars und fiebere in der Nacht der Verleihung darum, dass meine Favoriten abräumen. Da das Jahr 2020 aus bekannten Gründen etwas rar an starken Filmen war, gab es bei den diesjährigen Oscars, trotz des verlängerten Qualifikationszeitraumes, keine üppige Auswahl. Der große Abräumer Nomadland von Chloé Zhao war dann dennoch eine sehr gute (wenn auch vorhersehbare) Entscheidung, ein einfühlsamer, halbdokumentarischer Einblick in die Subkultur der amerikanischen van dwellers, moderner Nomaden, die im Wohnwagen durch die Vereinigten Staaten ziehen, von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Großes Kino im ganz Kleinen, ein Independent-Kleinod, welches weder in Richtung Betroffenheitsporno noch ins Romantisierende abdriftet und darüber hinaus wunderschöne Landschaftsbilder liefert. Auf jeden Fall einer meiner Top-3-Filme des Jahres, so wie auf der anderen Seite auch Spielbergs imposante Neuadaption von Bernsteins und Sondheims Musicalklassiker West Side Story.
Im Vorfeld waren ja viele skeptisch, was der Altmeister des Hollywood-Blockbusters dem Musical noch hinzufügen möchte, dessen erste Verfilmung von 1961 als großer Klassiker gilt und damals 10 Oscars gewann. Und inhaltlich bleibt auch alles beim Alten: Spielberg und Drehbuchautor Kushner (München, Lincoln) haben sich dafür entschieden, die Handlung nicht zu modernisieren, sodass es sich immer noch um eine lose Adaption von Romeo und Julia im Manhattan der 50er handelt. Dafür wurde die Reihenfolge der Songs im Vergleich zu Vorlage teils geändert, manchmal werden Songs von anderen Charakteren gesungen, als im Original. Für Rita Moreno (die Anita der ersten Verfilmung) wurde mit Valentina eine neue Charakterin geschaffen, die auch eine Gesangsnummer übertragen bekommt. Insgesamt wirken Abfolge und Kontexte der Songs teilweise etwas stimmiger, als im Original und es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass diesmal tatsächlich Hispanic-Darsteller:innen die Rollen der Puertoricaner übernehmen, anstatt Weißer mit "Brownface"-Schminke. Apropos Darsteller:innen: Die sind insgesamt wirklich stark. Rachel Zegler in der Hauptrolle (ihre erste Kinorolle überhaupt!) ist eine wahre Entdeckung und auch die Musical-Performer Ariana DeBose und Mike Faist bleiben in Erinnerung als Anita und Riff. Nur Ansel Elgort spielt recht unsouverän und zurückhaltend in der männlichen Hauptrolle des Tony, wenn auch nicht annähernd so schlecht, wie viele schreiben, und hat zumindest eine brauchbare Stimme (gegen Zeglers glockenhelle Sopranstimme hat er natürlich keine Chance). Doch was Spielbergs West Side Story zu einem der stärksten Filme des Jahres macht, ist natürlich die brillante Inszenierung des Altmeisters. Das ist ein Film, der fürs Kino geschaffen wurde, daher umso ärgerlicher, dass er vielerorts aktuell nicht gezeigt werden kann und dort wo er läuft, gnadenlos floppt. Rasante Kamerafahrten, gigantische Kulissen, farbenfrohe Kostüme, ein Rhythmus, dem man sich nicht entziehen kann, grandiose Tanzchoreographien und eine erfreulich unironische Romantik. Kurzum: Klassisches Hollywood-Kino, das man in einer solchen Aufrichtigkeit nur noch selten zu sehen bekommt.
Doch für den Platz 1 meiner Jahresbestenliste habe ich mich letztlich doch für einen anderen Film entschieden, nicht nur da mich dieser sehr begeistert hat, sondern auch da er dank Netflix derzeit weit zugänglich ist: Jane Campions Spätwestern The Power of the Dog. Der erste Film der neuseeländischen Regisseurin seit ihrer hinreißenden Keats-Biografie Bright Star vor 12 Jahren, handelt von Phil Burbank (Benedict Cumberbatch), welcher trotz seiner reichen Herkunft und seiner akademischen Ausbildung das beschwerliche Leben als Rinderfarmer vorzieht. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder George (Jesse Plemons) besitzt er eine Farm, irgendwo im Nirgendwo des ländlichen Montana. Als Kind wurde Phil vom legendären Cowboy "Bronco Henry" ausgebildet, eine Tatsache, die er nie müde wird, zu betonen. Im Gegensatz zu seinem zivilisierteren Bruder, ist Phil ein Musterbeispiel von Wildwest-Männlichkeit: grob, stoppelbärtig, breitbeinig und ungewaschen. Als sein Bruder die Witwe Rose (Kirsten Dunst) heiratet und auf die Farm holt, fühlt sich Phil verraten und beginnt, Rose bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu demütigen und zu erniedrigen. Als der Medizinstudent Peter (Kodi Smit-McPhee), Roses Sohn aus erster Ehe, über die Semesterferien auf die Farm kommt, scheint sich das Blatt zu wenden. Schmächtig, blass, sensibel und emotional distanziert, entspricht Peter so gar nicht Phils Männlichkeitsideal.
