Ich erinnere mich gerne an meine Schulzeit zurück. Zugegebenermaßen ist diese noch nicht all zulange her, dennoch schwelge ich immerzu in melancholischen Erinnerungen längst vergessener "Jahrgangsfeiern" der Oberstufe, langweiligen Unterrichtsstunden oder philosophischen Pausengesprächen. Doch bevor ich mir den nächsten DeLorean schnappe, um die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen, greife ich dann doch hin und wieder in die Coming-Of-Age Kiste und schaue schon fast sehnsüchtig den Protagonist*innen beim Lösen ihrer mehr oder weniger alltäglichen Probleme zu. Umso aufgeregter war ich, als ich mir den Film "Booksmart" in meiner ersten Pressevorstellung an einem Mittwoch Vormittag anschauen durfte. Weswegen sich das frühe Aufstehen gelohnt hat, erfahrt ihr hier.

Molly (Beanie Feldstein) und Amy (Kaitlyn Dever) sind zwei Freundinnen, welche sich kurz vor ihrem Abschluss an der Highschool befinden. An ihrem letzten Schultag bemerken sie allerdings, dass sie trotz exzellenter Noten und besten Voraussetzungen für die Elite-Universitäten des Landes, eines in ihrer Schulzeit völlig außer Acht gelassen haben - den Spaß. Während scheinbar alle anderen Schüler*innen mit andauernder Partylaune die Highschool geschafft haben, entschließen sich die beiden in ihrer letzten verbleibenden Nacht all das, durch nächtelanges Lernen, Versäumte nachzuholen.

Man könnte nun glauben, es würde sich wieder um einen dieser klassischen Highschool Filme handeln, welche nur so vor Kitsch und Klischees trotzen oder um einen "Project X" ähnlichen Absturz, bei dem es gilt sich auf der Beliebtheitsskala nach oben zu schrauben - Ja und Nein. Das Regiedebüt von Olivia Wilde bedient sich zwar an einer klassischen Highschool Rahmenhandlung, welche sich um die Werte Freundschaft, Selbstfindung und Identität drehen, jedoch befreit sie das Highschool Ensemble größtenteils von diesen alten Klischees. Dies wird schon in der ersten Einstellung klar, welche das Zimmer von Molly zeigt. Es wird hier kein Nerd skizziert, welcher seine Einrichtung voll mit popkulturellen Gegenständen dekoriert hat und so dem Zuschauer suggeriert wird, dass man es hier mit einer Außenseiterin zu tun hat, sondern durch feministische Poster oder akademischen Auszeichnungen wird ein starker, fokussierter Charakter abgebildet, welcher ganz und gar keinem Mauerblümchen entspricht. Dieses authentische, aber auch gleichzeitig vielfältige Auftreten der Hauptfiguren hat für mich frischen Wind in die sonst so von maskulinen Freundschaften geprägte Filmlandschaft gebracht.

Molly und Amy gehen durch dick und dünn ©Weltkino Filmverleih

Die Beziehung zwischen Molly und Amy ist von der ersten Sekunde an glaubwürdig und ließ mich in keinem Moment der Handlung los. Der Regisseurin Olivia Wilde war es wichtig, diese nicht dem Klischee der Anpassung oder Eroberung irgendeines Lustobjektes zu unterwerfen. Vielmehr geht es um die intensive Freundschaft der Beiden, aber auch um die eigene Identität, da Amy für ein Jahr nach Afrika geht und somit die schwesterliche Beziehung auf die Probe gestellt wird. Der Film schafft es hierbei einen perfekten Balanceakt zwischen tiefgründiger Emotionalität und Komödie zu kreieren. Das liegt vor allem an der wunderbaren Chemie zwischen Beanie Feldstein (Lady Bird) und Kaitlyn Dever (Short Term 12, Unbelievable). Auf Grund des humoristischen Timings der Dialoge, welche nur so vor Charme strotzten, hatte sich bei mir während des ganzen Films ein Dauergrinsen eingestellt. Aber auch die Nebencharaktere, wie der nach Akzeptanz buhlende Jared (Skyler Gisondo) mit seiner hemmungslosen Partnerin-in-crime Gigi (Billie Lourd) oder Jessica Williams, welche die Lehrerin Ms. Fine verkörpert, fügen sich perfekt in das Ensemble des Films ein. Außerdem schafft es der Film das Thema der Homosexualität nicht in den Mittelpunkt der Handlung zustellen. Es wird kein großes Theater um Amys Coming-Out gemacht, warum auch, schließlich ist es etwas ganz normales und jedes künstliche Echauffieren wäre absolut fehl am Platz.

