Hört her ihr Cineast*innen, ihr Filmliebhabende, die ihr sehnsüchtig darauf wartet endlich wieder eure Fernseher, Laptops und Tablets ruhen zu lassen und den Bildern eines Film-Kunstwerkes wieder auf der großen Leinwand Platz zu lassen!
Ihr seid angesprochen, denn wir bringen frohe Kunde! Im Studentenclub Bärenzwinger werden wir unsere Leinwand aufstellen und das reflektierte Zauberlicht kann sich endlich wieder in unser aller Augen widerspiegeln!

Natürlich müssen wir euch nicht wie ein Marktschreier erst darauf aufmerksam machen, dass Kino im Saal, in Gesellschaft und auf Leinwand genau das ist, was wir alle in den letzten Wochen so schmerzlich vermisst haben. Und gerne hätten wir die Türen unseres guten alten Kastens wieder geöffnet, als das auch die anderen Dresdner Kinos mit ihre Sälen taten. Dies bleibt in diesem Semester leider auch weiterhin so.
Unser Anliegen wurde aber letztlich doch auf eine Weise erhört und wir dürfen euch noch vier Highlights unseres ursprünglichen Semester-Programms präsentieren. Zwar nicht im Kasten, aber dafür zentral in der Dresdner Altstadt im Studentenclub Bärenzwinger! Zwei Wochen lang gibt es hier Dienstag und Donnerstag um 21:30 Uhr einen gemeinschaftlichen Filmabend mit der gewohnt einzigartigen Auswahl, die sich in keinem anderen Kino aktuell finden lässt. Damit ihr diese guten Neuigkeiten auch verdauen könnt und euch die Entscheidung leichter fällt, ob ihr ein, zwei, drei oder gleich alle vier Filme schauen wollt, geben wir euch nun einen Überblick über die Filme der ersten Woche! Das kommentierte Programm der zweiten Woche folgt am Wochenende.

Call Me by Your Name (30.06.)

Auch wenn die Einreise nach Italien seit Anfang des Monats wieder gestattet ist, werden sich dieses Jahr viele Leute wohl (zurecht) zweimal überlegen, ob sie ihren Sommerurlaub wie gewohnt antreten. Ein Kinobesuch kann eine Reiseerfahrung natürlich nie in vollem Umfang replizieren, aber wenn es ein Film schafft, das Gefühl eines Urlaubs im sommerlichen Norditalien zu vermitteln, dann ist es Call Me by Your Name.

US-Trailer zu Call Me by Your Name © Sony Pictures

Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von André Aciman handelt vom 17-jährigen Elio (Timothée Chalamet), der den Sommer im Landsitz seiner Eltern in der Nähe von Crema verbringt. Er vertreibt sich die Zeit mit Klavierspielen, Lesen und Flirts mit der gleichaltrigen Französin Marzia. Die Langeweile der Sommerferien wird schlagartig unterbrochen, als der 24-jährige Doktorand Oliver (Armie Hammer) anreist, um Elios Vater, den Archäologie-Professor und Skulptur-Experten Mr. Perlman (Michael Stuhlbarg), bei seiner Forschung zu unterstützen. Eine Begegnung, welche die Gefühlswelt des Jugendlichen gehörig durcheinander bringt.

Mit Call Me by Your Name hat Luca Guadagnino (A Bigger Splash, Suspiria) einen der eindrücklichsten Coming-of-Age-Filme der letzten Jahre geschaffen. Mit wunderschönen 35mm-Bildern von Sayombhu Mukdeeprom (nicht nur regelmäßiger Kollaborateur von Guadagnino, sondern auch der Stammkameramann des Thai-Starregisseurs Apichatpong Weerasethakul) und einer sanften Tonkulisse erzeugt der Film eine enorme Immersion und versetzt den Zuschauenden direkt ins Norditalien der 80er. Man spürt förmlich die sommerliche Schwüle und die Drehorte, das hübsche, typisch-italienische Landhaus und charmant-bröselige, italienische Stadtkerne, versprühen Urlaubsatmosphäre. Dazu kommt eine träumerische, musikalische Untermalung, von Satie und Ravel über The Psychedelic Furs und Ryūichi Sakamoto bis hin zu neuen Songs von Indie-Folk-Ikone Sufjan Stevens. Besonders sein sanft-melancholisches Mystery of Love ist einer meiner liebsten Filmsongs der letzten Jahre.