In allererster Linie ist The Power of the Dog weniger ein Film im Westerngenre, sondern vielmehr ein Film, welcher sein Setting im ländlichen Montana der 1920er-Jahre nutzt, um das Männlichkeitsbild und den Wildwest-Mythos der Cowboys zu dekonstruieren. Während Phil die Unsicherheit seiner Sexualität in Homophobie und übertriebene Zurschaustellung seiner Männlichkeit kanalisiert, macht Peter keinen Hehl aus seiner femininen Seite. Eine interessante Ausgangslage und der Beginn eines komplexen Spiels von Andeutungen und Motivationen. Man muss sich schon darauf einstellen, dass der Film insgesamt sehr subtil bleibt und auch eher spröde und sperrig erzählt wird. So muss das Publikum einiges an Willen mitbringen, Details aufmerksam zu verfolgen und zu interpretieren, um sich ein Gesamtbild der Charaktere und der Story machen zu können. Ich muss auch zugeben, dass ich das Ende nicht komplett verstanden habe, je mehr ich aber im Nachhinein über den Film gelesen habe, desto faszinierter war ich. Campions Drehbuch-Adaption der Romanvorlage lässt vieles unausgesprochen und verstreut stattdessen Andeutungen wie Brotkrumen, sodass der Willen, diesen zu folgen, sehr entscheidend ist für den persönlichen Genuss des Filmes.
Doch auch abgesehen der Handlung hat The Power of the Dog allerhand zu bieten. Zu allererst fällt auf, wie fantastisch der Film aussieht. Neuseelands Landschaften, welche hier Montana verkörpern, sind von Natur aus fotogen, aber wie elegant diese von Kamerafrau Ari Wegner eingefangen werden, raubt stellenweise den Atem. Doch natürlich handelt es sich bei den Bildern nicht um reines Eye-Candy, sondern sie sind um allerhand Symbolik angereichert, wie beispielsweise in einer der stärksten Szenen, in welcher Jesse Plemons und Kirsten Dunst (übrigens auch im echten Leben ein Paar) auf einer verlassenen Passhöhe Tanzen üben. Und bei den Bildern des einsamen Farmhauses, welches gegen die umliegenden Berge verschwindend klein wirkt, wähnt man sich beinahe in einem Terrence-Malick-Film. Über die Bilder hinaus, besitzt der Film auch eine hervorragende Filmmusik von Radiohead-Gründungsmitglied Jonny Greenwood, u.a. Stammkomponist von P.T. Anderson. Diese erinnert zwar mit ihren dissonanten Streichern teils arg an Andersons There Will Be Blood, hat jedoch auch mehr als genug eigenständige Elemente, wie die gezupften Celli, welche teils an ein Banjo erinnern und sich so gut ins Western-Setting einfügen.
Doch The Power of the Dog wäre nicht der starke Film, der er ist, ohne seine herausragenden darstellerischen Leistungen. Benedict Cumberbatch ist eine wahre Wucht. Dass der Vorzeige-Brite so gut als bärtiger, uramerikanischer Naturbursche funktioniert, hätte ich nicht erwartet, auch sein Akzent klingt (soweit ich das beurteilen kann) sehr authentisch. Doch wer mich am meisten begeistert hat, war Kodi Smit-McPhee. Nicht nur, dass sein Peter eine komplexe Rolle ist, die er hervorragend meistert, sein Spiel wirkt enorm präzise, filigran und einnehmend. Smit-McPhees Performance ist eine der besten des Jahres und er ist auf jeden Fall derzeit mein Favorit für den Oscar als Bester Nebendarsteller. Abgesehen davon könnte auch Cumberbatch gute Chancen haben und Campion dürfte die Oscars fürs adaptierte Drehbuch und ihre Regie eigentlich sicher haben. Ob es für die Filmmusik und sogar als Bester Film eine Auszeichnung gibt, wird sich zeigen. Verdient hätte es der Film in meinen Augen!
