Requiem for a Dream

Nur noch ein Stück. Ein klitzekleines. Wer kennt es nicht? Wenn man sich nach einem harten Arbeitstag auf der wohlverdienten Couch niederlässt und endlich mit ausgestreckten Beinen und bereitgestelltem Snack den Fernseher einschalten will. Dann fängt es an. Der Drang nach mehr. Es spielt keine Rolle, ob es Chips sind, Schokolade oder einfach nur das Verlangen immer wieder sein Handy auf Nachrichten zu überprüfen. Irgendwann kann man einfach nicht mehr aufhören und die soeben eingeschaltete Serie verliert an Bedeutung und gerät unter den Geräuschen zerbrechender Chips oder des zu hellen Smartphone-Bildschirms in den Hintergrund. Doch wieso können wir uns nicht einfach zusammenreißen. Nicht einfach auf unseren Verstand hören, wenn dieser uns zum tausendsten Mal darauf hinweist: „Das ist jetzt aber wirklich das letzte Stück!“

Sucht – ein allgegenwärtiges Problem, mit dem jeder mehrmals täglich konfrontiert wird, egal wie sehr wir uns auch bemühen den natürlichsten Trieben des Menschseins zu entgehen.

In Darren Aronofskys Drogendrama Requiem for a Dream wird genau diese Thematik dem Zuschauer auf erschreckendste Weise vor Augen geführt. Der im Jahr 2000 erschienene Film, welcher auf dem Roman von Hubert Selby aus dem Jahr 1978 basiert, handelt von vier Figuren aus Coney Island, die allesamt mit unterschiedlichen Drogenproblemen und Süchten zu kämpfen haben. Das besondere an der Handlung ist, wie diese so verschiedenen Probleme ständig gegenübergestellt werden. So verfolgen wir auf der einen Seite die drei Jugendlichen Harry, Marion und Tyrone, welche sich als Ziel gesetzt haben eine große Menge an Heroin zu besorgen, um dieses zu strecken und mit Profit weiterzuverkaufen. Jedoch versinken sie währenddessen immer mehr in ihrer eigenen Abhängigkeit. Dem gegenüber steht Harrys Mutter Sara Goldfarb, eine fernsehsüchtige alte Dame, die aus dem Nichts die Nachricht erhält, dass sie bei einer Fernsehshow auftreten darf. Aufgeregt versucht sie das rote Kleid anzuziehen, welches sie bereits auf dem Highschool-Abschluss ihres Sohnes getragen hat, nur um enttäuscht festzustellen, dass sie über die letzten Jahre wohl ein paar Pfund zugelegt hat. Nach vergeblichen Diät-Versuchen führt sie der Tipp einer ihrer Freundinnen zu einem Doktor, welcher ihr ohne weitere Probleme Appetitzügler verschreibt. Ab dann nehmen die Dinge ihren Lauf.

offizieller Trailer (en)

Interessant ist, dass sich Aronofsky in keinem der beiden Handlungsstränge auf nur eine einzige Sucht beschränkt, was der Realität erschreckend nahekommt. Bei einer tatsächlichen Sucht handelt es sich um ein sich ständig veränderndes Konstrukt, besonders dann, wenn man versucht sich davon abzuwenden. Der Abhängige überträgt beispielsweise seine eigentliche Sucht auf etwas anderes, um sie damit zu ersetzen. Mrs Goldfarb entwickelt sich von einer pralinen- und fernsehabhängigen Witwe zu einer tablettensüchtigen einsamen Dame, die alle physischen und psychischen Schäden davon auf sich nehmen muss.  

Ebenfalls überschneiden sich die beiden Geschichten dahingehend, dass alle ein scheinbar größeres Ziel verfolgen, beziehungsweise den titelgebenden Traum. Die Jugendlichen streben nach Geld und danach einen Sinn im Leben zu finden, während Mrs Goldfarb nach Anerkennung aus der Gesellschaft für sich und ihre Familie sucht.

