Meine Reise auf dem PornFilmFestival geht nach einem interessanten ersten Tag weiter. Mit der Bestätigung der Presse-Akkreditierung hatte ich bereits im Vorfeld eine Mail bekommen, welche mich darüber informierte, dass ich auch an "internen" Veranstaltungen teilnehmen könne. Munteren Schrittes mache ich mich also am Donnerstag Vormittag auf, zum Brunchen auf Kosten eines großen französischen Pornolabels.

Als ich vor einem klienem Veranstaltungsraum in Berlin Kreuzberg ankomme, sind bereits die ersten Leute da und stehen in kleinen Grüppchen zusammen. Mit Getränk in der Hand versuche ich mich unter die Leute zu mischen und siehe da: Jason Steel (siehe Tag 1) steht vor mir und reicht mir die Hand. Wir sprechen über seine Arbeit als Pornodarsteller, welcher auf 20 Jahre Karriere in der Branche zurückschaut. Und natürlich auch darüber, welche Unterschiede es zwischen den verschiedenen Formen von Pornografie gibt. Während er auf dem Festival hier mit einem sehr visuellem und künstlerischem Film vertreten ist, ist Jason dem breiten Publikum in der deutschen Pornoszene wohl eher durch Projekte wie z.B. "Bums Bus" (Ja, das ist genau, wonach es klingt!) bekannt geworden. Er bezeichnet so etwas als Reality-TV des Pornos und ich muss schmunzeln, weil er damit nicht nur sehr gut die halb-geskriptete Machart mit einbezieht, sondern auch die Fasziation, welche dahinter steht. Denn genau wie beim Reality-TV finden die meisten Menschen das, was passiert, irgendwie furchtbar banal und plump, aber sitzen trotzdem immer wieder davor und schauen es sich an (ich nehme mich da nicht raus). Nach einem anregendem Gespräch wird Jason von anderen Gesichtern des deutschen Pornos begrüßt und ich gerate an eine Frau, welche für die Veranstaltung selbst verantwortlich ist. Sie arbeitet für Dorcel, besagtes französisches Pornolabel. Das Gespräch deht sich um Pornografie im Generellen, als Kunst und Konsumgut. Es geht um junge Menschen, welche versuchen offener und vor allem gleichberechtigter zu arbeiten und alte Strukturen, die dem immer ein wenig entgegenstehen. Selbstkritisch, aber auch mit Vision spricht mein Gegenüber von künstlerischer, feministischerer und fairer Pornografie.

Dann beginnt der erste offizielle Akt: Vorstellungsrunde. Mittlerweile sind etwa 40 Leute anwesend und ich setze mich möglichst unauffällig in eine Ecke. Kurz wird die Idee der internen Veranstaltungen als Möglichkeit des Austausches und der Vernetzung erläutert, dann geht es um die Anwesenden. Berufgruppen werden genannt und Betreffende sollen die Hand heben, um eine Übersicht zu bekommen. Darsteller:innen, Produzenten:innen, Kameraleute... Dann der Moment der Wahrheit: Journalisten. Bisher habe ich mich erfolgreich vor der Frage gedrückt, was ich da eigentlich mache, dann versuche ich, unauffällig meine Hand zu heben. Der Blick der Moderatorin (Paulita Pappel, bekannt z.B. durch das ZDF-Magazin Royale) trifft mich: "Oh, und die Presse ist auch da!". Ich schau mich um und realisiere, dass ich der Einzige bin, der sich meldet. Einige schauen mich an, ich versuche, niemanden anzuschauen. Von da an bin ich also Journalist.

Dann beginnt ein Tag voller Panels und Talkrunden. Ich versuche nun den Eindruck von möglichst großer Seriösität zu wecken und merke, dass das auch ein wenig Spaß machen kann. In diesem Rahmen bekommt das Thema Pornografie einen ganz eigenen Charme. Die Menschen brennen für ihre Kunst und ihre Berufe. Man tauscht sich aus, über Probleme und neue Möglichkeiten. Was ist Pornografie? Was kann Pornografie? Was sollte sie sein? Und wer entscheidet das eigentlich? Vom kleinen Einsteiger in die Branche, der auf Onlyfans kurze Clips verkauft, bis zum großen amerikanischen Porno-Star ist alles vertreten und es entsteht eine offene und energiereiche Umgebung. Ich treffe dabei auf eine Szene, welche durchaus kritisch mit sich selbst umzugehen weiß ohne naiv zu sein, aber auch große Hoffnungen in die Zukunft hat und sich ihrer Bedeutung durchaus bewusst ist. Am frühen Abend gibt es noch einen Drink und der Anteil an Networking nimmt zu. Da ich dort nicht so richtig hineinpasse, mache ich mich nach einem langen Tag auf den Weg in eine Bar, wo ich noch mit ein paar Freunden verabredet bin. Und so endet dann der zweite Tag, nach schönen Gesprächen mit vielen noch schöneren und interessanten Menschen.