Skulpturen Bergen am Gardasee: Prof. Perlman, Elio und Oliver © Sony Pictures

Call Me by Your Name ist aber nicht nur schön anzusehen und -hören, sondern erzählt auch eine einfühlsame Geschichte vom Heranwachsen, von Gefühlsverwirrung und erster Liebe. Für die gelungene Buchadaption erhielt James Ivory (der selbst als Regisseur einige herausragende Filme, wie z.B. Zimmer mit Aussicht gedreht hat) verdientermaßen den Oscar fürs adaptierte Drehbuch. Doch selbst das beste Drehbuch wäre nichts ohne hochkarätige Darsteller und auch in dieser Hinsicht überzeugt der Film auf ganzer Linie. Schade eigentlich, dass Armie Hammers Mainstream-Vehikel The Lone Ranger so ein Flop war, aber immerhin kann er so weiter in Independent-Filmen auftreten. Denn dass er nicht nur attraktiv ist, sondern auch ein guter Darsteller, kann er hier wieder unter Beweis stellen. Am meisten bleibt aber natürlich der Jungstar Chalamet in Erinnerung. Die Leinwandpräsenz des zum Dreh gerade einmal 20-jährigen und die Bandbreite an dargestellten Emotionen beeindrucken sehr. Kein Wunder, dass er für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert wurde (und meiner Meinung nach auch hätte gewinnen sollen) und nach weiteren Filmen wie Lady Bird und Little Women mittlerweile wohl der meistgefragte Schauspieler seiner Generation ist. Mit seiner Hauptrolle in Villeneuves Sci-Fi-Bestsellerverfilmung Dune folgt (falls er nicht verschoben wird) Ende dieses Jahres vermutlich dann auch sein Durchbruch im Mainstream. Neben den beiden Hauptdarstellern darf aber auch Michael Stuhlbarg nicht vergessen werden. Der ewige Nebendarsteller (A Serious Man der Coens ist eine seiner wenigen, bekannteren Hauptrollen) war 2017 in nicht weniger als drei Oscar-Kandidaten (neben diesem Film noch in The Post und in The Shape of Water) zu sehen und spielt hier ungewohnt herzlich und liebenswert. Mit markanter Nase und Vollbart erinnert er in seiner Rolle als verständnisvoller Familienvater und leicht verschrobener Intellektueller an den verstorbenen Robin Williams und sein Monolog gegen Ende des Filmes gehörte für mich zu den berührendsten Szenen des Filmjahres 2017. Ein Jammer, dass er damals bei den Filmpreisverleihungen völlig übergangen wurde.

Lange Rede, kurzer Sinn: Alle, die mit Jugendfilmen auch nur entfernt etwas anfangen können oder die sich nach einem Italienurlaub sehnen, dürfen sich Call Me by Your Name nicht entgehen lassen und sind herzlich eingeladen, sich den Film am 30. Juni im Bärenzwinger anzusehen.

Santa Sangre (02.07.)

Vögel, eine dominante Mutter und mysteriöse Morde - das muss ein Hitchock sein! Denkste. Der durch die Dune-Doku mittlerweile wieder recht bekannte Alejandro Jodorowsky hat neben nichtgedrehten Filmen natürlich einige phantastische Werke produziert, die ihn einst zum kurzzeitigen Spiritus Rector des schließlich von David Lynch vollendeten Sci-Fi-Films prädestinierten. Natürlich bevor sein kreatives Hirn, ein Hirn von der etwas anderen Art, die Produzenten zum kreischenden Notbremseziehen veranlassten. Die bunten, flamboyanten, tief psychologischen und äußerst abseitigen Filme des mexikanischen Regie-Genies lohnen sich auf jeden Fall! Das KiK präsentiert nun einen seiner Klassiker: Santa Sangre, das heilige Blut. Euch erwartet ein Zirkus, ein um abgetrennte Arme herum organisierter christlicher Kult, eine Elephantenbeerdigung und so viel mehr. Wer sich darauf keinen Reim machen kann, hat jetzt eine Aufgabe: am Donnerstag in den Bärenzwinger zu kommen!