Meine Jahres-Top-10 wird neben den genannten Filmen vervollständigt durch The Father, Petite Maman (Kinostart 2022), Dune, Spencer (ebenfalls 2022), Palm Springs, Titane und Pig. Zählt man Bo Burnhams Inside als Film, wäre auch der in der Top 10 vertreten, ansonsten sei die grenzüberschreitende Performance des Ausnahmekünstlers hier zumindest nochmal sehr empfohlen.
Titane (Olli)
Während mein Blick von der Festung Königstein über das Elbsandsteingebirge schweifte, bekam ich den Anruf einer Freundin, ob ich mal wieder mit ihr ins Kino gehen möchte, "zu einem Film deiner Wahl". Das lässt man sich als Kinofan nicht zweimal sagen, ich überflog kurz Liste aktueller Kinofilme (nach denen, die ich noch nicht gesehen hatte) und blieb bei Titane von Julia Ducournau hängen.
Da ich jedoch komplett ohne Vorwissen in den Film ging, merkte ich erst während des Films, was ich meiner Begleitung abverlangte.
Filme die mit Autounfällen beginnen, insbesondere mit Kindern an Bord, machen schnell klar, dass es nicht auf Wohlfühlkino hinausläuft. Der Unfall hat die Implantation der titelgebenden Titanplatte in den Kinderschädel von Alexia zur Folge. Sie zeigt danach eine ungewöhnliche Zuneigung zu metallischen Objekten wie dem Auto ihres Vaters. Was wohl auch der Grund dafür sein dürfte, das die erwachsene Alexia, gespielt von Agathe Rousselle, den fahrzeuglastigen Berufsweg einer Erotiktänzerin für Autoshows einschlägt, wo sie sich sehr freizügig auf Motorhauben rekeln darf. Wenig später wird dem Zuschauer auch der vorläufige Höhepunkt ihres Metallfetischs präsentiert, als Alexia sich in Bondagemanier von einem der Autos sexuell befriedigen lässt, eine direkte Referenz an Cronenbergs Film Crash. Aus diesem ungewöhnlichen Geschlechtsverkehr entsteht eine noch ungewöhnlichere, motoröllastige Schwangerschaft, die uns qualvoll den Rest des Filmes begleitet und mich einige Male physisch zusammenzucken ließ im Kinosessel.
Der Film löst sich nun von seinem Autofokus und beschäftigt sich vielmehr mit der Auflösung von Geschlechterbildern. Ich will auch gar nicht mehr über den Inhalt dieses harten Körperkinos schreiben, weil gerade die unvorhersehbaren Wendungen des Filmes ihn für mich zu dem Filmhighlight des Jahres gemacht haben.
Julia Ducournau nimmt Elemente des Bodyhorrors und packt sie in ein Arthousegewand, um sich dennoch den üblichen Genrekonventionen zu entziehen.
Völlig zurecht hat der Film dieses Jahr auch die Goldene Palme von Cannes gewonnen, der Dank geht hierbei vor allem an die französische Filmförderung solch einen Film möglich zu machen!
Knapp hinter Titane haben es sich übrigens Dune und Nomadland dieses Jahr in meiner persönlichen Topliste gemütlich gemacht.
Achja, meine Begleitung hat den Film übrigens zum Glück auch trotz (oder wegen?) der fleischgewordenen WTF-Momente für gut befunden.
Dune (Leo)
Mein Jahr war wohl derart geprägt von einem Film wie selten in einem Jahr zuvor. Über mehrere Wochen - naja viel mehr Monate - beschäftigte ich mich mit der einmaligen Science-Fiction-Welt von Frank Herbert. Dass zuletzt ein solches Medium meinen Alltag derart über einen längeren Zeitraum geprägt hat war wohl während den neuen Folgen Game of Thrones, wo ich auf ähnliche Weise alle Hintergrundinformationen und Anspielung bis ins kleinste Detail analysiert habe und über Wochen hinweg den Soundtrack hörte. Ähnlich war es nun auch bei Denis Villeneuves Dune. Bereits letztes Jahr habe ich in Vorbereitung auf den Film die sechs Hauptbände der Romanreihe gelesen und darüber hinaus alle Informationen über die Neuverfilmung wie ein Staubsauger in mich aufgesogen, bis es dann für den Kinostart mit dem Zug nach Berlin ging, um den Film in einem IMAX-Saal zu bestaunen. Doch noch nie war bei mir das Verlangen nach einem Kinobesuch so riesig, wieder und wieder in diese Welt abzutauchen und den Film erneut erleben zu können wie hier. Auch über den (bzw. die) Kinobesuch(e) hinaus hörte meine Besessenheit mit der Welt von Frank Herbert nicht auf und sei es durch Filmzeitschriften wie Little White Lies, durch das Hintergrundbuch zum Film "The Art and Soul of Dune" oder durch den auf Dauerschleife laufenden Soundtrack von Hans Zimmer – so richtig verlassen konnte ich Arrakis immer noch nicht. Meine vollständige Kritik zu dem Film findet ihr übrigens hier.