Da es sich hierbei ja aber um einen Filmblog handelt und ich ja jetzt seriöser Journalist bin, stehen für den dritten Tag wieder Kinobesuche auf dem Plan. Zunächst geht es los mit einer Dokumentation, auf die ich mich bereits im Vorfeld sehr gefreut habe: "Pornfluencer". Der Kinosaal ist gut gefüllt, vor allem wieder junge Menschen und auch viele Paare. Die Dokumentation beschäftigt sich mit Jamie Young und Nico Nice, einem deutschen Pärchen, welches angefangen hat, selbstgedrehte Pornos ins Internet zu stellen. Die Dokumentation begleitet die beiden durch ein paar Tage ihres Lebens in Zypern. Während man am Anfang noch eine Dokumentation erwartet, wo das Thema Pornografie im Vordergrund steht, wird der Fokus schnell ein anderer - Man schaut auf die Beziehung der beiden, so wie sie diese präsentieren. Eine Beziehung geprägt durch konservative und sexistische Werte, welche durch die Pornografie (dieser Form der Pornografie) nach außen gekehrt werden. Wenn Nico Druck auf seine Freundin ausübt, sich für ein Instagram-Foto in der Öffentlichkeit auszuziehen oder meint, dass es ihn aus evolutionären Gründen attraktiver macht, wenn er mit anderen Frauen schläft (während es für Jamie nicht in Frage kommt, mit anderen Männern zu schlafen), dann geht ein Stöhnen der Verzweiflung durch den Saal. Mit jeder weiteren Szene wird das Gefühl des Unwohlseins beim Zuschauer immer größer und am Ende liegt eine Frage im Saal: Was haben wir uns da gerade angesehen? Die Dokumentation bedient sich dabei eines Stiles, welcher recht umstritten ist. Man zeigt das Material, macht aber kaum einen Kommentar. Jedenfalls keinen direkten - Schnitt und Perspektive sind natürlich auch eine Form von Kommentar. In meinen Augen eine großartige Entscheidung, welche dem Zuschauer eine eigene Auseinandersetzung mit dem Gesehenen abverlangt, aber einen tollen Raum für Diskussion lässt. Bei mir kommt immer wieder die Erinnerung an "Lord of the Toys" auf, welcher auch mal im KiK zu sehen war. Im Anschluss gibt es ein Q&A mit den Filmemacher:innen von der Filmakademie Baden-Würtemberg. Von Fragen zum Schnitt bis hin zum Thema und ob die Filmer das Gefühl hatten, ein ehrliches Bild zu bekommen, ist alles dabei und die Festivalleitung muss irgendwann einen Schlussstrich ziehen. Ein voller Erfolg, in meinen Augen.

Der zweite Abschnitt des Tages ist dann wieder ein Kurzfilmprogramm. Diesmal sind es die "Political Porn Shorts". Dass Pornografie eine Geschichte erzählen und visuell überzeugende Bilder beinhalten kann, hatte ich ja bereits am ersten Tag gesehen. Doch politische Inhalte transportieren? Mit unbestimmter Erwartung und einer gewissen Skepsis blicke ich dem Programm entgegen. Diesmal ist der Saal nun wieder komplett gefüllt und auch ich bin diesmal in Begleitung da. Als diesmal die Trailer anlaufen nutze ich die Möglichkeit, um die Reaktionen anderer Menschen zu beobachten, kann aber nicht sagen ob sich die selbe Belustigung einstellt wie bei mir. Dann kommen die ersten drei Filme. Eine Animierte Collage, welche sich mit Konsum und Kapitalismus auseinandersetzt und einzelne sexualisierte Bilder beinhaltet. Der Film ist kurz und kurzweilig, aber auch unterhaltsam. Darauf folgt ein Film über die Assoziierung mit männlichen Stereotypen. Ein Mann strippt auf einem Fußball während seine Stimme aus dem Off erzählt, wie ihm der Zwang, sich mit Fußball auseinanderzusetzen stets Probleme bereitet hat. Dann ein Film über eine Transgender Person: "Letter to my Mother". Der Film fängt ruhig an, die Person sitzt in der Wanne und rasiert sich am Körper. Die Bilder lösen vor allem durch das Geräusch, welches dabei entsteht, ein unbehagliches Gefühl aus. Als der Film seine Geschichte zu erzählen beginnt wird schnell klar, welche Ernsthaftigkeit dahintersteckt. Es geht um Misshandlung in der Kindheit, Identitäsverlust und Selbstfindung nach einem Trauma. Die Bilder kreieren eine gewisse Nähe zur Protagonistin und immer wieder tauchen nackte Menschen in Traumähnlichen Sequenzen auf. Im Anschluss gibt es erstmal eine Pause. Diese bietet erste Möglichkeiten zum Denken und zu Gesprächen. Politisch waren die Filme alle drei, doch ein Problem stellte sich bei mir ein: War das jetzt Porno? Ja, es gab nackte Menschen und auch gezeichnet ein oder zwei Sexszenen. So etwas gibt es aber auch in anderen Kurzfilmprogrammen.