Verwoben sind beide Geschichten nicht nur durch das Drehbuch, sondern auch durch die visuelle Inszenierung. So macht Aronofsky von so genannten Hip-Hop-Montagen gebrauch, welche in der Regel in Musikvideos der namensgebenden Stilrichtung zu sehen sind. Hierbei handelt es sich um viele, schnell hintereinander geschnittene Großaufnahmen mit einer typischen und wiederkehrenden Soundkulisse, begleitet von rhythmisch passender Musik. Sobald es um die Einnahme der Drogen geht, kommt besagte Technik zum Einsatz und wird sowohl als Übergang von einem Handlungsstrang in den nächsten genutzt, als auch, um zu zeigen, dass Figuren die Realität anders wahrnehmen als zuvor. Generell werden hier zahlreiche experimentelle Stilmittel genutzt, um den Zuschauer wahrnehmen zu lassen, wie sich die Symptome einer Sucht auf die handelnden Figuren auswirken - was für den ein oder anderen Betrachter sicherlich zu intensiv oder gar deprimierend sein dürfte. So werden beispielsweise Splitscreens genutzt, um zwei verschiedene Perspektiven direkt gegenüber zu stellen und miteinander zu vergleichen oder Gedanken der Figuren visuell gezeigt, ehe wir wieder ins eigentliche Geschehen zurückkehren.

Nur eines von Aronofskys experimentellen Stilmitteln. © CentralFilm/Highlight

Je weiter die Handlung vorangetrieben wird, desto tiefer verfallen die Figuren ihrer Sucht, was auch der Zuschauer stilistisch zu spüren bekommt. Die drei Handlungsabschnitte „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“ bekommen zunehmend schwammigere und schnellere Übergänge zwischen den Perspektiven der Figuren. Auch die Namen der Abschnitte sprechen schon für sich. Während im Sommer alles aufblüht und die Menschen, von Lebenslust überschwemmt, ihren Zielen versuchen nachzugehen, wird es bis zum Winter immer kälter, immer dunkler, so wie auch die Entwicklung der einzelnen Charaktere.

„This drives most people crazy!“, wie der Fernsehmoderator in Mrs Goldfarbs Lieblingssendung zu sagen pflegt und das lässt uns Aronofsky nicht nur visuell, sondern auch auditiv spüren, denn die eigentlich treibende Kraft in dem Film ist die brillante Musik von Clint Mansell. Die dabei wichtigen Hip-Hop-Montagen habe ich bereits erwähnt, aber auch an anderen Stellen ist die Musik allgegenwärtig. In einer Szene spielt sie beispielsweise im Takt der Alarmsirenen, als Harry und Marion aus purer Lebenslust heraus in ein Gebäude eingebrochen sind. Wie die Schnitte, wird auch die Musik mit zunehmendem Verfall der Figuren lauter, schneller und intensiver. Besonders hervorheben möchte ich da das Stück Lux Aeterna, welches einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen dürfte.

Jennifer Connelly und Jared Leto im Rausch. © CentralFilm/Highlight

Doch was sind schon Figuren in Filmen, ohne deren Schauspieler und diese spielen auf höchstem Niveau. Das ist nicht zuletzt dem Ehrgeiz des Regisseurs zu verdanken, der beispielsweise die Hauptdarsteller Jared Leto und Marlon Wayans dazu aufforderte während der Drehzeit auf Geschlechtsverkehr und Zuckerprodukte zu verzichten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie schwer es ist etwas sein zu lassen, an das man sich längst gewöhnt hat. Deshalb geht hier die Empfehlung raus, sich den Film auf jeden Fall mit Originalton anzusehen. (Daher läuft diese Version bei uns am 23.04. mit deutschen Untertiteln!)

Vielleicht konnte man aus dem bisherigen Text meine Begeisterung für den Film herauslesen. Es ist in meinen Augen der Film, der Drogen am besten thematisiert, eben weil er sie mit unseren alltäglichen Bedürfnissen vergleicht, mit denen sich jeder identifizieren kann. Es ist kein weiterer der etlichen Party-Filme, die Drogen zwar inszenieren, aber in der Regel deren langfristige Folgen gekonnt ignorieren. Jeder, der sich mal auf eine etwas anspruchsvollere Reise zu diesem Thema einlassen will, sollte sich diesen Film in jedem Fall ansehen. Wer jedoch schon mit vorherigen Filmen von Darren Aronofsky, wie Black Swan, Pi, oder mother! nichts anfangen konnte, der sollte lieber die Finger davonlassen, denn auch dieses Werk fordert vom Zuschauer aktives Zusehen und rationales Denken. Requiem for a Dream ist, wie der Name schon sagt, eine Art „Totenmesse für einen Traum“, der durch psychischen und physischen Verfall unerreichbar wird. Jedoch soll noch offengelassen werden, ob Sara Goldfarb mit ihrem Satz am Anfang des Films: „In the end it’s all nice.“, denn wirklich so weit daneben liegt.

Alle, die jetzt neugierig geworden sind können sich am 18.04.2019 und am 23.04.2019 selbst davon überzeugen, wie sehr sie sich von Requiem for a Dream mitreißen lassen, denn an diesen Tagen zeigen wir ihn in unserem geliebten Kino im Kasten!