Auch über Dune hinaus gab es aber einige Filmhighlights, die mich dieses Jahr begeistern konnten. Allen voran möchte ich dabei noch The Father erwähnen, wo einem ein eindrucksvoller Einblick in den Kopf eines Demenz-Erkrankten geöffnet wird. Aber auch den sommerlichen Pixar-Animationsfilm Luca konnte ich dieses Jahr besonders in mein Herz schließen.
Nowhere Special (Philipp)
Ich brauchte mal eine Auszeit, eine Neuorientierung, eine neue Stadt. In Leipzig habe ich jetzt Fuß gefasst und werde dort erstmal für die nächsten Monate in der Theaterpädagogik arbeiten. Doch wer jetzt denkt, dass ich dem Kino abgeschworen habe und jetzt nur noch dem Theater fröne, der liegt völlig daneben. Gleich in meiner zweiten Woche in Leipzig fand die 21. Filmkunstmesse statt und welch cineastischeren Weg gibt es, eine Stadt durch seine Kinos kennenzulernen. Neben dem eher enttäuschenden Ammonite mit Kate Winslet und Saoirse Ronan und dem großartigen Titane von Julia Ducournau, den ich in einem ausgebuchten Kinosaal um Punkt Mitternacht erleben durfte, ist mir aber ein anderer Film im Gedächtnis geblieben, der sich still und heimlich in mein Herz geschlichen hat – die Rede ist von Nowhere Special.
John (James Norton) ist ein einfacher Fensterputzer und lebt mit seinem vierjährigen Sohn Michael (Daniel Lamont) in einer nordirischen Stadt. Der alleinerziehende John ist unheilbar krank und es bleiben ihm nur noch wenige Monate zu leben. Seine Frau ist kurz nach Michaels Geburt verschwunden und so begibt sich John auf die Suche nach einer passenden Adoptivfamilie für seinen kleinen Sohn. Dabei müssen Entscheidungen getroffen werden, die sowohl Gegenwart als auch Zukunft des kleinen Michael beeinflussen. Doch wie findet man die perfekte Familie und gibt es überhaupt „die perfekte Familie“? Wie erklärt man seinem Sohn, dass Vati bald für immer gehen muss? Inspiriert von einer wahren Begebenheit geht Regisseur Uberto Pasolini diesen Fragen subtil nach und verliert dabei nie den Fokus zwischen Vater und Sohn aus den Augen. Denn auch der kleine Michael bekommt die plötzlichen Veränderungen mit und so entstehen Situationen, in denen John seinem Sohn bspw. beim Anblick eines verendeten Schwarzkäfers erklären muss, was es bedeutet zu sterben. Doch auch die unausgesprochenen Momente, wie die Blicke zwischen Vater und Sohn sind voller Zärtlichkeit, und doch ist das immerwährende Schwert des Schicksal über den Beiden spürbar. Jene Beziehung ist nicht mit überbordender Sentimentalität oder ausschweifender Dramatik getränkt, sondern fühlt sich in seiner stillen und unaufdringlichen Erzählweise ganz natürlich an. Trotz der scheinbaren Leichtigkeit weiß der Film von seiner emotionalen Kraft und erzeugt so einen ständigen Kloß im Hals, der, kurz bevor er einen zu ersticken droht, in Tränen ausbricht. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass der ganze Kinosaal früher oder später in einem Meer aus Tränen versunken war.
Das liegt vor allem an der großartigen Beziehung zwischen Norton und Lamont, die so echt und authentisch wirkt, dass man zu keiner Sekunde an deren Glaubhaftigkeit zweifelt. Denn auch hinter der Kamera verknüpfte die Beiden ein enges Band, welches bis heute ungebrochen ist. Pasolini schafft es mit dieser kleinen Perle mein Herz zu erobern und zaubert mir schon bei dem Gedanken an John und Michael eine hoffnungsvolle Traurigkeit ins Gesicht. Ein Film, der mich so schnell nicht mehr loslassen wird und damit, verdient, mein Lieblingsfilm des Jahres ist.