Bevor sich eine Antwort gefunden hat, geht es auch schon weiter. "Pikachu v/s Piñera" heißt das Werk. Zu sehen ist ein Mann, welcher eine Alter-Weißer-Mann-Maske (er soll wohl die chilienische Variante von Trump darstellen) trägt und an ein Andreaskreuz gefesselt ist. Danach eine Frau in Latex, welche sich ein Pikachukostüm anzieht. Was danach folgt sind ca. 8 Minuten, in denen man Pikachu dabei zusieht, wie es besagtem Altem-Weißen-Mann in die Eier tritt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes und aus unterschiedlichen Positionen. Ich sitze im Saal und bin völlig begeistert. Nicht, weil ich ein großer Fan von Nutcracking wäre (wieder ein Fetisch, den ich schlicht nicht teile), sondern weil es sich wirklich um einen Porno handelt. Filmisch inszeniert, wie man es von Pornografie aus diesem Segment des BDSM kennt (Kamera draufhalten, auch wenn es weh tut) und trotzdem eine politische Botschaft: Der Aufstand der Niedlichkeit gegen die Elite. Frisch, frech und völlig Absurd.

Dann folgen wieder zwei Filme, welche mich ein wenig kalt lassen. Die Filme leben alle beide von skuril zusammengeschnittenen Bildern, welche sich irgentwo dem Thema Männlichkeit widmen, aber mich überhaupt nicht abholen. Zudem sind sich die Werke so ähnlich und dicht nacheinander geschalten, dass erst ein Blick ins Programmheft klar macht, dass es sich um zwei Filme gehandelt hat. In meinen Augen weder sonderlich pornografisch noch politisch. Der vorletzte Film kommt aus Italtien und zeigt maßgeblich alte Bilder eines Politikers und einen Mann beim Masturbieren. Im Anschluss wird der Regisseur interviewt, es geht um Kunst, Pornografie und ein politisches Statement. Nichts davon habe ich in dem Film gesehen aber hoffentlich vielleicht irgendjemand anderes. Der letzte Film kommt dann von einem Berliner Künstlerkollektiv und heißt "Fuck the Fascism: Post(?)Pandemic War-ra Edition". Der Titel verspricht Großes und das bekommen wir dann auch: Ein Typ im Einhorkostüm mastubiert am Brandenburger Tor, eine Frau strippt auf einem Panzer am sowjetischen Ehrenmal und eine kleine Orgie am Bismark-Denkmal. Mit seinen schnellen Bildern wohnt dem Film eine eigene Ausdruckweise inne, welche einen schnell mitreißt. Politisch und vor allem erotisch kommt der Film sehr gut beim Publikum an und auch die Macher:innen können beim anschließenden Talk noch einmal mit großer Sympathie Punkten.

Hinterher bleibt die Frage stehen: War das jetzt politische Pornografie? Ich diskutiere noch einige Zeit mit meiner Begleitung über das eben Gesehene und es ist spannend, zu beobachten, wie die Wahrnehmungen auseinandergehen. Dadurch komme ich wieder einmal zu der Erkenntnis, dass es sich mit Kurzfilmen verhält wie mit Kunstausstellungen: Wenn man ein oder zwei Werke hat, die einen mitgenommen oder berührt haben, ist es den Besuch auf jeden Fall wert.

Und ja: Porno kann politisch sein! Damit endet der dritte Tag auf dem PornFilmFestival Berlin.