Das Wort "Party" scheint Molly fremd zu sein ©Weltkino Filmverleih

Ein weiteres wichtiges Element, welches dem Film die perfekte Tonalität verpasst, ist der wunderbare Soundtrack. Durch die gelungene Titelauswahl, die sich zwischen funkigem 70er Jahre Sound und modernem RnB einfindet, entsteht eine schon fast organische Verbindung zwischen Handlung und Musik, wodurch die verwendeten Titel zu keiner Zeit willkürlich erscheinen, sondern jeder dieser die jeweilige Situation und Charaktere wunderbar repräsentieren. Obwohl mein Musikgeschmack nicht ganz den des Films trifft, wäre ich vor lauter Taktgefühl manchmal aus dem Kinosessel aufgesprungen und hätte mitgetanzt! Ihr werdet es selber merken. Außerdem sollte noch der Score von "Dan The Automator" erwähnt werden, welcher ebenfalls die Tonalität des Films, vor allem in den etwas ruhigeren Momenten, fantastisch untermalt.

Als der Film am Anfang des Jahres beim South by Southwest Film Festival seine Premiere feierte wurde er oft mit "Superbad" (Greg Mottola) verglichen. Neben dem Fakt, dass der Film meiner Meinung nach nicht ansatzweise die gleiche Dynamik wie Booksmart entwickelt, meinte Regisseurin Olivia Wilde in einem Interview, dass sie sich ärgere, dass es in unserer heutigen Kultur immer noch Tendenzen gibt, weiblich fokussierte Filme als eine weibliche Version von einem männlichen Klassiker zu betrachten. Das Problem der Geschlechtergerechtigkeit ist auch in der Filmbranche unübersehbar. Während die kreativen Schlüsselpositionen zum Großteil immer noch von Männern dominiert werden, müssen Frauen regelrecht für ihre Stimme kämpfen. Erst mit der #MeToo-Bewegung aus dem Jahr 2017 wurde diesem Thema eine breite mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgelöst durch den Weinstein-Skandal wurden die Rufe nach geschlechtlicher Gleichbehandlung und Gerechtigkeit immer lauter. Die anklagende Rede von Asia Argento bei den Filmfestspielen in Cannes letzten Jahres ließ klar und deutlich verlauten, dass dieses Verhalten in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werden darf. Das daraus resultierende Umdenken in der Filmlandschaft gestaltet sich jedoch als weniger revolutionär, als erwartet. Zwar haben sich vor allem Filmfestivals, wie in Toronto, Venedig oder Cannes bis 2020 vorgenommen auf mehr Transparenz bei der Filmauswahl zuachten, doch der Prozess läuft bisher nur recht langsam ab. Die Filmlandschaft sollte, nein sie muss sogar, so vielfältig wie möglich aufgestellt sein. Greta Gerwigs großartiger "Lady Bird", Kelly Fremon Craig "The Edge of Seventeen", Céline Sciamma "Bande de filles" oder "Wonder Woman" von Patty Jenkins - leider ist der Umfang solch einer Liste recht limitiert - nichtsdestotrotz sind dies alles fantastische Filme, welche mit starken weiblichen Charakteren, sowohl in Regie, als auch im Schauspiel besetzt wurden. Viel mehr Frauen sollten die Möglichkeit bekommen ihr künstlerisches Potenzial zu nutzen und sich nicht durch gesellschaftliche Limitierungen einschränken lassen. Die Filmbranche befindet sich im Wandel und Filme wie "Booksmart" bringen frischen Wind in die Kinos.

An Kreativität mangelt es dem Film keineswegs ©Weltkino Filmverleih

Olivia Wilde hat mit "Booksmart" einen Film über das Erwachsen werden geschaffen, der mich mit seinem Witz und Charme auf ganzer Wellenlänge abgeholt hat. Auch Kinobesucher, denen dieses Genre nicht auf Anhieb zusagt, sollten dennoch einen Blick riskieren - es lohnt sich! Wer jetzt also Heißhunger auf eine erfrischende Portion Coming-Of-Age bekommen hat, der muss sich nur noch bis zum 14. November gedulden, denn dann startet "Booksmart" auch bei uns in den Kinos.